92 Im October reiste König Alexander nach Wien und Berlin; er erfreute sich sowohl am Wiener Hofe als auch seitens des deutschen Kaisers der freundlichsten Aufnahme. Die Ge¬ rüchte, daß sich der junge König mit der Prin¬ zessin Sybille von Hessen verlobt habe, be¬ dürfen noch der Bestätigung. Die Skuptschinawahlen ergaben eine erheb¬ liche fortschrittliche Majorität. Rußland. Mehr als für irgend ein constitutionell re¬ giertes Reich bedeutet für das autokratische Rußland ein Herrscherwechsel. In der Vollkraft Kaiser Nikolaus II. von Rußland. seiner Jahre wurde Alexander III. vom Tode ereilt. Voll unheimlichen Schreckens vernahm die Mitwelt die Kunde, daß der Beherrscher aller Reußen unrettbarem Verderben preisgegeben sei daß hier die Kunst der Aerzte nichts helfen könne und daß man ein schweres organisches Leiden zu verbergen und zu vertuschen gesucht hat, bis die gebieterische Nothwendigkeit die russi¬ chen Höflinge zwang, der Wahrheit die Ehre zu geben und einzugestehen, daß der Czar sich auf seinem Sterbelager wälze. Es war eine langwierige Krankheit, die am 1. November ihren tödtlichen Ausgang fand Langsam, langsam war der Riesenorganismus des Kranken unterlegen. Alexander III. hat dreizehn Jahre regiert. Die Zahl 13 hat in seinem Leben überhaupt eine ominöse Rolle ge¬ pielt. Er war der 13. Kaiser Rußlands nach Peter dem Großen, er bestieg den Thron am 13. März 1881 und am 13. März 1887 wurde ein Attentat auf ihn verübt. Die Ermordung eines Vaters hatte sein Gemüth verdüstert, er war ein Feind jeglicher Reform, und seinen Thronantritt kennzeichnete die Entlassung des bisherigen liberalen Ministers Loris Melikow und dessen Ersetzung durch den berüchtigten „Vater der Lüge“, durch Ignatiew. Schon als Thronfolger hatte Alexander III. aus seinen Alex. Feodorowna, Kaiserin von Rußland. Sympathien für Frankreich und aus seiner ge¬ ringen Vorliebe für den Dreibund kein Hehl gemacht. Während seiner Regierung bewiesen Kronstadt und Toulon, daß der Czar in der auswärtigen Politik keinen Gesinnungswechsel durchgemacht hatte. Erst als Gortschakow durch Giers ersetzt wurde, besserten sich die Beziehungen Rußlands zum Dreibund. Die einflußreichste Persönlichkeit in der Um¬ gebung Alexander III. war aber der Oberpro¬ curator der heiligen Synode, Pobedonoszew, gewesen; durch ihn erlangte auch der Panslavist Katkow Zutritt beim Czaren, die revolutionäre Bewegung nahm indessen ihren Fortschritt, der
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