Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1896

86 gestalteten Landpfeilern getragen wird, deutlich gekennzeichnet. Die Brücke ist in einer solchen Höhe gebaut, daß auch die vollgetakelten Kriegs¬ schiffe ohne Aufenthalt die Brückenöffnung passiren können. Es mußten auf beiden Seiten an die Canalufer hohe Dammschüttungen herangeführt werden und die Rampen, welche auf diese Weise entstanden, haben eine Erdbewegung von fast 2 Millionen Cubikmeter erfordert. Essoll nicht unerwähnt bleiben, daß sowohl die Brücke von Grünenthal, wie die von Levensau, die unser zweites Bild zeigt, durchaus sowohl in der Stein= als in der Eisenconstruction aus deutschem Material aufgeführt sind. Nur das geeinigte Deutschland konnte jenes Werk vollbringen, das eine Verbindung zwischen zwei Meeren schafft. Es bedurfte dazu eines festen Willens und großer Geldmittel Den Löwenantheil des Gewinnes bezieht die neugewonnene Provinz Schleswig=Holstein. Die Bewohner dieser Provinz erhalten den ver¬ dienten Lohn für ihre stets bewährte treue An¬ hänglichkeit an das deutsche Vaterland. Frankreich. Ein bewegtes Jahr ist an Frankreich vorüber¬ gegangen. An der Schwelle des Zeitraumes, der unserer Besprechung unterliegt, steht die Blut¬ that von Lyon. Als Carnot dem Dolche des wahnwitzigen Italieners Caserio erlegen war, da wurde Casimir Périer auf's Schild er¬ hoben. Er war der Erwählte der gemäßigten Parteien, die unter dem Eindrucke der Ermordung Carnots einen Mann zum Oberhaupte Frank¬ reichs erhoben, dessen Vorzug, Stärke und Energie, sie daran vergessen ließ, daß auch die Freunde Périers dessen starren Doctrinarismus, der an Eigensinn und Eigendünkel grenzte, nicht läugnen konnten. Die französische Kammer trat im Juli in die Berathung der Anarchistengesetze ein, durch die namentlich den Geschwornengerichten die Be¬ ugniß genommen wurde, über anarchistische Verbrechen zu Gericht zu sitzen. Am 8. September starb, ferne von seinem Heimatland, in Stowe House in England der Graf von Paris, ein Prätendent, der längst die ernstliche Hoffnung aufgegeben hatte, die Herrschaft von Frankreich wieder zu erlangen. Graf Philipp von Paris war der Enkel Louis Philipp's. Im Jahre 1883 hatte er sich mit den Legitimisten, beziehungsweise mit dem Grafen Chambord versöhnt. Er war ein hochgebildeter Mann, der namentlich bedeutendes Interesse für Volkswirthschaft und Literatur zeitlebens an den Tag legte. Nunmehr ist Herzog Philipp von Orleans das Oberhaupt seines Hauses und die Hoffnung der französischen Royalisten. Eine vorübergehende Spannung zwischen Frankreich und England, die sich einerseits auf die Madagaskar=Frage und anderseits auf die Stellungnahme beider Mächte im chinesisch¬ apanischen Krieg gründete, wurde dank dem Takte des französischen Ministers des Aeußern, Herrn Hanotaux, bald behoben. Unterdessen war die innere Lage immer kritischer geworden und das Ministerium Dupuy holte sich eine Schlappe nach der anderen, so namentlich, als die Frage aufs Tapet kam, ob denn ein Soldat zum Deputirten gewählt werden könne. Nun setzte sich Präsident Périer ziemlich energisch für seinen Premierminister ein, und die Folge war, daß sich die Gegner¬ schaft bald gegen ihn persönlich richtete. Die Lage wurde immer unerquicklicher, da anfangs December eine neue Auflage Panamas ans Tageslicht gezerrt wurde. Neue Scandalgeschichten wurden enthüllt, die namentlich einen großen Theil der Pariser Presse sehr arg compromittirten. Vorübergehend wurde die Aufmerksamkeit der Franzosen von den Wirrsalen der inneren Politik abgelenkt, als am 8. December Fer¬ dinand v. Lesseps im neunzigsten Lebensjahr — tarb. Der Schöpfer des Suezcanals und Panamas hatte das Unglück gehabt, seinen eigenen Ruhm zu überleben. Er entstammte einer Familie von Diplomaten und Weltfahrern, deren Mitgliedern immer ruheloses Blut und unbändiger Thatendurst zu eigen waren. In einem Alter, da um Andere schon die Dämme¬ rung weht und Ruhelust sich in ihnen regt, stürzte er sich in jenes gewaltige Unternehmen, das vor nunmehr 26 Jahren eröffnet wurde. Von jenem furchtbaren Panamaprozeß, aus dem auch sein Name nicht unversehrt hervorging, hat er niemals etwas vernommen. Die rührende Liebe der um 30 Jahre jüngeren Frau hielt die Schreckenskunde von seinem Sterbelager ferne. Eine tiefgehende Aufregung bemächtigte sich

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