54 ist stark, es hilft aber über die schlimmsten Fälle. Der Körper der Gräfin ist sehr widerstandsfähig, sonst wäre sie nach so langem Siechthum der Krankheit längst er¬ legen. Ich rathe zum Aeußersten, ich weiß, daß wir sie damit retten werden. Das Mittel wurde angewandt. An¬ cheinend verschlimmerte sich der Zustand der Kranken mit einem Male. Comtesse Margot stand entsetzliche Stunden aus. O, diese furchtbare Nachtwache! Dr. Campioni theilte ihre Sorge. Würde die Kranke am Ende doch nicht mehr Kräfte genug haben dann war der Tod in ein paar Stunden da. Seine Mienen drückten äußerste Be¬ sorgniß aus, finster starrte er auf die Kranke. Ihm gegenüber saß Margot, die Hand der Mutter fest umklammernd, die heißen Augen auf den bleichen Mund der Gräfin gerichtet, dessen Lippen fortwährend flüsterten und zuckten. Mit einem Male hörte das Flüstern auf, eine feierliche furchtbare Stille trat ein. Der Schmerz schien aus dem Körper der Gefolterten zu weichen. Ihre Miene klärte sich auf. Mit entsetzlichem Banger beugte Margot sich über die Mutter, deren bis jetzt fieberhastige Athemzüge langsamer und langsamer gingen. Man hörte nur noch den Laut des Athmens der Kranken, der chwächer und schwächer wurde. Da seufzte die Gräfin schwer auf, holte dann noch einmal tief, tief Luft, wandte das blasse Haupt zur Seite und begann ruhig und fest zu schlafen. Dr. Campioni erhob sich. „Sie ist ge¬ rettet,“ wandte er sich zur Comtesse. Es war das erste Mal, daß er ungefragt sie anredete. Comtesse Margot hob das schöne, thränenüberströmte Antlitz zu dem jungen Arzte empor und sagte: „Ich danke Ihnen, o, wie danke ich Ihnen!“ „Ich habe jetzt aber die Pflicht,“ fuhr der Doctor leise fort, „an Ihnen als Arzt zu handeln. Ich muß Sie sofort zu Bet — schicken. Nein, Sie dürfen ruhig diesc Stätte verlassen,“ sagte er, als das junge Mädchen eine Geberde der Abwehr machte „ich wache weiter. Es ist keinerlei Gefahr mehr vorhanden, außer für Sie, wenn Sie nicht folgen wöllen. Er blieb allein an dem Krankenlager zurück. Es war ein sonderbares Gefühl des Glückes, das er im Herzen spürte. Obwohl sehr ermattet, fühlte er sich sehr wohl und er meinte, für sich die Diagnose richtig zu stellen, indem er dieses Glücks¬ gefühl auf den großen wissenschaftlichen Erfolg zurückführte, den er heute an diesem Krankenbette errungen hatte; aber ob die Diagnose des eigenen Herzens richtig war? * * * Gräfin Schellendorf durfte nach acht Tagen das Lager verlassen, und ihre Ge¬ nesung machte schnelle Fortschritte. Die beiden Aerzte machten noch ihre regel¬ mäßigen Besuche Dr. Campioni aber meinte eines Tages, es sei nun nicht mehr nöthig, daß er so häufig käme, zu¬ dem, wo seine Zeit auch in seiner Heil¬ anstalt sehr in Anspruch genommen sei. „Dann kommen Sie nur, wenn Ihre Zeit es erlaubt, lieber Doctor, und auch einmal auf ein Stündchen zum Plaudern, wenn Sie just vorbeikommen. Sie sind will¬ kommen.“ Margot hatte bei diesen Worten der Mutter den jungen Arzt mit einem chnellen, aber bittenden Blicke angesehen. Er sagte nicht nein. Aber bei ###en neuerlichen Besuchen er gegen auf der Villa Washington war Margot von einer außerordentlichen Zurück¬ daß ange¬ haltung, ja Kälte. Er spürte, dieser be¬ ichts dieser blonden Schönheit, kindlichen zaubernden Liebenswürdigkeit, 1 Liebe zur Mutter sein Haßgefühl von da¬ nals zu schwinden begann. Sei's denn; das anmuthige Kind war ein bezaubernd schönes Weib geworden, dem jener Haß des in seinen heiligsten Gefühlen verletzten Knaben nicht mehr gelten konnte. Hinweg damit, es war eine seiner heute nicht mehr würdige Regung. So sprach er zu sich selber, recht¬ ertigte sich selbst, entschuldigte Jene. In ähnlichen Gedanken stand er ein paar
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