Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

50 51 wünschenswerthe Genauigkeit und Nettigkeit vermissen läßt- oder nach 9 Uhr heim- kehrt, wird als Civilist nicht mit dem strafenden Arm der Gerechtigkeit in Conflict gerathen. Wenn er zweierlei Tuch trägt, passirt ihm das letztere aber gewöhnlich und er kann wegen Delicten der vorgeschilderten Art ein pgar Tage „Fel- serl" *) ausfassen, eh' er sich's versieht. Den Rest sothaner Arreststrafen hatte zwar der bärbeißige Compagnie-Commandant am Vortage sämmtlichen Geschäftsfreunden des Profoßen nachgesehen, aber mit einem Urlaub war's natürlich nichts. Hatte auch keiner von denen, deren jüngste Vergangenheit also bemakelt war, die Courage gefunden, sich zum Rapport zu melden, bis auf den Infanteristen Zehetmaier aus Petersdorf, welcher kühnlich behauptete, eine „Mahm" sei gestorben und 'außerdem geb' es „Sautanz" zu Hause. Der Herr Hauptmann erklärte mit einer Bestimmtheit, die auf traurige diesbezügliche Erfahrungen schließen ließ, daß er Feitel heißen wolle, wenn das mit der Mahm auf Wahrheit beruhe, wohingegen er wegen des Sautanzes keine Zweifel hege. Der Hauptmann schloß seine wohlwollende Erörterung der Gründe, welche für und wider die Gewährung des Urlaubs sprachen, mit der ein wenig unvermittelten Bemerkung, daß er sich das Vergnügen bereiten werde, den Infanteristen Zehetmaier für die bewiesene Unverfrorenheit nach den Feiertagen abermals auf drei Tage „einnäh'n" zu lassen. Einen ähnlichen Bescheid erhielten die Urlaubswerber, welche bis zum 23. December verschiedener Leiden halber sich an den der Gesundheit so zuträglichen Exercir-Uebungen nicht hatten betheiligen können, am Morgen des Vierundzwanzigsten aber von plötzlicher Gesundheit befallen worden waren. Das waren diejenigen, welche den Vorbereitungen zur ärarischen Weihnachtsfeier mit sehr melancholischen Gefühlen folgten. Der Zehetmeier schien sich auf das Leichenbegängniß der Mahm und auf das zweite Familienereigniß besonders gefreut zu haben; er blickte so trübselig vor sich hin, daß sich der Zugsführer nicht enthalten konnte, ihm wegen seiner unmännlichen Zerknirschung Vorwürfe zu machen: „Schämen S' Jhner denn gar net a bissel? I kann mir's ja vorstell'n, daß S' Jhner Alte gern seg'n möchten." (Für Uneingeweihte bemerken wir, daß keine Analogie mit dem Pseudonym des Compagnie- Commandanten vorliegt, der „Alte" heißt so viel wie Hauptmann, die „Alte" so viel wie Geliebte.) „'s is net weg'n dem all an," ent- gegnete der Melancholische, „aber wann i d'ran denk, daß i an Guglhupf, an Speck, a Flaschen Glägerschnaps mitkriagt hätt'" . . . Seine Stimme nahm jenen vibrirenden Ton an, in welchen selbst starke, heldenhafte Männer zuweilen verfallen, wenn sie der Wucht unverdienter Schicksalsschläge zu erliegen drohen. Den Zugssührer ergriff innigstes Mitgefühl: „Mein Gott, eigentli' kann i Ihnen die Traurigkeit net verdenken, Zehetmaier. A so an Tag will man halt unter dö zuabringen, dö a'm am theuersten san auf der Welt. Kriegerten S' a wieder so a Hausg'selcht's mit wia im vorig'» Jahr? Ja? — Na wissen S', i werd' Jhna was agen: wann i a im Dienst streng bin und a bisserl gern schimpf, desweg'n hab' do a wach's Herz. I werd' mit'n Herrn Feldwebel red'n, daß er a guat's Mörtel Ar Jhner einlegt." , . . Durch die hohen vergitterten Fenster kommt bereits grauer Dämmerschein. Die „Mutter der Compagnie", der Herr Feld- vebel, der heute seine Dienstmiene abgelegt , )at und so liebenswürdig dreinblickt, als es ihm in Anbetracht, seiner Charge überhaupt möglich ist, fand sich auch bereits ein und überwacht die letzten Zurüstungen. Nun müssen die Hoffnungsfrohen, welche gemeint, daß ihnen das Fürwort dieses einflußreichen Würdenträgers doch vielleicht noch das Urlaubs-Certificat verschaffen werde, sich mit dem Gedanken versöhnen, *) Arrest. daß sie nicht unter Angehörigen den Christabend verbringen können. Der Feldwebel treibt die Leutseligkeit so weit, daß er die der Mehrzahl nach recht bescheidenen Spenden, mit denen die Soldaten sich gegenseitig bedenken, eigenhändig an den Tannenzweigen befestigt. Da stellt sich einer mit einem Päckchen Portoriccos ein, die er „Seinem lieben Schlaf*), dem k. u. k. Infanteristen Florian Steiuinger" zueignet. Der Geber ist ein so armer, weltverlassener Teufel, daß er zum Ankauf des „Geschenkes" wohl die letzte Löhnung verwenden mußte. Ein Zweiter, wohlhabender Bauernleute Kind, der nicht heimgefahren ist, weil die Reise gar zu lang dauern würde, widmet seinen Freunden Gegenstände, die gewöhnlich nicht zur Verzierung von Christbäumen dienen, hier aber ungetheilte Anerkennung und Bewunderung finden werden. Jeder von chnen bekommt eine „Blunzen". Dann . „ ^."Schlaf", derjenige, der in dem Neben- Veite schlaft. wird ein geheimnißvolles Paket gebracht, dessen fettfleckige Umhüllung die achtungsvolle Aufschrift: „Seiner Hochwohlgeboren dem Herrn Herrn Feldwebel!" in großen Buchstaben trägt. Auch mehrere Päckchen is-fLimito-Rauchtabak befinden sich unter den Bescheerungen. So geht es fort. . . . Da öffnet sich die Thür und herein tritt der Corporal vom Tag in Begleitung des in den Diensten des Hauptmanns stehenden „Pfeifendeckels"*), welcher einen umfangreichen Korb schleppt. „Herr Feldwebel," wendet sich der Taghabende an den Höchstchargirten, „ich melde gehorsamst, das ist das Christkind!, welches der Herr Hauptmann der Compagnie schickt." Von flinken Händen wird der Korb seines Inhaltes entleert; eine mächtige Flasche Rum kommt zum Vorschein, ein Söckchen Thee, ein mächtiges Bündel „ausgesuchter" Birginier-Cigarren und zum *) Spottname für den Officiersdiener. 4*

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