Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

40 41 blickten die Zuschauer empor, die kaum zu Schrei aus, wie die Reckturner zu thun athmen wagten. das pflegen, wenn sie ihre Saltouiortales exe- Man wußte, das ist bei den „Künstler»" cntiren, und stieg dann, so schnell es ihm konventionelle Zeichen dafür, daß sich nunmehr das Sensationellste eignen werde. ev Und so war es auch. Miß Zephyra erfaßte nicht, wie sonst immer, die Balancir- stange; mit wagrecht gehaltenen Armen machte sie einige Schritte auf demSeile. Dann kniete sie nieder und zog aus dem Gürtel eine kurze Klinge, welche fast ebenso blitzte und funkelte, wie ihr Augenpaar, das in wildem, wahnsinnigem Hasse aufloderte. Und im nächsten Augenblicke begann sie das starke Seil zu durchschneiden. Der „Luftkaiser" war, als er dieses Beginnen der Wahnsinnigen wahrnahm, erst starr wie eine Bildsäule; er stieß einen die zitternden Beine gestatteten, von der Leiter herab auf das Seil. Schon stand er auf diesem, und die Leiter fallen lassend, lief er gegen das tolle Weib zu, das sich mit ihm Vernichten wollte. Da verdoppelte sich ihre Hast und Kraft —> noch ein Ruck — ein Schnitt noch. — Ein Aufschrei des Grausens und Entsetzens unten — und die beiden Körper sanften blitzschnell hinab in die Tiefe.. . So starb Miß Zephyra. Und der „Luftkaiser"? Er ist ein armer todessiecher Krüppel, der als Bettler mühsam von Haus zu Haus schleicht. Kurnortiftilches. Anspruchsvolle Passagiere. Der Zug hält, der Conducteur ruft mit heiserer Stimme den Namen der Station aus. „Lieber Conducteur!" rufen einige Passagiere ins Dunkel hinaus, „sprechen Sie doch deutlicher, kein Mensch versteht die Namen der Orte." — „Jawoll, meine jeehrten Herrschaften, für Sie wird die Direktion nächstens einen Heldentenor — sor 80 Mark monatlich engagiren." Ar« killehterteusek. Bei dem gestrigen Bäckerstrike war die Bäckerherberge der- Semmelplatz der wildesten Leidenschaften. In großen Städten sind die jungen Leute ganz besondere» Anfenchtungen ausgesetzt. Am Saume des Waldes stand eine uralte Tante, die zwei Männer kaum zu umspannen vermochten. Das Me Eine Sylvestergcschichte aus der Schw I. Da man 1645 schrieb, gab es für die Wiener eine bitterböse Zeit. Die Türkengrenel waren noch unvergessen in dem unglücklichen Lande, über dem die Kriegsfurie unablässig ihre blutige Geißel schwang, aber wahrhaftig, größere Angst noch, wie einst vor Michal Oglu, dem „Sackmaun", schritt vor Torstensohn, dem siegreichen Führer des Schwedenheeres, voran, der die kaiserlichen Truppen in der schrecklichsten Schlacht bei Jankau, da das Blut der unter dem schwarzgelben Banner Fechtenden in Strömen floß, vollständig vernichtet hatte. Waren doch nicht weniger als viertausend Mann auf der Wahlstatt geblieben und ebenso viele in Gefangenschaft gefallen, worunter der Feldmarschall- Lieutenant Graf Hatzfeld nebst fünf anderen Generalen und sieben Regiments- commaudanten, von Geschütz, Munition und Bagage ganz zu schweigen. Sengend und brennend, ärger schier als es die Moslims gethan, brandschatzend und überall Beute machend, wälzten sich die siegreichen Schaaren der Donau zu, gen Wien hin, in dem übermüthige» Verlangen, Kaiser Ferdinand dem Dritten in seiner eigenen Residenzstadt den Frieden zu dictiren. Jglau und Znaim, Stein und das vom Obersten Ranfft so löwenmuthig vertheidigte Krems fielen beim ersten Anprall, die Zwingfeste Dürrenstein, welche die Donau beherrschte, wurde gesprengt und in unaufhaltsamem Siegeslauf Kreutzen- stein und die mit Kriegsnothdurft aller Ar! reich versehene Stadt Korneuburg genommen. Da gab es denn ein gar schlimmes Prognostikon für die so plötzlichen feindseligen Ueberfalls kaum gewärtige Hauptstadt selber. Und sieh', wenige Tage danach standen auch die Schweden schon vor Wien, das auf der gegen Böheim führenden, zunächst bedrohten Straße nur durch einen armseligen Brückenkopf, die -Orakel. denzeit, von Htiokar Tann-A-eraker. sogenannte „Wolfsschanze" jenseits der Schottenau (der herna ch in aligen Brigitten au), geschützt war. Auch hier vermochten sich die Kaiserlichen, trotz aller verzweifelter Gegenwehr, nicht zu halten. Das Bollwerk, mußte in der Nacht vom neunten auf den zehnten April den Feinden preisgegeben werden. Hei, gab's da ein Wehklagen, ein Zagen und Bangen und Flüchten in der schwergefährdeten Stadt! Ging doch eine arge Sage von dem herzlosen Treibender Eroberer und, den Kindern und Erwachsenen zum Schrecken, machte der Reim die Runde: „Die Schweden sind kommen, Hab'n Alles mitg'nommen, Hab'n d'Fenster eing'schlagen, Das Blei davong'tragen, Hab'n Kugeln d'raus 'gössen, - D' klein' Kinder damit erschossen." Die Noth war groß, denn zu allem Ueberfluß stand Rakoczy, der Rebell, mit zweiundzwanzigtausend Mann Raitzen, Ungarn und Kurutzen bei Preßburg, der Gelegenheit gewärtig, zu den Eindringlingen zu stoßen. Und weiß Gott, ob des ungarischen Meuterers Gefolgschaft nicht vielleicht noch mehr zu fürchten war, wie jeder andere Gegner. Des Wieners noch heutzutage häufig erklingender Zornruf: „Kruzzitiirken!" („Kuruzzen und Türken!") mag das am besten darthun. Gab das ein Stoßen und Drängen, als am 9. April aus der Taborau und dann durch die Schottenau und Augarten- straße herauf die schwedische Abordnung gezogen kam, welche friedlichen Sinnes in Wien erschien, um allerlei Kauf zu besorgen. Dieser feindlichen Gesandtschaft, welche den Beutel wohl mit erbeuteten Thalern gespickt trug, war vom Kaiser Ferdinand freies Geleite zugesichert worden, zum Dank für den ritterlichen Sinn, den Torstensohn

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