Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

26 27 gab, , aber da Huberfranz ist hart, was der si in' Kopf setzt, führt er a durch." Mit umflortem Blick, zwei brennende Flecke auf den Wangen, war Lenerl der Auseinandersetzung athemlos gefolgt. „Von wem sprecht Ihr?" fragte sie aller Selbstbeherrschung baar, drohend, mit heiserer Stimme. Die beiden wohlhäbigen Bauern sahen das ärmlich gekleidete Mädchen erst eine Weile hochmüthig prüfend an, ehe ihr der eine gezwungen den kurzen Bescheid gab: „Vom Huberfranz." „Was ist's mit ihm?" fuhr Lenerl bebend fort, sie hatte die aufgeblasene Zurückhaltung, die dem bäurischen Dünkel eigen ist, gar nicht bemerkt. „Was ist's mit ihm, sprecht!" wiederholte sie ihre Frage heftig. Die beiden Bauern sahen einander verwundert an und hüllten sich dann in noch vornehmere Reserve. „Um der Barmherzigkeit Gottes wegen sprecht, gebt mir Bescheid!" rief Lenerl verzweifelt. „Was willst' denn wissen, Madel?" bekam sie endlich ungeduldig zur Antwort. „Was habt Ihr von ihm derzählt?" „Doaß a den Hof^verkauft hat und nach Amerika geh'n wird." „Welchen Hof?" „Den Großhof!" „Woas hat a mit dem Großhof z'thun, g'hört denn der da Tonerl net mehr?" „Freili — aber die Tonerl hat a ja g'rad jetzt vor zwei Jahren geheirat'." „Ihr lügt!" schrie Lenerl gellend auf. „Madel, bist verrückt?" richtete sich der Bauer beleidigt auf. Aber das Lenerl achtete nicht darauf, es war von seinem Sitz herabgeglitten und lag auf den Knieen, das Antlitz in den Händen verborgen. Kopfschüttelnd sahen die Bauern auf sie herab. Als der Wagen bald darauf in's Dorf einbog, ließen sie den Postillon halten und stiegen aus, es paßte ihnen nicht, ihre eigenen werthen Persönlichkeiten ferner in so fragwürdiger Gesellschaft zu belassen. Das Lenerl fuhr mit in's Dorf hinein, bei der Schänke vor. Der Herr Postver- wälter kam heraus, half dem Postillon die eingelaufenen Sendungen in's Haus tragen, und als er hörte, daß im Innern des Kastens noch ein Passagier weile, öffnete er den Schlag und lugte hinein. „Madel, bist krank?" traf eine freundliche Stimme Lenerl's Ohr. Mechanisch richtete sie sich auf und wandte dem Fragesteller ihr bleiches, entstelltes Antlitz zu. Der Postverwalter sah sie eine Weile nachdenklich an, dann rief er bestürzt: „Jessas, d'bist ja die Sumpfhauslenerl, wie kommst denn du hierher, bist etwa'n entsprungen?" schloß er leise und sah sich scheu um. Lenerl. hatte sich erhoben. „Nein", gab sie tonlos zur Antwort. Dann kletterte sie zum Postwagen hinaus, sah sich draußen um, als müsse sie sich erst besinnen, wo sie sei ehe sie die Straße entlang den Weg zurückschwankte, den sie gekommen war. „I leb! — i wach!" rief sie sich selbst zum Bewußtsein und strich mit der zitternden Hand über die wachsbleiche Stirn, auf der große, kalte Tropfen perlten. „Nimm di in Acht, Lenerl, d' bist aus der Straßen, darfst net z'sammen- brechen — no net — vorwärts, vorwärts, Lenerl, halt di aufrecht — wann d' di hier hinlegst, is' aus mit dein' Kräften, dann kommst nimmer vorwärts." So sich Fassung predigend, die Verzweiflung hinter sich, gelangte sie aus dem Dorf hinaus in's Freie und endlich, endlich in den bergenden Wald Mit einem schrillenden Aufschrei drängten sich die eingedämmten Seelenqualen mit elementarer Plötzlichkeit hervor. Lenerl warf sich zu Boden, auf's Antlitz. Beide Hände in die Haare vergrabend, die Fußspitzen mit convulsivischem Zucken in den moosbewachsenen Waldboden iohrend, schob sie sich in ihrem wahnsinnigen Herzeleid, ruckweise wie ein Reptil, auf dem trockenen Erdboden dahin. „Betrogen! betrogen!" kam es zischend aus ihrer keuchenden Brust und in der Raserei ihrer Verzweiflung raufte sie ihr Haar, bohrte die Zähne in ihr eigenes Fleisch und riß sich das Gewand in der Zerstörungswuth ihres grenzenlosen Jammers, Ruck um Ruck, fetzenweise vom Leibe. Dann sprang sie auf, den brennenden Kopf zwischen die Hände gepreßt, wankte sie in betäubender Aufregung zwischen den Bäumen auf Und ab. Mit wo- zender Brust blieb sie endlich stehen, die wilden Blicke stier zur Erde gerichtet, so verharrte sie, eine lebende Verkörperung des Hasses, während sich mit unendlichem Weh ein neugeborenes Gefühl in ihr losrang — der Rachedurst. Rache! dachte sie, dann flüsterte sie's und inimer noch einmal wiederholte sie das traurige Wort mit begeistertem Ton, bis sie es laut und gellend vor ihrem eigenen Ohr erschallen hört und es das Echo hier und da an den Bäumen ab- pralleud wiederholt. Aber sie hat noch nicht genug daran. Noch öfter will sie's hören, immer schneller ruft sie's, immer rasender arbeitet ihre Brust und immer gellender hallt's im Walde wieder: „Rache!" Rache schreit sie unaufhörlich, convul- sivisch, bis sie in hysterische Krämpfe aus- bricht, sich zuckend wie eine gräßliche Verkörperung des Wahnsinns auf dem Waldboden wälzt und ihre Verzweiflung mit rasenden Geberden zum Himmel aufschreit. In dumpfes Brüten versenkt, lag Lenerl Abends in ihrer Hütte. Sie hatte das Sumpfhaus so wieder gefunden, wie sie es vor Jahren verlassen. Der verrostete Schlüssel lag noch unter der Schwelle, wohin sie ihn gelegt hatte und auch im Innern war Alles unverändert. Wie sollte es auch anders sein. Die Mäuse und alle anderen ein- und ausschlüpfenden Thiere hatten nichts hinaustragen können, des Stchlens würdige Objecte befanden sich nicht in dem verfallenen Raum. Es roch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2