Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

24 sprachen, nur mit einer dreijährigen Gefängnißhaft bestraft worden. Und die Tage vergingen. Die Sonne ging auf und unter, es wurde Sommer und Winter und endlich konnte Lenerl, als sie eines Morgens auf ihrem Strohlager erwachte, jubelnd constatiren, daß es nur noch einmal Winter zu werden brauchte und sie war wieder srei. Zärtlich preßte sie die Hand auf die liebeathmenden Briefe, die sie am Herzen trug und die Franz immer rechtzeitig, allmonatlich, wie sie es verabredet hatten, in ihr Exil sandte. Erstickend heiß quoll es in ihrem Herzen auf, wenn sie sich der Vorstellung hingab, wie er sie bei ihrem Austritt aus den engen Kerkcrmauern empfangen würde, wie er sein ganzes Leben nur zu einer großen Danksagung werde gestalten wollen und wie sie diese über- schwänglichen Aeußerungen werde abwehren müssen, denn er sollte es nicht so tief empfinden, sollte sich nicht dadurch bedrückt fühlen, sondern nur glücklich, unendlich glücklich in ihrer Liebe werden. Wieder waren ein paar Wochen in öder Langeweile, in unendlichem Sehnen, in Bangen und Verzagen für sie dahin- gegangen. Wer nie die goldene Freiheit entbehrt hat, er kennt sie nicht, die bleierne, niederdrückende, entsetzenbringende Muth- losigkcit, die den Gefangenen Stunde um Stunde verzehrt. Eines Morgens wurde Lenerl zum Strafamtsdirector geführt und mit freundlicher Miene machte er ihr die frohe Verkündigung, daß ihr der viermonatliche Rest ihrer Strafzeit in Anbetracht ihrer tadellosen Führung erlassen sei. Mit einem Freudenschrei fiel Lenerl auf die Knie. „Heilige Muttergottes, wie bist . du gnädig!" rief sie jauchzend, während sie die abgemagerten Hände emporsteckte und ein heißer Thränenstrom ihr blasses Antlitz überfluthete. „Heut noch soll i wieder fort?" , Als der ernste Mann ihr bewegt zu- nickte, da fuhr sie jubelnd wie ein Kind mit freudebebender Stimme fort: „i soll die Sonne heut noch seh'n? — den blauen Himmel — soll die Vögel sing'n hör'n — denn s'ist ja Sommer — Sommer ist's und mein' Berge, meine grün'n Berg' soll i seh'n!" Aengstlich, wie ein Kind die ersten Schritte macht, trat sie mit beklommenem Athem über die Gefängnißschwclle hinaus in die Freiheit. Ihr durstiges Auge um- faßte groß und weit mit einem unendlichen Liebesblick die ganze Welt. — Oben blauer Himmel — rechts und links freie Luft, Alles groß und weit. Keine Schranke war ihren Schritten gesetzt, sie konnte nach freiem Ermessen nach allen Richtungen hinstreben. Wohin sie schaute, war die Welt, wohin sie ging, Freiheit, überall um sie her dasselbe Herrliche, die große, schöne Schöpfung gehörte ihr — „ich bin die Welt" — kam die philosophische Erkenntniß über sie. Jauchzend und erschüttert, von Seligkeit übermannt, trat sie den Weg zum Bahnhof an. Ihr Entzücken über die wiedcr- gewonncne Freiheit war so groß, daß sie erst jetzt, als sie, von ihren überwältigenden Gefühlen wie auf Flügeln dahinge- tragen, auf dem Bahnhof anlangte, an Franz und die Wonnen des Wiedersehens dachte. Was sie zuerst versäumt, dem widmete ie sich aber nachher mit um so beglücken- derer Hingabe. Jede Gefühlsphase des bevorstehenden Wiedersehens zauberte sie in entzückender Detailmalerei vor ihr zeitiges Auge. Jeder Blick, jeder Händedruck ollte ja ein Ereigniß werden — sein Jubel — sein Staunen, o Gott, o Gott, welche Ueberfülle von Glück! Berauscht drückte sie beide Augen zu und überließ sich ihren beseligenden Betrachtungen, die ihr freudelechzendes Herz in erstickendem Wonnegefühl wollustartig schwellten. Aber die Freude und Ungeduld, als das Lenerl die Eisenbahn im Rücken hatte nid in die Post gestiegen war, die sie nach dem Heimatsdorf bringen sollte! sie wußte nicht ein, nicht aus mit ihren Gefühlen. Unruhig auf dem Polstersitz hin und her rückend, blickte sie bald links, bald rechts zum Wagenfenster hinaus. Ach, es ging so langsam vorwärts und so viele Ortschaften waren zu passiren, ehe sie in das Thal einbogen, in dem ihre Heimat lag. Der Postillon blies, der Karren hielt vor der Schenke, dessen Wirth zugleich Postverwalter war, ein Passagier stieg aus und ein neuer kletterte ein. Dann ging's weiter, langsam, aber sicher immer dem Glück entgegen, dachte Lenerl innerlich frohlockend. Sie hatte sich's so zurecht gelegt. Vor dem Dorfe wollte sie dort, wo sich der Weg abzweigt, der nach dem Sumpfe führt, aussteigen. Wozu sollte sie sich erst im Dorfe verletzenden Blicken und dem scheuen Ausweichen Bekannter aussetzen. Dort am Wege wollte sie warten, bis der Geliebte kam, den der Postillon Hinbescheiden sollte; da er sie nicht kannte, würde er dem Liebsten ja nicht verrathen können, wer auf ihn harrte. Und wenn er dann gekommen war und wenn sie einander lachend und weinend in die Arme gesunken waren, dann gingen sie nach dem Sumpfhaus. Dort konnten sie sich aussprechen n«b dort wollte sie sich so lange aufhalten, bis er reisefertig war und mit ihr hinaus25 zog in die schöne, große Welt, zu neuem Leben, zu Freiheit und Glück. In seliges Sinnen versenkt, achtete sie weder auf die Mitreisenden, noch deren Gespräche, bis ein bekannter Laut, der wiederholt mechanisch an ihr Ohr schlug, sie aufrüttelte. „Sie wollte erst nicht," sagte der eine Fremde, „aber er hat ihr kein' Ruh' g'lass'n und am End' hat er o. recht, doaß er d' Heimat verläßt, eh' dös Unglücks- madel zurückkehrt." „War er denn wirkli mit ihr ver- sproch'n?" „Man sagt ja, doaß sie den Bauern in da Aufregung, weil er ihr erklärte, aus ihrer Heirat mit dem Huberfranz könnt' nix werd'«, an da Brust packte und niederstieß." „Das ist also an unglücklicher Zufall g'wes'n?" „Weiß man's?" meinte der Andere achselzuckend. „Zeug'n waren net bei und blaue Flecken hat d'Leich a am Hals g'habt" „Schade um den schönen Hof, wann's da Bauer selig wüßt', im Grab thät a sich umdreh'n." ,,D' Toni soll sich a d'Aug'n aus- g'weint haben, eh' sie ihr' Einwilligung

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