Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

4 bemerkte, daß sie wie erschreckt einen Schritt nach rückwärts machte, als sie seiner ansichtig geworden, „daß ich noch nicht einmal daran gedacht habe, mich der schönen Deputirten meiner Gnomen vor- zustellen, mein Name ist Baron Reisinger, der im Augenblicke keinen andern Wunsch hat, als den einer günstigen Aufnahme seiner nicht ganz uneigennützigen Pro- position." Er „Wenn Herr Baron den vom Herrn Verwalter in Ihrem Namen gemachten Vorschlag meinen," ergriff Mathilde das Wort, „so habe ich ebensoviel Verständniß für die mir zugedachte Ehre, als für die Pflichten der Familie gegenüber, in deren Sold ich mich jetzt befinde ..." „O das wäre schade . . . ist etwa Ihr Herr Papa nicht einverstanden?" „Keineswegs, er war sehr erfreut, es hindert mich nur der angeführte Grund." „Sie sind bei einer Familie, der sie vielleicht näher attachirt sind?" wendete Reisinger forschend ein. Mathilde mußte diesem Blicke, der die Gedanken des Freiherrn deutlicher aus- drückte, als mit vielen Worten hätte geschehen können, erröthend ausweichen. Was hatte dieser fremde Mann für ein Recht, in solchem Tone mit ihr zu sprechen? stand vor ihr wie ein strenger Richter fast, mit leicht gerunzelter Stirne und Antwort heischenden Blicken, so herrisch, so anmaßend! Und eben dieses gebieterische Wesen des Fremden imponirte ihr; sie faltete — ein äußeres Zeichen der Unterwerfung — die Hände und schlug die Augen nieder. Der Baron weidete sich an diesem schnellen Siege: der erfahrene Mann wußte, daß es nun an ihul sei, denselben entsprechend auszunützen. „Ich habe keinen Grund, Ihnen die volle Wahrheit vorzuenthalten," unterbrach Mathilde endlich entschlossen die Pause, „schon in der Residenz kam mir ein Gerücht zu Ohren, Herr Baron, welches die Vorgänge, die endlich zur Scheidung von Ihrer Gemalin führten, in einer für Sie nichts weniger als günstigen Weise schilderte ..." Sie schwieg und sah den Freiherrn fest an, der ihren Blick voll erwiderte; nur ein leises, räthselhaftes Lächeln zuckte um- seine Lippen. „Und um Ihnen darzuthun, welchen Eindruck dieses Gerücht auf mich gemacht nehme ich das Anerbieten, als, Erzieherin Ihres Kindes in Ihr Haus zu treten, gerne an!" Sie hielt ihm die Rechte entgegen, die ihr neuer Gebieter ergriff, um einen Kuß darauf zu drücken. „Ich danke Ihnen tausendmal für diese Meinung," sagte er mit einer Innigkeit des Accentes, welche in solchen Mouienten einem jeden Mann von Welt zu Gebote steht, „es ist hier weder Zeit noch Ort zu näheren Erklärungen meiner Handlungsweise und ich werde Ihnen solche auch später nicht geben. — Ihre eigene Beobachtung meines Thun und Lassens wird Ihnen am besten darüber Auskunft ertheilen, ob das Gerücht im Rechte war oder die Stimme Ihres edlen Herzens; — nochmals meinen Dank; ich bitte Sie nunmehr, mich jetzt zu Ihrem Herrn Vater zu begleiten, damit wir in seiner Gegenwart und mit seiner Zustimmung auch den geschäftlichen Theil dieser Angelegenheit in Ordnung bringen können " Der Baron bot ihr höflich seinen Arm, in den sie die Fingerspitzen ihrer rechten Hand legte. So traten die Beiden in die Wohnung des Oberhäuers ein, der sich über solche Herablassung des neuen Bergherrn kaum fassen konnte und all den außerordentlich günstigen Bedingungen desselben mit selbstverständlicher Bereitwilligkeit zustimnlte. Lebhaftigkeit — der Obhut Mathildens, die sich mit ihrer stillen Freundlichkeit sofort das Herz ihres Schützlings eroberte. Der alte Sturm war froh, seine geliebte Tochter um sich zu haben, deren zarte Gesundheit unter dem kräftigenden Einflüsse der würzigen Bergluft zusehends sich festigte, und die kleine Mimi bekam Wängelchen wie ein Apfel und hing an ihrer neuen „Mama", die so herrliche Spiele kannte und gar nicht so mürrisch und strenge war wie die vorige, mit der ganzen Liebe, die ein Kind, welches die Mutter in so jungen Jahren schon entbehren muß, und sei's auch die Stiefmutter, dem Menschen so willig entgegen- bringt, der es nachsichtig und gut zu lenken versteht. Der Sommer war bereits ins Land gezogen, und der Baron war mit den administrativen Anordnungen, die er in wenigen Tagen zu erledigen die Absicht gehabt, noch immer nicht zu Ende; und eines Tages erklärte er dem Verwalter Bollmann, der diese Nachricht ohne das geringste Staunen, ja mit einer Miene anhörte, als würde er sie schon längst erwarten, daß er sich entschlossen habe, mit Rücksicht auf sein so sichtbar gedeihendes Kind und auf die weltabgeschiedene und gesunde Lage der Gegend, die Zeit bis zum Ende des Sommers hier zu- zubringen. Der Freiherr war ein ausgezeichneter Vater,, und dieser Umstand allein schon überzeugte Mathilde .vollständig von der Grundlosigkeit der über ihn circulirenden böswilligen und verleumderischen Gerüchte. Er sprach oft stundenlang mit ihr über seine Erziehungspläne und ließ es sich niemals nehmen — er, der ernste, stolze Mann — an den muthwilligsten Kinderspielen mitzuwirken, wenn er sie zufällig auf den Spaziergängen traf, was später immer häufiger der Fall war. Die tägliche Regelmäßigkeit dieses zufälligen Zusammentreffens wurde nachgerade eine so augenfällige, daß die Bergleute sie zu besprechen anfingen, in einer Weise, die der schlichte, alte Stilrm Am nächsten Tage schon übergab der Freiherr sein Kind — ein reizendes Mädchen voll kindlicher Munterkeit und

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