Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

102 geschlossenheit seines Stamnisitzes ausgewachsene Jüngling noch nicht ahnte, welch' liebeglühendes Herz ihm so nahe entgegenschlug. Sie merkten es daher mcht, daß sie ganz abseits vom Menschengewoge an einer Stelle angekommen waren, wo der Hang steil gegen den Fluß zu abfiel, und wo nette Ruhebänke zum Sitzen einluden. Die Dame setzte sich und lud mit einer Handbewegung Sebastian ein, neben ihr Platz zu nehmen. Das schöne, junge Weib war seltsam befangen. Nur mit wankender Stimme vermochte sie das Gespräch mit ihrem Führer fortzusetzen. „Ihr habt daher, Junker, bis jetzt in dieser Stadt wohl viel glückliche Tage gesehen?" sagte sie leise. „Ist denn nicht Jeder glücklich, der glaubt, dass er glücklich sei", antwortete der junge Mann. „Was braucht man denn viel, um ein angenehmes und glückliches Leben zu führen?" „Es ist wahr", entgegnete sie. „Ihr Naturmenschen in diesem schönen Thale seid beneidenswerth. Bei uns im fernen Brabant ist das Leben wohl anders gestaltet. Dort dürftet Ihr kaun: einen Genossen Eures Alters finden, der sich niit einem so edlen Ehrgeize begnügen würde." „Ich kenne Burgund und Brabant", sagte Sebastian. „Ich folgte dem Kaiser vor vier Jahren, als es gegen den Herzog von Eleve ging. Dort allerdings ist ein sonnigeres Leben, aber die Herzen sind dort frühzeitig alt, und nur als Märchen gilt ihnen Liebe und Treue." Das Edelfräulein erbebte. „Ihr sprecht von Liebe und Treue, liebt Ihr denn?" frug sie. Sie frug es mit tiefem Erröthen. Der Jüngling sah sie schüchtern an. Bei dem Anblicke ihrer Schönheit vermochte er kein Wort hervorzubringen. Doch plötzlich verließ ihn seine starre Haltung, er sprang von der Ruhebank auf und demüthig vor Alice hinsinkend, bedeckte er ihre Hände mit Küssen. „Ja, ich fühle es, ich liebe", rief er aus, „ich liebe Euch, Ihr Engel des Lichtes! Ich liebte Euch gestern in der ersten Stunde, da ich Euch gesehen, und keine Liebe der Welt kann der meinen gleichen!" Sie stieß einen Schrei des Entzückens aus. „Ihr liebt mich?" rief sie ihrerseits vor Freude aus. „O, Junker, steht auf. . . ." Dann aber senkte sie plötzlich ihre Augen und setzte hinzu: „O nun bin ich glücklich, ich werde die beneidenswertheste aller Frauen sein!" So verblieben sie einige Minuten lang, Hand in Hand, schweigend, mit klopfendem Herzen, bewältigt von jenem unermeßlichen Glücke, das ihnen nun zugefallen war. „Wir lieben uns!" sagte endlich Alice bewegt, „ich bin reich und Du bist von Adel! Einst wirst Du als Herr einziehen in die Räume des Wohnsitzes Deiner Vorfahren, und ich werde, gestützt auf Deinen Arm, dann die Schwelle desselben überschreiten." Der Junker fürchtete zu sterben, so groß war die Freude, die sein Herz fast erdrückte. Er sah den Himmel offen und ahnte nicht, daß bald alle Qualen der Hölle seine Brust zerfleischen würden. Welcher Art die Unterredung gewesen war, die das brabantische Edelfräulein nach der Rückkehr von jenem nächtlichen Spazierritte nach Garsten noch so dringend von ihrem Begleiter Don Ramo verlangt hatte, blieb für die Unbetheiligten ein Geheimniß. Kurz nach dem festlichen Aufzuge der Zünfte vor dem St. Gilgenthore war der Spanier verschwunden und blieb für mehrere Tage verschollen. Des letzten Abends aber, als der Kaiser dem Adel und den Rathsherren der Stadt zum Abschieds das Festmahl gab und die alte Steyrerburg von Frohsinn und Freude widerhallte, während der Wein in Strömen floß in den in Gold ciselierten Bechern und ein üppiger Schmauß die edelsten Gäste im Ehrensaale vereinigte, öffneten sich plötzlich die beiden Flügel der Thüre und Don Ramo erschien an der Schwelle gleich jener grausigen Statue des Commandeurs, welchen Don Juan zum Gastmahle geladen. Bei seinem Anblick durchrieselte ein Schauer des Entsetzens und einer unerklärlichen Angst den Junker von Loßstain, der neben der Burgunderin am Tische saß. Der Spanier grüßte mit einem widrigen Lächeln, verneigte sich tief gegen den Fürsten hin und nahm an der Tafel Platz. Allein seine Ankunft hatte eine merk- würdige Verstimmung hervorgebracht, das witzsprühende Lachen und der lustige Becherklang verstummten nach und nach, und kaum, daß Kaiser Max aufgebrochen, erhoben sich auch die Gäste einer nach dem andern von ihren Sitzen und ver- schtvanden still und schweigend. Auch Alice war bleich geworden und nahm es nur ungern entgegen, daß Don Ramo ihr den Arm bot und sie aus dem Saale führte. Voll Furcht und Angst warf sie einen Blick auf den Junker, der sich dies rüth- selhafte Gebühren nicht zu deuten wußte. 3U§ sie den langen Gang dahin- schritten, kehrte ihr der Muth insoweit zurück, daß sie den Spanier mit wankender Stimme fragte, was sein störendes Erscheinen bedeute. Ein höhnisches Gelächter von den Lippen Don Ramos war die Antwort. „Bei Gott", rief er aus, „Ihr gefällt mir, Alice! Habt ihr wohl ganz vergessen, was Ihr mir, Eurem Ohm und Vormund, und Eurem Stande schuldig seid, daß Ihr hier mit dem bäuerlichen Junker, der Euch den Steigbügel halten muß, scharmutzt und liebäugelt? Ihr glaubtet mich wohl schon auf dem Ritte nach Burgund?" Die Dame erbleichte, doch faßte sie sich und entgegnete ruhig: „Ich lieberen Junker!" „So meinet Ihr! Ihr liebet den Burschen", sagte er mit schneidendem Spotte. „Wollt Ihr das Gemahl eines deutschen Krautjunkers werden und vielleicht Bohnen ziehen und Hühner züchten mit diesem jungen Bären aus purer Herzensduselei?" 103 Und er lachte von neuem höhnisch auf. Alice hörte ihm mit von Angst- schweiß triefender Stirne zu, sprach aber kein Wort. • „Unglücklicherweise", setzte der Spanier fort, „fehlt mir, dem für Dich zu sorgen obliegt, jene Seelengröße, welche so großer Aufopferungen fähig ist, und ich mache daher deni Spiel ein Ende, ehe der Funke zur Flamme wird. Kaisers Majestät hat mich mit einer wichtigen Sendung nach Frankreich betraut, auch Dir wird die Reise wohl thun, daher wirst Du mich begleiten. Daß der Junker Dich nicht mehr belästigen würd, das lasse nur meine Sorge sein." Diese Worte hatten die Wirkung eines Blitzes auf das junge Fräulein. Athemlos stieß sie einen lauten Angstschrei aus. „Ach", rief sie, „ich soll ihn also gar nicht Wiedersehen?" „Nie mehr!" erwiederte er heftig. „Gott, mein Gott" rief sie verzweifelnd, „Ihr seid härter als ein Stein, gefühlloser als das rauhe Eisen, das sie hier aus den Bergen brechen. Ich werde dem Kaiser mich zu Füßen werfen und seine Gnade erflehen." „Umsonst", sagte der Spanier darauf. „Dazu ist es zu spät. Die Vorbereitungen zur Abreise sind getroffen. Begebt Euch nun zur Ruhe. Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl müssen wir zu Pferde sein." Ein Seufzer des entsetzlichsten Schmerzes entrang sich der bedrückten Brust des gequälten Weibes. „Ich bin verloren", rief sie aus, „ewig verloren!" Sie hatte ihr Antlitz mit beiden Händen bedeckt, und ihre Thränen quollen zwischen den Fingern hervor. Es war ein Airblick, der selbst den herzlosen Spanier rührte. „Ermannt Euch", sagte er milder, „reißt diese unglückselige Liebe aus Eurem Herzen, sie ist nichts für Euren Rang, und einst werdet Ihr mir noch Dank wissen für meine Strenge. Und nun gehabt Euch wohl, möge Euer Erwachen

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