Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

78 79 mittelkunde, Armeeverpfleguug, Sport, alle diese ins Volksleben tief eingreifenden Factoren wurden in einem malerischen und übersichtlichen Bilde zur Anschauung gebracht. Der Präsident des genannten Vereines, Fürst Wrede, die Directoren Lichtblau und Eisler erwarben sich das höchste Verdienst um das Gelingen des ersprießlichen Werkes; dem Schönheits- und Vergnügungsbedürfniß trug in geradezu genialer Weise der Architekt Oskar M a r m o r e k Rechnung, der im Rotundenparket unter dem Titel eines „Internationalen Dorfes" ein höchst malerisches Ensemble ländlicher Gebäude erstehen ließ, in denen Kosthallen, Gasthäuser, Weinstuben, Trat- torien, Osterien untergebracht wurden. Se. Majestät der Kaiser selbst verlieh dadurch, daß er der Eröffnung beiwohnte, der Ausstellung Glanz und Bedeutung, so daß bis zu dem am Ar. Aranz Schmeyliak. 1. Juli erfolgten Schlüsse des Unternehmens die Rotunde " der Sammelpunkt aller vergnü- gungs- und belehrungsbedürstigen Wiener wurde, und ein namhafter Reinertrag das Gelingen des schönen Werkes krönte. Der zum ständigen Arbeiterfeiertag gewordene 1. Mai verlief wie überall auch in Oesterreich-Ungarn in Ruhe und Ordnung. Am 3. Mai wurde die Oeffentlichkeit durch die Hiobspost überrascht, daß sieben, meist dem Handwerkerstände angehörige junge Leute, welche dem „Vereine der Höhlenforscher" in Graz angehörten, vor etwa einer Woche in das Luegloch zu Semriach bei Graz eingedrungen seien, um diese Höhle zu durchforschen, daß sie aber durch das seither eingetretene Hochwasser eingeschlossen und voraussichtlich dem Hungertode preisgegeben seien. Eine großartige Rettungsaction wurde eingeleitet, Dämme wurden gebaut, um den Semriachbach abzuleiten und den Eintritt in die Höhle zu ermöglichen, aber das fortdauernde Unwetter vereitelte alle diese Anstalten. Endlich gelang es, durch Sprengung eines Stollens zu den Verunglückten zu gelangen und sie, zwar in sehr herabgekommenem Zustande, aber lebend aus der Höhle herauszubriugen. Am 9. Mai brach im Ostrauer Kohlenreviere ein Ausstand der Bergarbeiter aus, wie er in dieser Ausdehnung vielleicht in Oesterreich noch nicht dagewesen. Nicht weniger als 13.000 Grubenarbeiter in Polnisch-Ostrau, Fal- kenau und den umliegenden Gruben betheiligten sich amStrike und ließen sich durch fremde Agitatoren so in Erbitterung hineinhetzen, daß in Falkenau eine Schaar von Sinkenden einen Schacht stürmen wollte. Die sieben zum Schutze des Schachtes bestellten Gendarmen sahen sich von der wüthenden Menge aufs Aeußerste bedroht und mußten von ihren Gewehren Gebrauch machen. Zehn Mann von den Stürmenden wurden durch das Gewehrseuer der Gendarmen getödtet, 24 zum Theile schwer verwundet. Dieses schreckliche Ereigniß wirkte ernüchternd auf die erhitzten Gemüther und der Strike wurde bald darauf beigelegt. Indessen hatte in Ungarn das Ministerium Wekerle die Annahme der Civilehe-Gesetzvorlage im Reichstage glücklich durchgesetzt, aber die Rechnung ohne das Magnatenhaus gemacht. Der Adel des Landes lehnt die ihm gefährlich scheinende Reform ab. Die Sache ging nun ihren gewöhnlichen Weg. Das Nuntium der Ablehnung ging an das Abgeordnetenhaus, diesem folgte das Renuntium des - Unterhauses, das am weitesten seitab von den Centren der Cultur liegt, wurde am 6. Juni in Lemberg eröffnet. Da der Kaiser durch Regierungsge- schäste verhindert war, die Eröffnung selbst vor- zunehmen, entsendete er zu diesem Zwecke den allverehrten And in solchen Angelegenheiten vielbewährten „Ausstellungs-Erzherzog", wie sich Erzherzog Carl Ludwig selbst mit Vorliebe nennt. Die Ausstellung, die ein überaus instruc- tives und dem Kronlande Galizien zur größten Ehre gereichendes Bild, sowohl von dem Reich- thum an Rohproducten als auch von dem rüstig und erfolgreich fortschreitenden Gewerbefleiße seiner Bewohner bietet und an Geschick des Arrangements mit jeder Weltausstellung wetteifern darf, wurde im Laufe des Sommers von einer großen aus Reichsrathsabgeordneten bestehenden Reisegesellschaft, vom Nieder- österr eichichen Gewerbeverein, sowie von einer großen Zahl von Corporationen und Einzelnbesuchern aus aller Herren Länder besichtigt und fand geradezu begeisterten Beifall. Ein entsetzliches Unglück wurde am 13. Juni aus Karwin, dem bedeutendsten Kohlensund- orte Oesterreichisch-Schlesiens, gemeldet. In einem, dem Grafen Larisch gehörigen Schachte fanden theils in der Nacht vom 13. auf den 16. Juni, theils am Morgen des letztgenannten Tages Explosionen schlagender Wetter statt, die in der ganzen Umgebung höchstes Entsetzen verbreiteten. Man wußte, daß eine nach Hunderten zählende Schaar von Grubenarbeitern in den dunklen Tiefen der Erde weile. Rasch eingeleitete Rettungsversuche hatten zunächst den traurigen Effect, daß die Rettungsmannschaft selbst theils getödtet, theils verwundet, theils durch neue Explosionen an der Ballführung ihrer humanen Aufgabe gehindert wurde. Viermal hintereinander hörte man den entsetzlichen Donnerschlag, viermal sah man die drohende Flamme über dem Schachte empörlodern — das Ende war unendlicher Jammer. Vier Beamte, welche retten wollten, wurden getödtet, nicht weniger als 200 Arbeiter bezahlten ihren schweren Beruf mit dem Tode. Nur wenige von den Leichen wurden geborgen, zur Stunde, da dieser Bericht geschlossen wird, wüthet der Grubenbrand noch fort und die Leichen der Zurückgebliebenen werden wohl die Feuerbestattung durch das brennende Grubengas erfahren. Deutschland» Fast wolkenlos heiter ging das verflossene Jahr über Deutschland hinweg. Innerlich gefestet und hochragend wie seine Eichen, von seinen Freunden geliebt, von seinen Feinden gefürchtet, in Ruhe und Stetigkeit seine cultu- rellen Ziele verfolgend, so steht Deutschland vor uns da. Der Sicherung seines Besitzstandes und seines politischen Ansehens hat Deutschland in die nochmalige Annahme und Zurückleitung an das Oberhaus. Da aber das abermalige Schicksal des Gesetzes nicht zweifelhaft sein konnte, suchte Wekerle die Chancen des Gesetzes dadurch zu verbessern, daß er von der Krone einen ausgiebigen Pairsschub verlangte, um das Stimmen- verhältniß im Oberhause zu Gunsten der Vorlage zu verschieben. Als der Kaiser auf diese Proposition nicht einging, gab das Cabinet Wekerle am 2. Juni seine Demilsion. Nun wurden nacheinander der Banus von Croatien, Graf Kuen-Hedorvary und der Präsident des Abgeordnetenhauses Bansfy mit der Bildung eines neuen Cabinetes betraut. Aber wiewohl dieses auch liberal sein sollte, steifte sich die Gefolgschaft Wekerle's darauf, daß sowohl der frühere Ministerpräsident, als auch der Justizminister Szilagyi, der eigentliche Vater und hartnäckigste Verfechter des Ehegesetzes, in dem neuen Cabinet verbleiben, so daß diese Cabinets- bildungen scheiterten. Besonders gegen die Wiederberufung Szilagyi's sträubte man sich bei Hofe, wo auch die Person des früheren Justizministers mißliebig war. Aber die Demonstrationen der im Banne Wekerle's stehenden Bevölkerung und der Widerstand der liberalen Abgeordneten war so intensiv, daß endlich die Krone, streng constitutionell wie immer, in die Neubildung des Cabinetes Wekerle mit Szilagyi willigte. Mit diesem Ausgange war die Annahme des Ehegesetzes im Magnatenhause gesichert; denn indem die Magnaten das Bestreben der Krone, den Frieden um jeden Preis zu erhalten, sahen, enthielt sich ein Theil derselben der Abstimmung, während ein anderer Theil, seinem früheren Votum entgegen, für das Gesetz votirte. So wurde dasselbe am 21. Juni auch im Magnatenhause angenommen. Am 7. Juni ging über Wien und Umgebung ein furchtbares Hagelwetter nieder, wie es in so furchtbarer Gewalt seit vielen Jahrzehnten nicht erlebt wurde. Haselnuß- bis taubeneigroße Eisstücke fielen mit schrecklichem Getöse nieder, große Verheerungen wurden in den Aeckern und Weingärten angerichtet, mehrere Menschen wurden getödtet, viele schwer und leichter verletzt. In einzelnen Straßen und in den Höfen der Häuser standen die Ersmassen kniehoch, in viele niedrig gelegenen Wohnungen drang Schmelzwasser ein, so daß die Bewohner delogirt werden mußten. Das 14. Corps-Artillerieregiment, welches au der Simmeringer Haide manöverirte, hatte unter der Katastrophe viel zu leiden und nicht weniger als dreizehn Leute der Mannschaft und mehrere Officiere wurden überfahren und schwer verwundet. Etwa eine Million Fensterscheiben wurden zerschlagen. Eine umfassende Hilfsaction für die von dem Elementarereigniß am schwersten betroffenen wurde sofort eingeleitet. Ein großartiges Ausstellungswerk, welches berufen ist, die natürliche und gewerbliche ^eistungsfühigkeil eines Kronlandes zu beweisen,

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