72 des Abgeordnetenhauses, der^ deutschen^ Linken, des Hohenwart-Clubs und der Polen, und das Resultat dieser Annäherung war der Beschluß, daß in einem künftigen Cabinete diese drei Parteien eine gleichmäßige Vertretung finden sollten. Damit war der Boden für die Lösung des Conflictes gegeben, aus diesem Beschlusse konnte nur ein Ministerium der eoalirten Parteien hervorgehen. Am 8. November erhielt Fürst Windischgrätz vom Kaiser den Auftrag zur Cabinetsbildung und am 11. November war das Coalitionsministerium gebildet. Fürst Windischgrätz wurde Ministerpräsident, dem Standpunkte des HohenwartClubs wurde durch Beibehaltung der beiden conservativen Minister Graf Schön born (Justiz) und Gras Falkenhayn (Ackerbau) Rechnung getragen, von der Linken übernahm v. Plener das Portefeuille der Finanzen, Graf Wurmbrand das des Handels, die Polen erhielten in Madeyski das Portefeuille für Cultus und Unterricht und den Landsmannminister Jaworski. Für die Leitung des Ministeriums des Innern wurde der frühere Handelsminister Marquis Bacquehem gewählt, der nie ein prononcirter Parteimann gewesen war. Am 23. November stand das Coalitions- ministerium zum ersten Male vor dem wieder einberufenen Hause und entwickelte sein Programm, auf Grund dessen noch heute regiert wird. In Ungarn bereiteten sich indessen folgenschwere Dinge vor. Das liberale Ministerium Wekerle hatte auf sein Programm das Civil- ehegesetz gestellt, welches das Sacrament der Ehe ganz der Jugerenz der Kirche entziehen und unter staatliche Oberhoheit stellen soll. Es ist begreiflich, daß die Katholiken und der Clerus sofort in scharfen Gegensatz zu diesem Gesetze traten. Wekerle hatte aber nicht nur mit dem Widerstand dieserBevölkerungselementezurechnen auch von Seite der Krone, welche die katholischen Traditionen immer hochgehalten hatte, bestand erhoben. Als ihn der Undank seines Volkes und ausländische Umtriebe vom Throne und aus dem Lande stießen, da trat er in den österreichischen Militärdienst und lebte seinem freierwählten Berufe und seiner Familie mit eben der Aufopferung, mit der er der Befreier Bulgariens geworden. Eine prächtige ritterliche Männergestalt, ein edler Charakter ist mit ihm geschieden. Die Dankbarkeit Bulgariens erwachte an seiner Bahre wieder und sein Leichnam wurde in bulgarischer Erde bestattet. Seiner Witwe, der ehemaligen Sängerin Loisinger, setzte das bulgarische Volk eine ansehnliche Witwenpension aus. Der 28. November sah in Wien ein wichtiges, künstlerisches Ereigniß. An diesem Tage wurde der Schlußstein zum RaimundAr. Melierte. wenig Geneigtheit, das Cabinet zur Einbringung des Gesetzes zu ermächtigen. Erst als die Abreise des Kaisers aus Budapest, ohne daß vorher diese Ermächtigung erfolgt wäre, einige Unruhe in dem liberalen Theile der Bevölkerung erregte, gab .die Krone, durch die Umstände gedrängt, idre Einwilligung und am 9. November machte Wekerle dem ungarischen Reichstage davon Mittheilung. Das Gesetz wurde eingebracht und damit ein heftiger, lange währender Kampf der Geister entfesselt, auf den wir noch zurückzu- kommen haben werden. Am 18. November reiste der Minister des Aeußern Graf Kalnoky nach Monza, wo er von dem italienischen Königspaare mit allen Ehren empfangen wurde, die dem freundschaftlichen Verhältnisse der beiden Mächte entsprach. Am 17. November starb in Graz im blühenden Mannesalter von 36 Jahren der österreichische Generalmajor Graf Alexander Harten au. Als Prinz Alexander v. Batten- berg hatte er einst die bulgarische Fürstenkrone getragen, und während seiner kurzen Regierung durch den Zauber seiner Erscheinung, sowie durch seine Klugheit das bulgarische Volk mit überraschender Schnelligkeit, zum politischen Selbstbewußtsein erzogen, Bulgarien in die Zahl der civilisirten Staaten eingeführt und zu einem wichtigen Machtfaetor auf der Balkanhalbinsel Hraf Kartenau. Theater gelegt, das, durch die Opferwilligkeit kunstliebender Bürger entstanden, dazu berufen ist, breiteren Schichten des Volkes gegen bescheidenes Entgelt edlere, poetische Genüsse zu bieten. Das schmucke Theater steht in der Wallgasse, da, wo die alten und neuen Bezirke des geeinigten Wien sich die Hand reichen und hat in . dem ersten Jahre seines Bestandes unter der Leitung des kundigen und energischen Directors Müller- Guttenbrunn seine Aufgabe in lobenswerther Weise erfüllt. Eine geradezu schreckliche Wendung nahmen die Dinge in Böhmen im Christmonat des Jahres 1893. Der durch den Belagerungszustand noch verschärften Aufmerksamkeit der Behörde gelang es, einen weitvererzweigten Geheimbund, genannt die „Omladina", zu entdecken. Derselbe bestand zumeist aus jungen, unreifen Burschen, Studenten und Handwerksgehilfen, welche in ihrer Himmelsstürmerei den Umsturz alles Bestehenden und die allerradicalsten Reformen anstrebten und sich in unterirdischen Localen zu Berathungen versammelten. Eine große Anzahl von Verhaftungen folgte, und da zeigte sich's, daß auch socialistische und anarchistische Elemente ziemlich stark in dieser Gesellschaft vertreten waren. Mehrere der Verhafteten wurden allerdings wieder freigelassen, gegen mehrere auch die Untersuchung eingestellt, aber immerhin blieben noch Viele, gegen welche der Stcasproceß, theils wegen Hochvercath, theils wegen Geheim- bündelei, eingeleitet wurde. Unter den Angeklagten, welche auf freiem Fuße belassen wurden, befand sich auch ein
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2