Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

70 Natter war ein riesengroßes Standbild des tirolischen Freiheitshelden Andreas Hofer geschaffen worden, und dieses Bildniß wurde als bleibendes Andenken an österreichische Tapferkeit und Treue auf dem Jselberge, von dem der fromme Sandwirth von Paffeier so oft Verderben auf die Feinde niedergesandt hatte, enthüllt. Der Kaiser ehrte die schöne Gedenkfeier durch seine Gegenwart, und die biederen Tiroler ließen jene Tage der Noth, aber auch des Ruhmes, vor den bewundernden Augen der zu Tausendenherbeigeeilten Festgäste wieder erstehen, indem sie ein Festspiel aus den Tagen der Tiroler Freiheitskriege zur Aufführung brachten. Am 6. Oktober feierte ein großer Künstlerin Wien seinen fünfzigsten Geburtstag. Dieser ßdker v. Krieghammer. Künstler heißt „Wiener Mäunergesang- verein". Was der Name dieses vielköpfigen Sängers für die Kunst und die Pflege der heiteren Geselligkeit bedeutet, weiß alle Welt. Er ist aber auch einer der größten Wohlthäter, die Wien kennt. Wo immer Leid und Elend an die Hütten der Menschen pochten, hat er seine Kunst in den Dienst der Nächstenliebe gestellt und nach vielen Tausenden zählen die Summen, die der Männergesangverein durch den Zauber seines Gesanges herbeigeschasft. Deshalb erfuhr er auch von Nah und Fern unzählige Beweise freudiger Theilnahme, aber die größte Ehre wurde ihm dadurch zu Theil, daß er im Hause des Kaisers sein Festconcert abhalten durfte. Der Kaiser hatte die Hofreitschule für diesen Zweck überlassen und dem Concerte selbst beigewohnt. Unter der Leitung des Obmannes Olschbaur und des vortrefflichen Dirigenten Kremser möge dem Vereine noch mancher Ruhmestag beschieden sein. Ein Freudentag anderer A't war für die Völker Oesterreichs der 18. October. An diesem Tage kehrte Erzherzog Franz Ferdinand v. Oesterreich-Este von einer mehrmonatlichen Weltreise zurück. Ju voller Gesundheit kehrte der präsumtive Thronfolger zurück, bereichert durch zahlreiche Erfahrungen, die er in fremden Ländern gemacht, mit gestählter Brust und geweitetem Blicke und erfüllt von der freudigen Genugthuung, daß die österreichische Flagge in den fernsten Meeren jener Hochachtung begegnet, die sie sich im heißen Seekampfe redlich und rühmlich erstritten hat. Große politische Ereignisse füllen die nächste Zeit aus. Am 10. October war der Reichsrath wieder eröffnet worden, und der Ministerpräsident G af Taaffe bereitete gleich zu Beginn beiden Häusern eine große Ueberraschung durch Einbringung eines Antrages auf Reform des bisher üblichen Wahlgesetzes in der Richtung, daß auch die. bisher von der Bethätigung ihrer staatsbürgerlichen Rechte ausgeschlossenen Arbeiter nunmehr an den Wahlen für die Vertretungskörper Theil haben sollten. Diese gewiß gutgemeinte Absicht des Grafen Taaffe fand nicht die erhoffte Anerkennung der Volksvertreter. Namentlich die drei großen Parteien des Abgeordnetenhauses besorgten von der Taaffe'schen Wahlreform eine Einschränkung des politischen Besitzstandes der von ihnen vertretenen Classen und gaben am 1 9. October die Kürst Windischgrätz. Erklärung ab, daß sie diesem Wahlgesetze nicht zustimmen könnten. Die nächste Consequenz dieser ablehnenden Haltting der großen Parteien war, daß Gras Taafse sein und seiner Ministercollegen Amt Aas 6» 6. österreichische Ministerium« Dr. v. Plener, Finanäminister. b. Bacque'aem, Minister d. Innern. Graf Schönborn, Justizminister. Graf Welsersheimb, Minister f. Landesvertheidinuag. v. Jaworski Minister f. Galizien. Graf Falkenhahn/ Ackerbauminister. v. Madenskn, Unterrichtsminister. Graf Wnrmbrand, Handelsminister. in die Hände des Kaisers zurücklegte. Am 20. December hatte das Cabinet Taaffe, das so viele Jahre die Geschicke Oesterreichs gelenkt hatte, ausgehört zu existiren. Sofort vollzog sich eine Annäherung der drei mächtigsten Parteien

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