68 69 Eine Versammlung ganz anderer Art war es, deren Schauplatz drei Tage später das Rathhaus in Wien war. In dem großen Arcadenhofe und gleichzeitig in der Volkshalle, sowie auf dem freien Platze vor dem Rathhause, hatten sich nach vorhergegangener Verabredung 26.000 Arbeiter eingefunden, um eine große Demonstration zur Erlangung des allgemeinen, gleichen und directen Wahlrechtes zu veranstalten. Es wurden von Arbeiterführern sehr kriegerische Reden gehalten, aber die Versammelten behielten doch eine ruhige und würdige Haltung und die Ordnung wurde nicht im Geringsten gestört. Am 10. Juli ging die Schreckenskunde durch das Reich, daß Nordtirol wieder einmal das Opfer verheerender Wolkenbrüche geworden sei. Aecker und Weiden wurden vernichtet, das fruchtbare Erdreich weggeschwemmt, so daß der nackte Fels bloßgelegt wurde, Hütten und Häuser von dem wüthenden Elemente hinweggerissen und sogar Menschenleben in großer Zahl waren zu beklagen. Am ärgsten wüthete das Unwetter in Brixlegg, das durch sein Bauerntheater berühmt ist;.die halbe Stadt wurde durch das Rasen der Elemente vernichtet. Der 16. Juli gehörte den Manen eines vaterländischen Dichters: Robert Hamerling, dessen Denkmal in Waidhofen. an der Thaya an diesem Tage enthüllt würde. Mitten im Wienerwald, in dessen grünen Schatten er so gerne geweilt, hat man sein Standbild hergestellt. Und vier Tage nach der Ehrung dieses großen Todten, schloß — am 20. Juli — ein anderer österreichischer Dichter in Gleichenberg die müden Augen zur ewigen Ruhe: Franz Nissel. Er hat seinem Volke eine Reihe großartiger Dramen geschenkt, ihm ist das Leben fast Alles schuldig geblieben. Die Theaterdirectoren bewunderten seine Stücke, führten sie aber nicht auf. Armuth, Krankheit und seelische Verbitterung senkten sich auf das Gemüth des Dichters, bis ihn endlich der Tod von diesem Dasein des Jammers befreite. Noch einen anderen Todesfall hat der Chronist im Monat Juli zu verzeichnen, nicht den Tod eines Dichters, sondern eines Mannes, der durch viele Jahre berufen war, mitzu- wirken am Wohle des Vaterlandes. Am 21. Juli erlitt der Reichskriegsminister Feldzeugmeister Freiherr von Bauer rasch hintereinander zwei Schlaganfälle, denen er zwei Tage später erlag. Oesterreich verliert an ihm einen tapferen Heerführer und einen gewissenhasten Leiter des verantwortungsvollen Ressorts. Der 30. Juli war ein doppelter Fest- und Gedenktag. Eines der beliebtesten Mitglieder unseres Kaiserhauses, der als unermüdlicher Förderer von Kunst und Gewerbe allverehrte Erzherzog Carl Ludwig, feierte in voller Thatkraft und Rüstigkeit, auf's Herzlichste, nicht nur von seinen kaiserlichen Verwandten, sondern auch von der gesummten Bevölkerung beglückwünscht, seinen 60. Geburtstag. Und an demselben Tage beging auch ein österreichischer Dichter, dem sein Volk so manche gemüthvolle und von frischem Humor überquellende, poetische Schöpfung verdankt, P. K. Rosegger, seinen 60. Geburtstag. Ungeachtet allen bescheidenen Abwehrens von Seite des Jubilars gestaltete sich diese Familienfeier doch zu einer großartigen Ehrung des Dichters, an der Stammesgen offen aus allen Welttheilen freudig Teilnahmen. Z*. K. Nosegger. Ein erschütternder Unfall leitete den Monat August ein. Im Wiener Geniegebäude wurden Patronen mit einem der verheerendsten Sprengstoffe, mit Eerasit, zu Versuchszwecken gefüllt. Diese an sich ungefährliche Hantirung führte auf eine ganz unerklärbare Weise eine Katastrophe herbei. Die Patronen explodirten, tödteten zwei Sappeure und verwundeten einen Straßen- passanten. Durch eine Explosion anderer, moralischer Art, wurde zwei Tage später ein segensreiches, humanitäres Institut gesprengt. Der Wiener Spar- und Hilfs verein, dem Tausende von ärmeren Mitgliedern zehnkreuzerweis ihre kleinen Ersparnisse anvertraut hatten, wurde durch seinen Cassier Benedict Mayer im Laufe mehrerer Jahre um die große Summe von 60.000 fl. bestohlen. Als Mayer keine Möglichkeit sah, sem verbrecherisches Treiben weiter zu verheimlichen, stellte er sich selbst dem Gerichte, das eine längere Kerkerstrafe über ihn verhängte. Groß war der Schrecken der armen Leute, die ihre sauer erworbenen Sparpfennige verloren sahen, und es kam zu Ansammlungen und heftigen Scenen. Da eine eingeleitete Wohlthätigkeitsaclion nicht die erwünschte Betheiligung fand, mußte der Verein zum Schaden seiner vertrauensseligen Clienten aufgelöst werden. Der Monat August hat überhaupt so manche böse Ueberraschung gebracht. Am 13. August kam die Nachricht, daß in Galizien, Ungarn und Steiermark durch heftige Regengüsse Ueberschwem- mungen hereinbrachen, welche die Felder verwüsteten und sogar Menschenleben forderten. Am 14. August starb in Graz Fürstbischof Zwerg er, einer der überzeugtesten und energischesten Kirchenfürsten, ein tapferer Streiter in allen Kämpfen, in denen die Rechte der Kirche gefährdet waren. Mit dem 21. August begannen Nürstvischof Zwerger. i" Wien Arbeiterexeesse, welche sich durch mehrere Tage fortsetzten, und zudem wird M gleicher Zeit das neuerliche Auftreten der ^holera in Galizien gemeldet. Zum Glück hat die verderbliche Seuche nicht die gefürchtete Ausdehnung erlangt. In diese Zeit fällt auch der Beginn der unseligen Kämpfe um die Präger Straßen- tafeln. Die Gemeindevertretung von Prag hatte ichon früher beschlossen, die deutsche Sprache vel der Straßenbezeichnung ganz auszuschließen, und bereits am 27. Juli war unter großem Jubel des tschechischen Straßenpublicums die erste Straßentafel mit ausschließlich tschechischer Aufschrift angebracht. Dagegen sträubten sich natürlich die Deutschen und unter ihnen besonders die Hausbesitzer, an deren Häusern solche Tafeln angebracht wurden. Am 8. August erfolgte dann auch durch die Statthalterei das. Verbot der Anbringung solcher Straßentafeln. Das war das Zeichen zum Beginne einer endlosen Reihe von Demonstrationen, welche nicht nur gegen die Deutschen, sondern auch gegen die Staatsgewalt gerichtet waren. Die kaiserlichen Adler wurden mit schwarzer Farbe überstrichen, patriotische Standbilder veruneh^rt, lärmende Aufzüge und Versammlungen veranstaltet, bei welchen sogar hochverräterische Aeußerungen fielen, so daß diesem Tohu-Wabohu entfesselter nationaler Leidenschaften gegenüber die Regierung endlich zu dem äußersten, ihr zu Gebote stehenden Mittel greifen mußte, zur Verhän- gung des Belagerungszustandes über Prag. Diese Maßregel hatte mancherlei Folgen, auf die wir noch zurückzukommen haben werden, und die frühere Ruhe ist bis zum heutigen Tage noch nicht wiederhergestellt. .Der September brächte eine Reihe von großartigen und glänzenden militärischen Veranstaltungen, die auch eines freundlichen, politischen Hintergrundes nicht entbehrten. Am 3. September begab sich der Kaiser nach Galizien, wo die Kaiser-Manöver ihren großartigen Verlauf nahmen, die eine Zeit lang durch das sporadische Auftreten der Cholera in Frage gestellt waren. Mit noch größerem Pompe und noch gewaltigerer Entfaltung von Truppenmassen begannen am 17. September die Manöver von Güns, welchen als Gäste des Monarchen Kaiser Wilhelm II., der König von Sachsen, Prinz Leopold von Bayern und der Herzog von Connaught beiwohnten. Mit großer Befriedigung überzeugte sich der deutsche Kaiser von der Vortrefflichkeit der verbündeten Armee und es war außer dem Ausfluß der ererbten Freundschaft gewiß auch noch der Ausdruck der Bewunderung für die Leistungen der österreichischen Armee, daß Kaiser Wilhelm einige Tage später den greisen Feldmarschall Erzherzog Albrecht zum General-Feldmarschall der preußischen Armee ernannte. Ein Besuch des Kaisers Wilhelm in Wien beschloß die Reihe der denkwürdigen militärischen Festtage von Güns. Während dieser Zeit erfolgte auch die Neubesetzung des verwaisten Kriegsministerpostens. Einer der schneidigsten unter den österreichischen Generälen, der General der Cavallerie Edler v. Krieghammer, wurde zum Nachfolger Baron Bauers ernannt. Auf dieses kriegerische Fest der Gegenwart folgte eine Erinnerungsfeier an eine der glorreichsten Zeiten der Vergangenheit. Am 28. September reiste der Kaiser nach Innsbruck. Von der Künstlerhand des verewigten Heinrich
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