Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

62 Der letzte Einsiedler von Wien. Ein Geschichtchen aus alten Zeiten. Eine Straße in dem volksreichsten Theil von Margarethen führt den Namen Einsiedler gasse und der größte Platz des fünften Bezirkes heißt Einsiedlerplatz. Bei der Auswahl der Wiener Straßen- bezeichnungen hat nicht selten das größte Ungeschick entschieden. Ist auch in diesem Falle dem Zufall und der Willkür die Taufpathenstelle übertragen gewesen? Keineswegs. Ein wirkliches, ein historisches Er- eigniß ist hier im Gedächtniß festgehalten, und wir wollen hier das Histörchen von dem Manne erzählen, auf den diese Straßennamen Bezug haben, das Geschichtchen vom letzten Wiener Einsiedler. Bevor Kaiser Carl VI., dem auch die herrliche Karlskirche ihr Entstehen verdankt, die jetzige Matzleinsdorferkirche zu St. Florian (im Jahre 1725) erbauen ließ, war da draußen eine gar wüste, verlassene Gegend. Im unteren Theile gab der gräflich Starhemberg'sche Palast dem Grunde einiges Ansehen; weiter hinaus, gegen die verrufene Höhe der Spinnerin am Kreuz zu, lagen nur, versteckt in Hohlwegen und Einschnitten, ein paar armselige Bauern- und Weinhauerhütten. Denn da wuchs noch ein ganz famoses Tröpferl und der „Matzleinsdorfer" stand bei den Weinbeißsrn in gerechtem Ansehen. Wer aber nicht unbedingt in der Gegend zu thun hatte, der hielt sich ferne, besonders zur Nachtzeit, denn es war nicht recht geheuer, schon seit den Zeiten her, da man dem Wirth von der Teufelsmühle, den sie jetzt gar am „Engelbrunnen" vor dem Cafe Wortner monumental verherrlicht haben, die Reisenden, die bei ihm nächtigten, erschlug, um sie zu berauben. Nur Ein Mann trug nicht Scheu, da draußen allein zu hausen, ein frommer Einsiedler. Er hatte eine armselige, hölzerne Klause, die an das uralte, inmitten des Friedhofes stehende Kirchlein förmlich angeklebt war. Dort wachte er über das Gotteshaus, sowie über die Gräber, einem beschaulichen Leben hingegeben, von Feldfrüchten sich nährend und von den kargen Bissen, die ihm hie und da die Leute gaben. Er stand keineswegs in hohen Jahren, sondern vielmehr noch in dem Alter, da die Lust an den Freuden des Lebens noch nicht abgestorben zu sein Pflegt. Sein ganzes Wesen und Gehaben war so fremdartig und von einer vornehmen Ritterlichkeit, so daß er eher einem verkappten Höfling, denn einem demüthigen. Gottesmann glich. Das Volk munkelte denn auch allerlei Seltsames von seiner Vergangenheit. Die Einen wollten wissen, daß er in blinder Leidenschaft einen Freund erstochen und dafür Buße thue. Die Anderen kündeten wiederum, daß er um sein todtes Lieb trauere, das draußen auf dem Friedhof ruhe, doch wußte Keiner Genaues darüber zu sagen, wie diese Sagen entstanden. Da geschah eines Tages Etwas, was den Einsiedler, um den sich kein Mensch des Näheren gekümmert, in aller Leute Mund brächte. Das größte Anwesen in jener Gegend war damals der „Hühnerhof" (in der nachmaligen Siebenbrunnengasse, erst vor wenigen Jahren von der Stelle verschwunden, wo jetzt die Landwehrkaserne steht) dem ehrenfesten Martin Heugeler gehörig, einem „Hendelkramer" und Eierhändler, der nebstbei auch das Fleischhauergeschäft betrieb. Heugeler war ein wohlhabender Mann, aber stolzer wie auf Geld und Gut war er auf sein holdseliges Töchterlein, die schöne Francisca. Er wollte hoch hinaus mit seinem Kinde. Es sollte anders kommen. Sein Knecht, der „lange Hannes", verrieth ihm eines Tages, daß das liebreizende Mädchen häufig den Weg zum Einsiedler mache, unter dem Vorwand, dem armen Büßer aus Mitleid Speise zuzutragen, in Wahrheit jedoch aus einem ganz anderen Beweggründe. „Der Weg ist gefährlich", schloß der Knecht mit rauhem Lache», „und Ihr als fürsorglicher Vater habt nicht nur die Räuber zu befürchten, die dort herumlungern, um den Wanderern die Geldkatze abzujagen, sondern auch Herzensdiebe und Räuber der Ehr'!" Der Alte wurde schier sinnlos vor Wuth. „Bub', wenn es nicht wahr ist, was dn da sagst..." „Ucberzeugt Euch selber und fragt die schöne Fanny, wo sie gewesen, wenn sie heimkehrt. Wollt mir's nicht übel nehmen, Meister, aber ich denk', es wär' an: Besten, wenn Ihr die Obhut über das Dirnlein einem braven Mann anvertraucn, wenn Ihr sie verheiraten würdet." Und zögernd, mit lauernden Seitenblicken, setzte er hinzu: „Ich selber bin nur ein geringer Knecht, aber wenn Eure Wahl mich treffen würde, beim Teufel..." Er wagte nicht zu vollenden, so schrecklich verzerrten sich des Alten Gesichtszüge bei den letzten Worten. „Wie wagst du die Blicke so hoch zu erheben, Hund, armseliger!" donnerte Heugeler ihn an. „Eher hetzte ich meine Buldoggeauf das Mädel. Und kein Sterbens- wörtlein von solchen Dingen mehr, sonst..." Und er griff nur nach dem kurzen Stechmesser, das ihm an der Seite hing, zeigte ihm den Rücken und ging von dannen. Er wollte mit der Dirne ernstlich reden nach ihrer Rückkehr, daß ihr schon die Lust an weiteren Besuchen beim Klausner verginge. Wenn er geahnt hätte, welch furchtbares Ereigniß ihn der Nothwendigkeit dieser Unterredung entheben sollte! Der „lange Hannes" stand eine Weile wie versteinert auf dem Flecke. Dann ballte er die Faust gegen seinen Herrn.-------- Stunden verrannen, der Abend dämmerte schon. Die Fanny war noch nicht zurück. Da faßte den Vater Unruh' und er beschloß, sich selber auf den Weg zu machen, ^geu den Friedhof zu. Finster schritt er den Hohlweg hinan, in trüben Gedanken brütend. Wenn er sein Kind, das seinen ganzen Stolz und und all seine Freude 63 bildete, wirklich da oben finden sollte... Auf einmal blieb er wie angewurzelt stehen. Wenige Schritte vor ihm lag quer über den Pfad ein dunkler Gegenstand, eine menschliche, regungslose Gestalt. Hilf, heiliger Himmel, diese Kleider! Er sprang hinzu und wendete den Körper, so daß das Antlitz sichtbar ward. Da knickte der starke Mann in die Knie. Sein Kind, seine Fanny, lag in einer dunklen Blutlache. Aus einer Wunde in der'''Herzgegend rieselten noch die rothen Tropfen. Furchtbarer fast noch als der Vater schien der Tod des schönen Mädchens den „langen Hannes" zu treffen. Er mußte sie wohl mit wilder, wahnsinniger Leidenschaft geliebt haben. Blaß, mit grimmigen Blicken ging er herum, mit sich selber sprechend und zuweilen auflachend, wie Einer, der den Verstand verloren. Und nach einiger Zeit verschwand er spurlos aus dem Hofe. Wohin, das konnte Niemand sagen. Vielleicht war er auch dem Raubgesindel zum Opfer gefallen, das sich in der Gegend wieder furchtbarer bemerkbar machte, wie je vorher. Die Obrigkeit wurde um Hilfe angegangen und die städtischen Numorsoldaten zur Tages- und Nachtzeit. Doch die mörderischen Ueber- fälle häuften sich, ohne daß die Thäter gefangen genommen werden konnten. Und eines Morgens, da fand man in dem Hohlweg, der zum „Hühnerhof" führte, den Marsin Heugeler starr und kalt auf dem Boden liegen. Aus einer Wunde in der Herzgegend quoll das Blut. Der Dämon, der da mit Schrecken hauste, wußte mit sicherer Hand den Todesstoß zu führen. Doch endlich, endlich, sollte auch sein Stündlein schlagen, das ihn der Gerechtigkeit überlieferte. In einer regnerischen Nacht war's, da eine Schleichpatrouille der Söldner, die lautlos querfeldein wanderte, Hilferufe vernahm. Die Rumorknechte stürzten nach dem Orte, woher der Verzweiflungsschrei drang und sie kamen eben dazu, als von zwei Männern, die in der

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