Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

58 59 „Mir scheint, Jhner is net recht übel?" erkundigte sich theilnehmend sein Gegenüber, der dicke Herr, der das Dejeuner endlich glücklich bewältigt hatte. Der Angesprochene wischte sich über die Stirne, zuckte die Achseln, als sei er selber vollkommen im Unklaren darüber, ob er seinen dermaligen Austand als einen erquicklichen oder als das Gegentheil betrachten solle und führte abermals die Cigarre an die Lippen. „Hören S' denn no net auf? 's G'scheidteste wär' g'wesen, wenn S' das Ratzenschwaferl schon in Penzing dani- g'seuert hätten." Auf öerr Kavpfenzagö. Als der Herr Schoderböck nach längerer Abstinenz wieder einmal am Stammtisch der alten Spezi erschien, die er als Flitterwöchner — über höheren Auftreg — hatte meiden müssen, da sah man's ihm sofort an, daß sein Gemüth von einem wichtigen Geheimniß bedrückt sei. Er be- nützte die nächste unpassende Gelegenheit, sich desselben zu entledigen, und es kam zutage, daß es sich um ein freudiges Fa- milienereigniß handle: seine junge Frau wollte am nächsten Tage ihr feierliches Debüt als Köchin begehen. Die junge Frau stammt aus einer der „besten Familien", wo die höhere Bildung förmlich epidemisch grassirt. Ihre zwei jüngeren Schwestern besuchen das Mädchengymnasium; sie selber fährt Bicycle, hat trotz ihrer Jugend bereits drei robuste Claviere in den dauernden Jnvaliditäts- zustand versetzt und auch sonstige Proben einer vollkommen modernen Bildung abgelegt. Nun wollte sie sich auch noch zu einer so gemeinen Verrichtung des Haushaltes erniedrigen, wie das Kochen eine ist! Da sah man wieder einmal an einem rührenden Beispiel, welcher Opfer an Selbstverleugnung die wahre Liebe fähig sein kann. „Ah versteht si," .ächzte der Apostro- phirte, „bei dö schlechten Zeiten!" „Na, was hab'n S' denn jetzt davon? An' Katzenjammer, dem ka Rausch voran- g'gangen is." „Wenn ma schon sei Geld ausgibt, so will ma do a 'was g'niaßen davon. — Aber Sie entschuldigen schon — i hab' mir's überlegt: i werd' lieber in der Station aussteig'n, 'mpfehl' mich!" Und der bleiche Jüngling beeilte sich, den Ausgang des Waggons zu gewinnen. Das „Ädaxl" hielt er aber krampfhaft fest; er schien den Becher der Freude um jeden Preis .bis zur Neige leeren zu wollen. Der Redner wurde daher von allen Seiten beglückwünscht. Aber man muß sagen, er zeigte sich gar nicht dankbar für die seinem Glücke entgegengebrachte Theilnahme. Nachdem er listigerweise vorerst die seiner harrenden Tafelgenüsse in den grellsten Farben geschildert, ließ sich Herr Schoderböck seinen Freunden gegenüber zu einem Act der Gehässigkeit hinreißen, deren ihn kein Mensch für fähig gehalten hätte: „Und die Herrschaften san Alle bei mir cing'laden. Da werd's spitzen!"*) Die Wirkung war eine furchtbare. Ein Herr erklärte sofort, er könne sich dieser Gefahr nicht aussetzen; er sei mehrfacher Familienvater und seine Gattin würde ihm das treulose Verlassen des häuslichen Herdes nie vergeben. Andere logen in ihrer begreiflichen Herzensangst noch ungeschickter, und mehrere, denen nichts einfiel, verließen in fluchtähnlicher Eile das Local, mit Hinterlassung ihrer Stöcke und Zech- schulden. Nur Einer, der Privatbeamte Steindl, der allerdings bereits an einem unheilbaren Magenleiden laborirte, traf im sträf- *) staunen. lichen Leichtsinn seine Anstalten zu langsam. Freund Schoderböck ergriff die Uhrkette dieses Mannes und ließ ihn schwören, daß er ihm am nächsten Tag auf einen Löffel Suppe das Vergnügen (!) machen werde. Dann erst schenkte er ihm die Freiheit wieder. Dieser nächste Tag war ein Freitag, welcher nicht umsonst als unheilbringend gilt. So aufreibend und nervösmachend hatte sich Frau Anna Schoderböck die Vorbereitungen für ein einfaches Mittagmahl keinesfalls vorgestellt. In Chemie und Physik, worauf doch alle Kochkunst basirt, war sie in der höheren Töchterschule vorzüglich classificirt worden, und die drei Reiche der Natur hatten ihr alle Geheimnisse erschlossen; das Skelett eines Nashorns konnte sie aus dem Gedächtnißzeichnen, die in den unentdecktesten Theilen Afrikas wild wachsenden Cacteen mit ihren lateinischen Bezeichnungen aufzählen, und die Lcbensgewohnheiten der Wabenkröte oder des Grottenolms waren ihr ebenso genau bekannt, wie etwa die ihrer Mama, beziehungsweise des eigenen Mannes. Nur eine Lücke wies ihre stupende Gelehrsamkeit auf, eine Lücke, die just in der gegebeneySituation die Sicherheit ihrer Entschlüsse sehr beeinträchtigte. Da schwamm ein wohlgenährter Karpfen (sie hielt ihn für „geschoppt") lebenslustig im Wasserschaff. Und die drei Personen, die dasselbe umstanden: das junge Ehepaar und die List — das unschuldigste Geschöpf vom Lande, das noch js für die Decimirung des Küchcngeschirres einen Monatslohn von acht Gulden gefordert hatte, konnten wegen der nächsten Zukunft dieses kaltblütigen Wirbelthieres absolut zu keinem Einverständniß gelangen. „Mir thut der Kerl beinah' leid," sagte Frau Anna gefühlvoll, „am liebsten möcht' ich ein Aquarium für ihn kaufen, und wir könnten ihn ja in den Salon ..." „Weiberl, red' keine Stiefletten. Was willst' denn dem Steindl vorsetzen? Na, na, der Karpf da geht auf seine letzten Füaß, und wann's mir a selber nahe geht, so hilft da All's nix. Du willst deine Handerln net mit dem Bluat eines Unschuldigen beflecken, gut, so werd'n halt

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