56 57 rauche, ob man ihm dies nun glauben wolle oder nicht. Die Passagiere erklärten, daß sie sich in Bezug auf dieses Factum gänzlich auf seine Wahrheitsliebe verlassen müßten, da sie nicht die Ehre hätten, den Blaimschein zu kennen, worauf der Herr mit den Scharln noch einige Bemerkungen allgemeiner Natur machte,, aus denen her- vorging, daß er die Virginier-Cigarre ungefähr für so demokratisch halte wie den Tod, da sie wie dieser alle socialen Unterschiede in der Raucherwelt aufhebe. „Aber behandeln muaß ma s' können/' schmunzelte er, „a Vetschiner is nämli genau wia a Frauenzimmer, denn g'rad' a so . . Ich wäre für mein Leben neugierig gewesen, Näheres über die große Aehnlich- keit zu erfahren, aber leider verhinderten ihn die umständlichen Verrichtungen des Anzündens, die angedeutete Parallele zu ziehen. Er brach die Spitze der Cigarre ab, nahm das Stroh heraus, setzte dieses in Brand und hielt die Cigarre in die Flamme, wobei er abermals rieth, die Frauenzimmer so wie die Virginier zu behandeln, ohne sich in eine weitere Begründung dieses grausamen Vorschlages einzulassen. Als ein dünner, lichtblauer Rauchfaden sich aus dem Strohhalm heraus- kräuselte, traf er Anstalten, sich dem ungestörten Genusse des dunklen Krautes hinzugeben. Er lehnte sich zurück, faltete die Hände behäbig und blinzelte aus halbgeschlossenen Augen seine Nachbarn der Reihe nach an, als wolle er beobachten, ob sich die Gesichter derselben schon vor Neid verzerren. „Mp . . . mp . . . mp, mp!" Er arbeitete wie eine fleißige Luftpumpe und betrachtete dann das schwarze Ende des Glimmstengels, der aber augenblicklich diesen Namen gar nicht verdiente. „Mir scheint, das Luader hat kan' Zug/' meinte der frühstückende Herr, der inzwischen mit der Hälfte seines kalten Büffets bereits aufgeräumt hatte. „Da werd'» ma glei Abhilf' schaffen. Wia i g'sat hab', a bisserl feucht is s' halt! So ... ." Er brach wieder ein Stück von der Spitze ab, die sich aufrollte und zündete sie mit dem allerschönsten Erfolge an. Sie loderte wie eine Fackel. „Was, hab' i 's net g'sagt?" Er fuhr mit der Fackel langsam an allen im Bereich seines Armes befindlichen Nasen vorüber, als ein uneigennütziger Mann, der auch seinen Nebenmenschen gern' ein Vergnügen verschafft und wartete offenbar auf Ausbrüche des Entzückens über das herrliche Aroma. Die riegelsame Dame schnupperte eine Weile, dann sagte sie besorgt, während sie die geheimsten Falten ihres Kleides einer Visitation unterzog: „I waß net — es brandelt auf amol so - - Es liegt mir ferne, der löblichen Tabakregie Herzeleid zu bereiten, aber da ich mich nicht der officiösen Schönfärberei schuldig machen will, kann ich nicht verschweigen, daß man die Besorgte sofort einmüthig mit der Versicherung beruhigte, daß der brenzelige Duft nur von der Cigarre herrühren könne. „Na hören S', Herr Nachbar, wenn das G'rücherl wirkli von dem g'fehlten Franzischkerl kommt, dann sollten Sie 's je eher, je liaber zum Fenster außifeuern!" „A freili was denn! Wenn Sö 's Geld so zum Wegwerfen hab'n — Un- seran' tragt's dös net! Mp . . mp . . mp! — Serwas, mir scheint gar, er is schon wieder ausgangen." „'schuldigen schon, daß i so frei bin, Ihnen das in's G'sicht z'sag'n, aber mein Mann därferten Sö. net sein. A so a damische Urasserei hätt' i Jhner bald aus- trieb'n, da können S' Jhner d'rauf verlassen! Mit dö Strafhölzeln, dö S' bisher verbrennt hab'n, kunnt' a sparsame Hausfrau dreimal unterzünden." „Mei liabe Frau,- da muaß i Jhner schon erklär'n, daß Sie das net verstengen; je öfter als m'r a Vetschiner anzünden muaß, desto besser schmeckt s' — das is a alter Witz!" „Is All's mögli, aber warum spucken S' denn dann gar so viel, han?" Der Jnterpellirte hüllte sich in vornebirss Schweigen, .strich wieder ein Paar- Zündhölzchen an und zog und sog, aber ohne das geringste Resultat, so daß sich dem unseligen Märtyrer einer zügellosen Genußsucht allmälig das allgemeine Mitleid zuzuwenden begann. Nun versuchte er es mit einer Massagecur. Er knetete und bog den Rest der Cigarre und durchbohrte sie zuguterletzt mit einer Hutnadel, die ihm eine der Damen in Anbetracht des wohlthätigen Zweckes mit größter Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt hatte Wenn das auch noch nicht hilft. . . Aber selbstverständlich half es. Die Luft ließ sich durch die Cigarre so leicht blasen, wie durch eine Clarinette; als er aber die Feuerprobe machte, da stellte es sich bedauerlicherweise heraus, daß diese verhexte Virginier nunmehr zwar einen guten „Zug" habe, aber aus irgend einem Seitenventil, das erst nach vieler Mühe und unter Anwendung eines äußerst sinnreichen Verfahrens zu ermitteln war. Jetzt galt es bloß mehr, dieses Leck zu verstopfen. Dann konnte es nicht mehr fehlen. Cigarettenpapier hatte keiner der Anwesenden bei sich, doch stand dem vom Schicksal so hartnäckig verfolgten Raucher immerhin die Wahl zwischen einem Stück englischen Pflaster und dem einer Zeitung frei. Er entschied sich für das Letztere und verwendete es als Deckblatt für die Cigarre, die nun allerdings schon mehr als ein Product der heimischen Cartonnage-Industrie zu betrachten war. Jetzt ging es. Die vielgeprüfte Cigarre qualmte, daß sich ein Fabriksschlot in die Seele hinein schämen mußte, und daß sich bei einigen Fahrgästen die ersten Anzeichen eines Augenkatarrhs zeigten. Sonderbarerweise äußerte jedoch der Herr mit den Scharln zuerst das Verlangen nach Oeff- nung des Fensters. Sein Glück machte ihn nicht übermüthig; im Gegentheil: Je lustiger die Cigarre kohlte, desto ernster wurde er. Er lehnte sich zum Fenster hinaus und betrachtete aufmerksam die Gegend, deren Schönheit /hn sehr zu ergreifen schien, denn er seufzte einige Male tief auf. Endlich vergaß er sogar daran, die Virginier an den Mund zu führen, was aber diese durchaus nicht am Weiterbrennen hinderte. Sie unterhielt sich damit, hohl zu brennen; auf einmal entstand einen Zoll unter der rothglühenden Spitze am Papier ein Fleck, der immer dunkler wurde und dann zu glimmen anfing. Der Raucher wollte den oberen Theil abklopfen, doch es gelang ihm nicht, und da machte er „schandenhalber" einige Züge.---------
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