Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1895

52 Schlüsse eine Zahl von Urlaubsscheinen, auf die Namen derjenigen lautend, die der gestrenge, bärbeißige, stets zu den fabelhaftesten, neuerfundenen Flüchen bereite und im Grunde seines bejahrten Junggesellenherzens doch so seelengute „Alte" vom Rapport davongejagt hat! . . . Zu früher Stunde ist die Winternacht Apfev öev Der Infanterist Sedelmann genoß im ganzen Regimente den Ruf, unter den Soldaten der sämmtlichen europäischen Heere — die der Fürstenthümer Liechtenstein und Monaco mit eingerechnet — der begabteste Simulant zu sein. Vielleicht bildete sich das bloß die Eitelkeit der Regimentsangehörigen ein, aber das Eine steht außer Frage, daß die übrigen „Schmalzbrüder"*) des Regiments zu ihm mit einer gewissen Ehrfurcht auf- blickten und in ihm ihren Meister verehrten. Wie selbstverständlich, wurde Sedelmann, als die ersten Fälle der .„neuerfundenen", nunmehr gottlob bedeutend zahmer gewordenen Krankheit in Kasernen vorkamen, sofort auf das Fürchterlichste von der Influenza ergriffen. Weiß der liebe Himmel, auf welche Art es ihm gelang, alle Symptome dieses verwünschten Leidens so getreulich nach- zuahmen, doch wenn man bedenkt, daß er es schon einmal zu Stande gebracht hatte, unter allen Anzeichen von Hundswuth ins Garnisonsspital zur Beobachtung zu kommen, so wird man sich nicht wundern, daß ihm die Jmitirung eines schauerlichen Schüttelfrostes keine Schwierigkeiten bereiten konnte. Der „Blitzkatarrh" kam bei ihm an einem Montagsmorgen zur Zeit der Tagwache zum Ausbruche und manifestirte *) Spottname für solche, die es verstehen, sich von lästigen Verrichtungen zu besreien, „abzuschmalzen". angebrochen. Und da strahlt durch die erblindeten Fensterscheiben des Zugszimmers milder, freundlicher Schimmer. Die Kerzen auf dem Weihnachtsbaume der Compagnie sind angezündet worden, das Christkindl in Commiß-Montur hat seinen Einzug gehalteu in die Kaserne. Zrrfluenzcr. sich durch großen Schmerzen den Stirnbein- und Augenhöhlenpartien, allgemeine Abgeschlagenheit, neuralgisches Ziehen in den Extremitäten und starke Trübung des Sensoriums. Tag und Stunde, zu welcher unser Freund Sedelmann seine Erkrankung gemeldet, brächte den mißtrauischen Oberarzt — jeder Militärarzt wird ja durch seine Jnstruction dazu verpflichtet, mißtrauisch zu sein! — auf die im Gründe genommen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgestattete Vermuthung, daß es sich da nur um einen besonders kräftig entwickelten Kater handle. Aber der Patient schilderte seine Schmerzen so charakteristisch, daß es keine andere Diagnose mehr geben konnte als: Influenza. Der gute Doctor war förmlich stolz darauf, daß er nun endlich auch seinen „Fall" habe. Der Herr Compagnie - Commandant schien jedoch von durchaus anderen Empfindungen beherrscht zu sein, als er den Namen des chronischen „Schmalzbruders" schon wieder im Marodenbuch las. „Lieber Doctor," sagte er mit mephistophelischem Lächeln, „ich werde dir, mit deiner Erlaubniß, diesmal ein wenig ins Handwerk pfuschen. Wir alten Troupiers kennen gewisse Volksheilmittel, die sich oft bestens. bewähren. Was hast du or- dinirt?" „Antipyrin, selbstverständlich, dannBett- ruhe..." „Na lassen wir's heute bei dieser Behandlung. Aber wenn sie bis morgen nicht geholfen hat — was ich als bestimmt annehme — so werden wir mein Mittel anwenden. Ich biete jede Wette, das wird helfen!" — Der Hauptmann halte recht prophezeit, im Befinden des Kranken trat eher eine Verschlimmerung als eine Besserung ein und als der Officier am Abend ihn im Marodenzimmer besuchte, da versteckte der Patient mit großer Behendigkeit eine Menageschale unter dem Bettzeug und bekam ebenso schnell einen beunruhigend heftigen Anfall von Schüttelfrost. Voll innigen Mitgefühls hafteten die Blicke des Hauptmanns auf dem Jnfluenzirten. „Sie haben ja für morgen um „über die Zeit" gebeten, Sedelmann," begann er wohlwollend, „in dem Zustand kann ich Sie doch nicht fortlassen. Bei dem Fieber!" Der Infanterist stellte das Zähneklappern ein, woraus zu entnehmen war, daß bei ihm das Fieber ebenso schnell komme als verschwinde. Dann machte er eine Bewegung, als ob er etwas sehr Umfangreiches Hinunterschlucke. „Aha, Schlingbeschwerden ebenfalls," sagte der Hauptmann, einen Blick nach 53 jener Stelle werfend, wo die Menageschale verschwunden war, „nein, nein, in dem Zustand..." „Bitt' g'horsamst, Herr Hauptmann, i hab' nur deshalb um über d' Zeit bitt', weil i in aner Zeitung g'lesen hab', daß m'r die Influenza — wia m'rs auf wissenschaftlich haßt — coupiren kann^ wann m'r si im Freien aufhalt't nnd recht vül Bewegung macht." Der Schlingel verfügte über eine bewundernswürdige Seelcnstärke; er mußte nicht einmal lachen, während er diesen „Motivenbericht" erstattete. Dem Herrn Compagnie-Commandanten schien dies ganz einzuleuchten. Er entfernte sich mit der unter den obwaltenden Umständen immerhin ganz tröstlichen Zusichcrung, er „werde sehen, was sich machen läßt". Nachdem der Officier fort war, zog der Schwerkranke die Menageschale wieder aus ihrem Versteck hervor und verzehrte den Inhalt, welcher, wie hier ausdrücklich bemerkt werden soll, nicht Antipyrin war. Am nächsten Tag meldeten sich Früh beiui Corporal vom Tag nicht weniger als fünf Angehörige der Compagnie marode. Sie hatten alle die Influenza und waren jedenfalls von Sedeluiann angesteckt worden. An diesem selbigen Morgen wurde dem

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