Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

b) Der Gefangene der Aetdwache Ur° 1° Eine unheimliche Manövergeschichte. ommandant der Feldwache Nr. 1. Dem Einjährig-Freiwilligen- Corporal Sählig wurde es vor der unermeßlichen strategischen Wichtigkeit der Würde, zu der er so unvermuthet gelangt war, schier bange und er marschirte an der Spitze seines Schwarmcs mit dem Bewußtsein zur Ablösung, daß die nächtliche Sicherheit des gesammten Südcorps nun volle vier Stunden hindurch vou seiner Schlauheit, Entschlossenheit und Courage abhänge. Er wollte den Dienst ganz anders versehen, wie sein unmittelbarer Vorgänger, der sich anstatt des „Dienstreglements II. Theil", dessen Seetüre sozusagen die einzige Zerstreuung und Annehmlichkeit ist, die sich ein Feldwacheommandant gönnen darf, eine große Flasche Sliböwitz mitgenommen hatte, aus welcher jedoch bis zur Zeit der Ablösung eine große Slibowitzflasche geworden war. Das sollte bei ihm aus anderem Tone gehen. Schon beim Aufstellen der Vedette kam der hohe Ernst, mit dem er seine Aufgabe betrachtete, zum Durchbruch. Er ermähnte die beiden Infanteristen stets des Umstandes eingedenk zu sein, daß sie sich derzeit in Feindesland befänden, und daß eine Unachtsamkeit oder Pflichtvergessenheit ihrerseits für den Hauptposten von den verhängniß- vollsten Consequenzen sein könne, gab ihnen zu bedenken, daß sie für die Sicherheit desselben im Nothfalle das eigene Leben einzusetzen hätten, verwies dem Infanteristen Stadlinger, welcher meinte, daß die Manöver ja doch nur „a G'spoaß" seien, solche lästerliche Rede mit strengen Worten und klärte speciell den zweiten Posten, den In fanteristen Sedlacek, der gelassen, aber mit wenig durchgeistigter Physiognomie zuhörte, über seine Obliegenheiten auf. Dann begab er sich zurück zu dem Schwärm, der am Waldrande gedeckte Aufstellung genommen hatte, und unterhielt die Leute mit deu Kriegsartikeln, in denen der „Tod durch Erschießen" bekanntlich eine sehr hervorragende Rolle spielt. Erglaubte hierdurchdie „Ambition" der verehrlichen Gesellschaft am zuverlässigsten rege zu erhalten. Er redete sich selber in eine, wenn man so sagen darf, platonische Kampfeswuth hinein, und es war ihm gar nicht recht, daß die Patrouille, die er zur Aufklärung des Terrains ausgesendet hatte, mit der üblichen Meldung zurückkehrte, daß „vorn Gegner nichts zu sehen gewesen" sei. Aber noch gab er nicht alle Hoffnung verloren. Die Nacht wurde dunkler und immer dunkler und ein feiner Regen rieselte sachte hernieder — für Ucber- fälle und dergleichen just das rechte Wetter. Aber diese sehnsüchtige Erwartung sollte nicht in Erfüllung gehen; die Vedette vernahm nicht das geringste „verdächtige Geräusch" und der geschätzte Gegner traf nicht die geringsten Anstalten zu einer gegen die Feldwache Nr. 1 gerichteten kriegerischen Action. Nun schien sich der Himmel auch noch gegen deu thatenlüsterneu Einjährig- Freiwilligen Sählig zu verschwören; das Firmament hciterte sich all- mählig auf, der Mond blinzelte erst schüchtern zwischen den dunklen Wvlken- ballen durch und schließlich wird er mit seinem vollen, dummen, wohlgenährten Gesicht auf die Vorposten herniederlachen ! Damit war die Möglichkeit der erhofften feindseligen Ucberraschnng beseitigt. Sählig hatte bereits vom dritten Stern geträumt und nun . . . ringsum lag das Gelände im tiefsten Frieden, beim Hauplposten flackerten lustig die bisher leider noch nicht rauchschwachen Lagerfeuer... „Halt! Wer da?" Laut und weithin hallend war der Ruf erschollen. Sählig sprang empor. Da gab's ja bei seiner Vedette etwas! „Halt! Wer da?" Der Gestellte hatte also keine Ant wort gegeben. Also ein Verdächtiger, ein Spion! Sählig erfaßte sein Gewehr und im Laufschritt begab er sich zu deu beideu Posten vor, die er in schußbereiter Stellung antraf. Und vor ihnen, kaum dreißig Schritte entfernt, stand, vom blassen Mondlicht unsicher beschienen, eine hochaufgerichtete Gestalt unbeweglich im Kleefelde. „He, Se, wann S' net Herkimmen, so schoiß'n ma!" rief der eine der Infanteristen, dem die Ruhe des Ange- rufeneu bereits ein wenig unbehaglich zu werden schien. „Ja wohl," bestätigte Sählig, „wir haben scharfe Patronen geladen" — das war natürlich eine unverantwort- uche Renommage - „und außerdem können Sw auch noch ein paar Zoll Bajonneteiwn zwischen die Rippen be- kommen. Was wollen Sie?" ^ ^ ^^ rührt sich nicht. Da galt es, andere Saiten aufzuziehen. 23 „Kehrt Euch!" commaudirte der Einjährig-Freiwillige mit Stentorstimme, „und ~ nicht rühren; ich mache Sie darauf aufmerksam, daß bei dem geringsten Versuch des Widerstandes von der Waffe Gebrauch gemacht wird!" Der unheimlichen Gestalt fiel es garnicht ein, „Kehrt Euch" zu machen. Nun wurde die Geschichte denn doch kritisch; einen Scherz treibt man nicht so weit, besonders dann nicht, wenn man sich blitzenden Bajonneten gegenüber befindet. Den Burschen im Kleefelde da drüben mochten wohl bedenkliche Absichten hierhergeführt haben. Na, die sollen ihm ausgetrieben werden — im glimpflichsten Falle mit deu Gewehrkolben ! „Fertig" befahl der Feldwach-Com- mandant seinen Leuten und mit gefälltem Bajonnet schritten die drei Soldaten langsam gegen den itubeweglich die Angreifer Erwartenden vor. Ju der That, selbst die Nähe des kalten Eisens schien den Seltsamen nicht aus seiner Regungslosigkeit aufzurütteln. „Zum letztenmale," rief Sählig, als sie ihin ungefähr auf drei Schritte nahe

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