Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

16 konnte — er kostete ihm ein Menschenleben. Er wird um Sie und um sein Glück bis zum letzten Athemzuge kämpfen. Aber, wenn wir sein Geständniß haben, dann mag er sich flüchten, so weit ihn seine Füße tragen, nur Ihr reines Dasein soll er nicht länger mehr mit seiner verruchten Gegenwart beflecken. Noch heute werde ich vor ihn treten und ihm seine Frevelthat ins Angesicht schleudern; mir gegenüber wird er wohl nicht zu leugnen wagen und Sie können dann sein Urtheil fällen!" Die unglückliche Frau nickte nur resignirt mit dem Kopf; dann begaben sich Beide anf den Rückweg. Just begleitete sie bis zum Ausgang des Waldes und schlug dann einen Seitenweg nach der Metallwaarenfabrik ein. Gegen Abend desselben Tages, als Heinrich die Fabrik verlassen wollte, erschien der Brasilianer Don Alameda und ersuchte den Herrn Director, ihi auf einen Spaziergang begleiten zu wollen. Heinrich, der heute blaß und angegriffen aussah, konnte dies Begehren schon aus Geschäftsrücksichten nicht wohl abschlagen und die beiden Männerschlugen den Weg nach dem Walde ein. Im Anfang wurde nur von gleich- giltigen Dingen gesprochen; der Brasilianer hatte sich bis dahin bemüht, sein eigenthümlich fremdartiges Deutsch beizubehalten, als sie aber den Waldessaum überschritten hatten, fragte er plötzlich mit veränderter Stimme: --Wie -^ m*r habe erzählen lassen, soll m diesem Wald vor drei Jahren der Förster Hans Melden meuchlings erschossen worden sein---------------" Senn Klang dieser Stimme zuckte Heinrich, wie von einem Blitzschlag getroffen, zusammen. Seine Füße versagten ihm den Dienst, er mußte sich an den nächsten Baum stützen, um nicht umzu- stnken. „Es scheint mir, Herr Schleicher, als ob die Erinnerung an diese Frevelthat Sie sehr stark aufregt! Ich finde das ganz bgreiflich, denn der so geheimnißvoll und schändlich Dahingemordete war ja Ihr bester Freund. Ist es denn bis heute nicht gelungen, den verruchten Mörder zu entdecken und der strafenden Gerechtigkeit zu überantworten?" Je länger der Fremde sprach, desto mehr gewann Heinrich seine Geistesgegenwart und Fassung wieder. Er durchbohrte den Sprechenden förmlich mit seinen Blicken, und als derselbe geendet hatte, packte er ihn wie mit Eisenklammern am Arm und sagte mit durchbohrender Stimme: „Darüber könnt Ihr vielleicht die sicherste Auskunft geben; denn nun erkenne ich Euch endlich wieder. Ihr seid der schwarze Just!" Einen Augenblick stand dieser wie erstarrt ob der Ruhe und herausfordernden Frechheit, mit welcher der Verbrecher vor ihm stand, dann schüttelte er die Hand von sich ab und sagte im Tone grenzenloser Verachtung: „Ihr seid in der That ein trefflich geschulter Mörder, aber bei mir verschlagen Eure Verstellungskünste nichts. Ich bin gekommen, Euch zur Rechenschaft zu ziehen und der Vergeltung zu überantworten; denn ich will nicht länger mit dem Fluch, als Mörder zu gelten, belastet sein." „Ihr seid ja auf einmal nach so vielen Jahren merkwürdig sensitiv geworden," höhnte der Andere. „Was zum Teufel führt Euch aus Eurem Brasilien hierher, um unsere Ruhe und Zufriedenheit zu stören? Ueber der Geschichte ist Gras gewachsen und man läßt, Gott sei Dank, die Todten ruhen!" „Der Todte ruht nicht," sagte Just feierlich „aus der Grube, in die Ihr ihn geschleudert,- streckte er die blutige Hand, Rache erheischend, 'gen Himmel. Ihr müßt Sühne leisten und seid nicht länger würdig, das Dasein Eures edlen unschuldsvollen Weibes mit Eurer Gegenwart zu vergiften." Heinrich schauderte. — Ein Schmer - zensschrei entrang sich seiner Brust, das unsäglichste Weh trat auf seine Lippen, als er die Worte sprach: „Habt Ihr es wirklich gewagt, die Ruhe meines angebeteten Weibes mit Euren Enthüllungen zu trüben?" „Sie kennt die Wahrheit und den Mörder ihres Verlobten," antwortete Just entschieden. Heinrich sank wie vernichtet in sich zusammen, einen Augenblick schien es, als wolle er sich auf den drohend vor ihm stehenden Ankläger stürzen, dann aber faßte er sich und sprach mit unheimlich erkünstelter Ruhe: „Ich will Euch nun in wenig Worten meinen Entschluß mittheilen. Für alle Eure Märchen habt Ihr keine Beweise. Ich verachte sie und bestreite sie bis zum letzten Athemzug. Ich werde um meine Marie kämpfen. Macht, daß Ihr von hier fortkommt, augenblicklich, ohne Verzug, so will ich Euch schouen, sonst lasse ich Euch verhaften und die Gerichte werden zwischen Euch und mir zu entscheiden wissen." Damit wandle er sich und kehrte nach der Stadt zurück. Just stand wie vom Donner gerührt; auf diese unerhörte Frechheit des Verbrechers war er in der That nicht gefaßt, und im ersten Augenblick tauchte der Gedanke wirklich in ihm auf, daß seine Stellung eine unsichere und bedrohte sei. Bald hatte er aber seine Ruhe wieder gewonnen und schlug den Rückiveg nach Fersheim ein. Heinrich trieb sich noch mehrere Stunden, gemartert von peinigenden Gedanken, in der Umgegend herum. Die ungeheuere Selbstbeherrschung dre er vor seinem Ankläger bewahrt hatte, verließ ihn, wenn er daran dachte vor sein Weib treten zu müssen. Die Saat des Mißtrauens war in ihre Brust gelegt und er ahnte nur zu grck, daß sie den Glauben an ihn ver- loren hatte. Er suchte den peinlichen Moment der Begegnung so lang wie möglich hmauszuschieben und hoffte Marie bereits im Bette zu finden. Deshalb kehlte er erst gegen Mitternacht in 17 sein Heim zurück, aber Marie hatte ihn erwartet, sie wußte, daß die Begegnung mit Just stattgefunden hatte und hoffte, den Verbrecher zerknirscht und tief dar- niedergebeugt von dem Bewußtsein seiner Schuld zu finden. Ihr Entschluß war bereits gefaßt; sie wollte ihn reich mit Mitteln ausstatten und zur Flucht bewegen. Die Sühne seines Verbrechens stellte sie Gott anheim — “------- Wie erstaunte sie aber, als ihr Gatte ganz harmlos und mit der unschuldigsten Miene bei ihr eintrat, ohne Weiteres seine Begegnüug mit Just schilderte und entschlossen erklärte, daß er den Kerl morgen verhaften lassen würde. Marie war im ersten Augenblick sprachlos, aber sie erkannte doch, daß diese Ruhe, die ihr Mann erheuchelte, eine erkünstelte war, daß sich eine ungeheuere innere Aufregung dahinter verbarg. Sein Auge hatte deu Ausdruck eines Irrsinnigen, dessen Nerven, auf das Höchste gespannt, jeden Augenblick den Ausbruch einer Katastrophe befürchten ließen. Sie eutgegnete deshalb so gelassen wie möglich: „Bemühe dich nicht, mich täuschen zu wollen. Zwischen uns kann fürder keine Gemeinschaft mehr sein, aber ich will nicht als das Weib eines Gerichteten den Rest meines durch dich vernichteten Daseins vollbringen. Fliehe, so weit dich deine Füße tragen können, in den entferntesten Winkel der Erde und Gott möge dir deine Schuld vergeben. Der Gemordete, der, Rache suchend, seineHand aus dem Grabe streckte, in das du ihn versenkt, möge mir verzeihen, wenn das Verbrechen ungesühnt bleibt!" Einen Augenblick starrte sie Heinrich mit seinen irren, verstörten Augen an, dann schrie er, in namenloser Verzweiflung sich die Haare zerraufend: „Verloren, verloren!" und stürzte in sein Zimmer, wo er sich unausgekleidet auf das Bett warf. Eine bange Stunde verstrich, Marie konnte keine Ruhe finden, sie lag im 2

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