Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

12 13 abhängig und nur mein freier Wille hat mich hieher geführt, um mich von dem furchtbaren Verdacht, der auf mir lastet, zu reinigen. Von den Vorgängen, die sich hier vor drei Jahren in so entsetzlicher Weise begeben haben, hatte ich in Brasilien keine Kenntniß erlangt. Erst als ich den deutschen Boden betreten hatte, erfuhr ich nach und nach die Schreckensthat, die ich begangen haben sollte und mein Entschluß stand sofort fest, hieher zu eilen, um mich freiwillig den Gerichten zu stellen. Hören Sie nun mein Geständniß und leihen Sie mir dann Ihren Beistand, um den Knoten dieses grauenvollen Geheimnisses zu entwirren. Ja, Frau Marie Schleicher, hören Sie es und schaudern Sie vor dem Menschen zurück, der die feste Absicht hatte, einen Mord zu begehen, der aber die That in Wirklichkeit nicht vollbracht hat. Was ich Ihnen vor drei Jahren geschrieben, war Wahrheit und meine Ueberzeugung. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß Ihr Verlobter an jenem verhängnißvollen 6. September zur Holz- licitation nach Fersheim reiten würde. Ich lauerte ihn im Wald auf, sah ihn endlich herannahen und feuerte meinen Schuß auf ihn ab. Aber meine sonst so treffsichere Hand versagte mir im Bewußtsein der Schandthat, die sie vollziehen sollte, ihre Dienste, ich fehlte und hatte nicht den Muth, einen zweiten Schuß abzufeuern. Ich begab mich auf die Flucht, stürzte aber in der Verwirrung einen Abhang herab und im nächsten Augenblick hatte mich der Förster, der beritten war, erreicht und stürzte sich auf mich. Er hätte mir mit seinem Hirschfänger den Garaus machen können und ich war auch schon darauf gefaßt, aber merkwürdigerweise that er mir nichts, sondern packte mich nur am Genick und schleppte mich seitwärts ins Gebüsch Dort eröffnete er mir, daß er morgen mit Ihnen getraut werden sollte, aber bereits einer Anderen ein Eheversprechen geleistet habe und nicht mehr nach Nordheim zurückkehren wolle. Er habe die Forstcasje bei sich und wolle mir sogleich tausend Thaler geben, wenn ich sofort mit meiner Rest am selben Tag nach England flüchten wolle, um auf Nimmerwiederkehr nach Amerika auszuwandern. JnSouthampton würde ich dann nochmals tausend Thaler erhalten. Er ließ mich einen Eid schwören, den ich gern leistete, da mir nach diesem Vorgang der Boden unter den Füßen brannte. In Southampton fand ich richtig die zweiten tausend Thaler vor, begab mich aber nicht nach New-Iork, sondern zog es vor, mich nach Brasilien mit der Rest einzuschiffen." Mit athemloser Spannung hatte die bejammernswerthe Frau dieser Mittheilung gelauscht. Sie rang verzweiflungsvoll die Hände, denn sie sah eine Katastrophe für ihr junges Leben Herannahen, die in ihrer Lösung vielleicht noch schrecklicher wie die frühere war. Als sie sich einigermaßen gefaßt hatte, sagte sie mit erlöschender Stimme: „Und seid Ihr denn auch sicher, daß dieser Förster wirklich mein Bräutigam war?" Hierüber entgegnete Just: „Habe ich mir später wohl Gedanken gemacht, denn so genau kannte ich Herrn Melden doch nicht. Wir hatten uns immer nur in gewisser Entfernung gesehen, aber wie konnte ich zweifeln? Er trug genau den Bart, wie ihn Ihr Hans getragen und die Montur war die eines fürstlichen Försters. Jetzt waltet in mir allerdings kein Zweifel ob, daß er der eigentliche Mörder war, der Ihren Bräutigam vielleicht nur eine Stunde vorher am Drei-Kreuzwegs erschossen und seinen Leichnam beseitigt hatte." Der ganze Plan war mit wahrhaft teuflischer Schlauheit angelegt, um mich mit dem Verdacht zu belasten, von dem ich mich damals auch nur schwer hätte reinigen können. Jetzt begreife ich auch, warum er mein Leben, das in seiner Hand lag, geschont hatte. Mein Tod konnte ihm nur schaden, meine Fluch' aber nützen. Der Verdacht mußte au mir hängen bleiben. An Ihnen, gnädige Frau, ist es nun, zu erforschen, wer am Leben oder Tod Ihres Geliebten ein Interesse hatte." Marie war in ein dumpfes Brüten versunken. Ein gräßlicher Verdacht tauchte in ihr auf, dem sie aber weder Gestalt noch Namen geben wollte oder mochte. Endlich sprach sie resignirt,. indem sie ihre Rechte gegen Himmel streckte: „Ueberlassen wir dem da Oben die Lösung dieses furchtbaren Räthsels. Seine Allweisheit wird den Schul digen zu finden und zu strafen wisse! — Vorderhand bitte ich Euch, Herr Just, unterlaßt noch auf einige Tag Eure Stellung vor Gericht. Ich möchte beinahe wünschen — schloß sie mit thränenerstickter Stimme — Ihr wäret in Brasilien geblieben, denn Ihr habt mich namenlos unglücklich gemacht und glücklich sind nur die Nichtwissenden!" Dann trennten sich die Beiden. Just begab sich nach Fersheim zurück, wo er sich als brasilianischer Don Alameda n einem Hotel eingeschrieben hatte. Narie kehrte in ihr Heim zurück, das ihr jetzt wie eine Hölle erschien. Sie hatte weder Kraft, noch Muth, noch an demselben Abend ihrem Gatten Mittheilung von diesem neuen fürchterlichen Erlebniß zu machen. Er schob ihre ungewöhnliche Aufregung den traurigen Erinnerungen und Schmerzen zu, in denen sie immer wühlte, und machte ihr in schonender Meise Vorwürfe darüber. Seine Frau gab ihm aber keine Antwort, sondern begab sich zeitig in ihr Schlafgcmach, das neben dem ihres Gatten lag. Die Eheleute hatten gleich nach den ersten Hochzeitstagen getrennte Gemächer bezogen; denn Heinrich hatte die fatale Angewohnheit im Schlaf laut zu sprechen, ja es traten von Zeit zu Zeit somnam- bulistische Erscheinungen bei ihm zu Tage. Den ganzen folgenden Tag war sie mit sich zu Rathe gegangen, .als Heinrich aber Abends aus der Fabrik heimkehrte, hatte sie ihren Entschluß gefaßt. Sie sprach, nach dem Abendessen einen durchdringenden Blick auf ihren Mann werfend, nur die wenigen Worte: „Hast duschongehört, daß der schwarze Just zurückgekehrt ist, um sich freiwillig dem Gerichte zu stellen?" Der Mann sprang entsetzt vom Stuhl auf und wurde bleich wie der Tod. In der nächsten Minute hatte er sich aber wieder ermannt und antwortete gelassen und mit zärtlichem Tone: „Das ist ein großes Unglück für uns Alle; denn du, meine gute Marie, wirst am meisten in diesem Aufruhr und in diesem Forschen nach dem eigentlichen Mörder zu leiden haben. Die Zeit hat unsere Schmerzen um den Todten schon

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