Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

10 ihm durch ein Spiel der Natur im Aeußern, bestreben Sie sich nun, ihm auch in seinem edlen Innern ähnlich zu werden, dann kann ich vielleicht in Ihnen meinen Hans lieben. Genügt Ihnen dies, so nehmen Sie mich hin." Heinrich war überglücklich und einige Monate später wurde die Hochzeit in aller Stille gefeiert Mariens tiefes und reines Gemüth konnte sich lange nicht beruhigen. Sie betrachtete es als eine Entheiligung ihrer unwandelbaren Liebe zu dem Dahingeschiedeneu, daß sie den Treu- bruch begangen und einem Anderen ihre Hand gereicht hatte. Aber ihr Gatte war klug genug, um sie in ihren.Empfindungen nicht zu verletzten. Er beobachtete die zarteste Rücksicht, ertrug mit größter Geduld die Vergleiche, welche seine junge Frau zwischen ihm und dem nicht mehr Lebenden an- stellte und gab überhaupt zu keiner gerechtfertigten Klage Anlaß. Er war mit einem Wort der liebevollste und zärt lichste Gatte und that Alles, was c> seiner angebeteten Marie nur au den Augen ansehen konnte. Wenn Mari, deshalb gefragt wurde, ob sie glücklich sei, so konnte sie, ohne zu lügen, nicht Nein sagen. So waren drei Jahre seit dem blutigen Septembertag verstrichen. Heinrich hatte darauf gedrungen, von Nordheim wegzuziehen, da er eine eigene Fabrik errichten wollte. Aber dabei war er aus energischen Widerstand sowohl seitens seiner Frau, wie seitens Rietberg's gestoßen. Marie erklärte, daß sie mit allen Fasern an der Stätte, wo ihr Hans ruhe, hinge und Rietberg, in deren Hans und Heim die Neuvermählten ein glückliches Dasein führten, erklärte wieder, von Nordheim nicht früher abziehen zu wollen, als bis sie ins Jenseits abberufen würden. Heiurich's Stellung war wohl eine gesicherte und luccative, aber er wollte nicht immer Diener sein und die Nicht- befriedung seines Ehrgeizes machte ihn allmülig launenhaft und verdrießlich. Endlich wurden auch ihm die stets wiederkehrenden Gedächtnißfeierlichkeiten zu Ehren des erschossenen Försters lästig Demselben war nicht nur eiu prachtvolles Epitaph auf dem Friedhofe, sondern an der Stätte, wo der Leichnam des Ermordeten anfgefunden worden war. eine kleine offene Waldcapelle errichtet worden. Mariens täglicher Spazicr- gang war sozusagen der Friedhof und sobald sie die Zeit dazu erübrige» konnte, eilte sie in die Waldeapelle, um in der Erinnerung an das gräßliche Ereignis; in ihrem Schmerz zu wühle». Merkwürdigerweise war ihr Mann nicht zu bewegen, sie nach der Waldcapelle zu begleiten, er wußte jedesmal sich mit dem einen oder anderen Vor- waud zu entschuldigen. So war zum drittenmal der blutige Septembertag der Auffindung des Dahin- gemordeten herängekommen. An diesem Schmerzenstag wurde alljährlich in der Frühe der Gottesdienst i» der kleinen Waldcapelle verrichtet, wozu die Forstleute und auch die Städter zum Theil sich einsauden. Marie bekränzte dann immer die Gedächtnißtasel, welche in wenigen Worten die Blutthat schilderte und den unbekannten Mörder der strafenden Hand Gottes überantwortete. Wenn sich Alles verlaufen hatte, blieb sie am Liebsten noch ein Stündchen im stillen Gebete, allein. So geschah es auch heute und sie war eben im Begriff, wieder aufzubrechen, als plötzlich ein fremder Mann aus dem Gebüsch trat, sich anstandsvoll und ehrerbietig vor ihr verneigte und sie iu einem etwas fremdartigen Deutsch ausprach. „Erschrecken Sie nicht, gnädige Frau. Ich komme aus fernen Landen her und habe mich sehr beeilt, um deu heutigen Schmerzenstag mit begehen zu können. Sie werden mich schwerlich wieder erkennen, denn das gelbe Fieber und das brasilianische Klima haben mich arg mitgenommen, und ich konnte mich heute ohne Besorgniß unter die Betenden mischen, ich habe viele alte Bekannte unter denselben angetroffen, in mir hat keiner den seinerzeit so verrufenen - schwarzen Just wieder erkannt." Mit einem Schrei des Entsetzens taumelte Marie zurück und sank wie vernichtet auf eine der Betbänke hin, der Schreck hatte ihr die Sprache geraubt. Der gefürchtete Mensch wollte mit großer Deticatesse der schier Bewußtlosen zu Hilfe eilen, aber diese stieß ihn, »ach Athem ringend, zurück und brächte nur mühsam die Worte heraus: „Seid Ihr gekommen, um auch mich zu morden, wie Ihr meinen Bräutigam gemordet habt?" „Wenn ich das eine vollbracht und das andere beabsichtigt hütet, so wäre ich wohl nicht hier," entgegnete der Beschuldigte mit ruhigem, beinahe vornehme» Tone. „Ich habe taufende von Meilen zurückgelegt, da es mich wieder nach der Heimat zog und ich in der Ferne niein Liebstes, meine gute, treue Resi begraben mußte. Hier habe ich nun so entsetzliche Dinge gehört, daß ich bei mir beschlossen habe, mich zuerst an Sie, gnädige Frau, insgeheim zu wenden." Marie starrte den Sprechen- deu mit beinahe verglasten Augen an, der entsetzliche Mensch offenbarte in seiner Haltung, seine»! Tone eine so Vertrauen erweckende Ruhe, daß es förmlich unheimlich auf sie einwirkte. Ein neues furchtbares Geheimniß tauchte hier so wirr und unlöslich wie entsetzlich auf. Eine seither für umstößlich gehaltene Gewißheit war durch das Erscheinen dieses Menschen schon schwankend geworden — der Just konnte wohl schwerlich der Mörder sein. Was hätte ihn sonst veranlaßt, aus weiter Ferne sich hieher auf eine» für ih» so gefährlichen Boden zu begeven? / Sbetdje Beweise brächte er mit, tun l.1 sich von dem auf ihm lastenden schweren Verdacht zu reinigen? Alle diese Gedanke» durchschwirrten de» Kopf der bellagenswertheu Frau, die recht wohl ahnte, daß sie wieder diesen neu auftaucheuden Verwicklungen zum Opfer fallen würde. Just stand eine Weile in ehrfurchtsvollem Schweigen, cr errath den Gedankengang, der vo»l Schicksal so schwer verfolgten Frau, die ihn unausgesetzt fixirte, als wollte sie iu seiner Seele lesen. Endlich unterbrach er das Schweigen: „Ich errathe Ihre Gedanken, gnädige Frau," Pgfe er mit achtungsvollem Tone. „Sie werden irre in ihrer Meinung über mich und ich finde das begreiflich. denn wie mein Aeußeres, hat sich auch mein Inneres umgewandelt. Ich bin schon längst nicht mehr der wilde, ungebildete Inst. Ich habe iu der Schule des Lebens etwas gelernt und mir auch nebenbei ein schönes Vermögen erworben. Ja, ich kann sagen, ich bin reich, un-

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