Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

Schnauze in den verdorrten Aesteu und dem Blätterwerk, schleuderte mit den Füßen die obere Schicht hinaus und plötzlich stieß das Mädchen einen gräßlichen Schrei aus und sank besinnungslos zu Boden Mit brechendem Auge hatte sie eine menschliche Hand — eine Todten- hand aus der Grube hervorragen gesehen. Es war ihr, als strecke sich dieselbe hilfesuchend 'gen Himmel. Die Forstgehilfen suchten die Bewußtlose von der Schauerstätte wegzu- bringen, und während der Eine bemüht war, sie ins Leben zurückzurufen, räumte der Andere die Grube aus. Er hatte nicht viel Arbeit dabei. Das grüne Jagdgewand des gemordeten Försters ward bald sichtbar. Der rechte Arm war an einem abgebrochenen Ast hängen geblieben. Der Körper lag auf dem Rücken und die gebrochenen Augen starrten glanzlos und erloschen 'gen Himmel. Der Forstgehilfe war sich seiner Vorschrift bewußt und berührte den Leichnam nicht, aber seine Thränen konnte er nicht zurückhalten, denn der Förster war von seinen Untergebenen wahrhaft geliebt worden. Waldmann geberdete sich wie rasend, bald sprang er in die Grube, beleckte das Gesicht des Todten, dann heulte er und rannte gestreckten Laufes auf die noch immer Ohnmächtige zu, riß sie am Gewand, beleckte ihre Hände und Gesicht und brächte sie dadurch zum Leben zurück. Der Eine der Forstgehilfen hatte sich auf den Rückweg begeben, um die Gerichtscommission herbeizuholen. Der Andere war bei Marie zurückgeblieben und suchte sie vergebens vor dem Schreckensbild, das ihrer harrte, zu bewahren. Das Mädchen war endlich wieder seiner Sinne Meister geworden. All- mälig tauchte die Erinnerung an die Hand des Todten in ihr auf — sie stieß den Forstgehilfen, der sie abhalten wollte, zurück und eilte der grauenvollen Stätte des Todes zu. Als sie an den Rand der Grube trat und tief unten den Leichnam des heißgeliebten Mannes erblickte, da sank sie, übermannt von unsäglichem Weh, in die Knie und mit thränenerstickter Stimme rief sie: „Oh, warum hast du der warnenden Stimme, die der Allgütige durch mich ergehen ließ, nicht Gehör gegeben! Siehe, wie elend du niich gemacht und wie du mit deinem auch mein Leben vernichtet hast!" Dann rutschte sie die Grube hinab, warf sich auf den Todten und bedeckte sein Angesicht mit ihren Küssen. Ein leiser Hoffnungsschimmer durchbebte sie, als sie im Angesicht und Hände noch Lebenswärme entdeckte. Sie hob sein Haupt in die Höhe, öffnete die gesenkten Lider. Als aber das Blut aus der Schußwunde wieder zu rieseln begann und sie gewahrte, daß es dem Herzen entströmte, sank ihr auch der letzte Hoffnungsschimmer. Sie umfaßte den all- mälig erstarrenden Körper, rief den Geliebten mit den zärtlichsten Rainen und endlich versank sie in dumpfe Bewußtlosigkeit. So fand sie die Gerichtscommission, welche den Thatbestand aufnehmen und den Leichnam nach der Friedhvfcapelle in Nordheim schaffen ließ. Die gerichtliche Obduction ergab, daß der Schuß mitten ins Herz erfolgt war und den augenblicklichen Tod zur Folge gehabt haben mußte. Eine solche Treffsicherheit war nur von einem geübten Schützen vorauszusehen und als solcher galt der schwarze Just, weshalb auch nicht der mindeste Zweifel darüber auf- kam, daß nur er der Mörder sein müsse. Es fiel bei der Untersuchung auf, daß Büchse und Hirschfänger, Uhr und Geld bei dem' Ermordeten gefunden wurden. Man schloß daraus, daß der schwarze Just nur einen Racheact vollziehen und nicht als Raubmörder gelten wollte Uebrigens schwand auch der letzte Zweifel, als es sich herausstellte, daß der Mörder sammt seiner Resi noch an demselben Tage, wo erdas Verbrechen begangen hatte, sich auf die Flucht begeben hatte. Diese Flucht war eine so eilige gewesen, daß die leichtfertige. Dirne, wie sie ging und stand, Mittags, als sie von der Arbeit kam, mit ihm davongelaufen war. Das Leichenbegängniß war unter Betheiligung der ganzen Einwohnerschaft von Nordheim mit großer Feierlichkeit abgehalten worden. Der arme Hans ruhte schon mehrere Tage in kühler Erde, da langte ein Brief von Southampton in England an die trostlose Braut an, der neue Räthsel über die schreckliche Begebenheit verbreitete. Der schwarze Just schrieb kurz und bündig: „Liebes Fräulein Marie! Ich habe mich davon gemacht und will mit meiner Rest nach Amerika auswandern, denn ich will nicht noch einmal ins Zuchthaus kommen. Grämen Sie sich nicht um den schlechten Menschen, den Förster, er ist am Tage vor der Hochzeit durchgebrannt, da er auf seiner früheren Station schon eine Liebschaft hatte, die ihn nicht aus- ließ. Ich glaube, er ist auch mit ihr nach Amerika durchgegangen--------- —" Der Brief wurde dem Gericht übergeben, das aber keinen Werth darauf legte, da es dem Mörder, der voraus- setzte, daß man den Leichnam nicht aufgefunden, nur um eine Irreführung zu thun war. Die Behörde ließ ein Kabeltelegramm nach New-Iork abgehen, um die Verhaftung des Mörders beim Betreten des amerikanischen Bodens zu bewirken, aber anch diese Vorsicht war zwecklos. Just konnte unter den Auswanderern nicht ausfindig gemacht werden. Räthselhaft blieben nur zwei Umstände: Der Cassier einer der Fersheim zunächst gelegenen Eisenbahnstationen behauptete, daß gegen Mittag des verhängnißvollen ^^ll^s ein fürstlicher Förster, den er für Hans Weiden gehalten, ein Billet nach der Hauptstadt gelöst habe. Und zweitens, woher der schwarze Just auf ein9 nal zu den bedeutenden Mitteln für eine olche Fahrt gekommen war. —-------- * * Ein halbes Jahr war seit diesem traurigen Ereigniß verstrichen. Heinrich Schleicher war von seiner langen Geschäftsreise zurückgekehrt, die Blutthat war ihm von seinen Nordheimer Freunden und auch von Marien gleich mitgetheilt worden und es langten von ihm Briefe der aufrichtigsten, innigsten Theilnahme an. Die noch immer trostlose Braut wurde von dieser innigen Freundschaft tief gerührt, sie empfand Sympathie für Jeden, der ihrem Hans im Leben nahe gestanden und war Jedem dankbar, der sich seiner in Liebe erinnerte. Dieses gegenseitige liebevolle Erinnern und Schwelgen in den Schmerzen um den Dahingemordeten führte sie dem Busenfreund ihres Hans immer näher. Keiner kannte den geliebten, unvergeßlichen Mann besser wie Heinrich. Keiner wußte seinen edlen Charakter, sein vortreffliches Herz, seine innige Liebe zu Marien tiefer und lebhafter zu schildern wie er. Immer neue Züge, neue Reminiscenzen aus dem Leben des Freundes wußte er aufzuzählen und damit gewann er sich allmälig die Gunst und Sympathie des Mädchens. Nach Jahr und Tag durfte er schon eine Andeutung seiner eigenen Gefühle und Empfindungen wagen und endlich trat er mit seiner Bewerbung, zu welcher die alte Frau Rietberg ihn aufgemuntert hatte, hervor. r Marie hörte ihn ohne Aufregung an; wie öde und todt war jetzt ihr Herz und wie hatte es gejubelt, als Hans seine Bewerbung anbrachte! „Ich liebe Sie nicht, Heinrich," sagte sie endlich nicht unfreundlich, „denn ich kann überhaupt nicht mehr lieben und mein Herz ist wie ein ausge- brannter Vulcan. Aber Sie sind der Einzige, der meinen Hans aufrichtig geliebt hat und noch liebt und deshalb haben Sie meine Sympathie. Sie gleichen

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