Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

7 6 Nachmittags erschien Marie im Forsthaus und erfuhr die grauenvolle Bestätigung ihrer Ahnungen. Ihre Ver- zweiflung zu schildern, dazu ist unsere Feder zu schwach. Am Schrecklichsten war ihr der Gedanke, daß der Leichnam des geliebten Mannes nicht in geweihter Erde, sondern in einem düsteren Wald- winkel vermodern sollte. Nachdem sie sich einigermaßen gefaßt, ließ sie sich den Fuchs, auf dem ihr Bräutigam seinen Todesritt angetreten, vorführen. Sie bestieg das Roß und ließ sich auch von dem Lieblingshund des Gemordeten begleiten. Zwei Jagdgehilfen folgten ihr. Sie baute auf den Jnstinct des Pferdes, welches an der Stelle, wo das meuchelmörderische. Attentat geschehen, vielleicht freiwillig Halt machen und aus die Spnr leiten würde, wo der Mörder sein Opfer verscharrt haben konnte. Schritt für Schritt ließ Marie dar Roß vorwärts traben; öfters stieg sie ab, suchte selbst oder ließ durch die Forst- gehilfen bis hoch in den Wald hinein, die Seitenwege absuchen/ es war Alles vergebens, nirgends fand sich eine Spnr Zwei Stunden halte schon die Suche gedauert, aus dem ebenen Terrain kam man jetzt in die gebirgigen Partien des großen Forstes. Der Hanptweg führte die Höhen hinauf und hinab, oft wand er sich durch Schluchten und das Mädchen gewahrte mit. innerem Schändern, wie leicht es dem Mörder war, -sein langsam herannahendes Opfer von einem erhöhten Versteck aus zu fällen. Die Forstgehilfen sprachen auch diese Ansicht laut aus und verwünsch teil den schwarzen Just, den sie unbedingt für den Mörder hielten. Sie verschwiegen es' dem Fräulein nicht, daß sie den Förster gewarnt und gebeten hatten, sich von Einem von ihnen begleiten zu lassen, aber er hatte sie ob ihrer Vesorgniß ausgelacht. Man war jetzt an eine Stelle gekommen, die zu den Drei-Kreuzwegen genannt wurde. Die Fahrstraße senkte sich jn eine kleine Thalmulde hinab, um aber gleich wieder durch eine zweite Schlucht die Hohe hinanzusteigen. Das Defilae war mit schier undurchdringlichem Gebüsch eingesäumt, aus dem einzelne hundertjährige. Riesenstämme »«fragten. Als man aus der Thalmulde den Weg durch die Schlucht fortsetzen wollte, stand der Fuchs plötzlich am Eingänge derselben still, schnaubte aus den Nüstern und scharrte mit den Hufen. Marie, die dem Thiere die Zügel gelassen hatte, sprang sogleich ab und warf forschende Blicke ringsumher. Es schien ihr, als ob das Waldgras an einer Stelle, die rechls vom Hauptweg mittelst eines Seiteupfades in die Höhe führte, niedergetreteu sei, es hatte sich eine Art Furche gebildet, als sei ein schwerer Körper darüber geschleift worden. Unbewußt verfolgte die unglückliche Braut diese Spur; ihre Äugen hafteten fest am Boden und mit ,» den Füßen scharrte sie den Waldginster auseinander. Plötzlich stieß sie einen markdurchdriu- genden Schrei aus; sie hatte an einem Ginsterstrauch eine Gumnüschnnr entdeckt und als sie dieselbe anzog, hing ein Medaillon daran. Es war ihre erste Liebesgabe, mit der sie ihren Hans beschenkt hatte, - als der Bund ihrer Herzen besiegelt war. Fast besinnungslos vor Schmerz, warf sich das Mädchen auf den Boden und bedeckte das Medaillon, das ihr und sein Porträt enthielt und noch vor wenigeli Stunden an seinem treuen Herzen geruht halte, mit ihren Küssen. „Das also ist dein letzter Gruß, du einziger Geliebter," ächzte sie, „und dein stummer Ruf zeigt mir ben Pfad, auf dem ich deine sterblichen Ueberreste stnden soll." Die beiden Forstgehilseu standen tief erschüttert und suchten in ihrer schlichten Weise-die Weinende zu trösten. Diese erhob sich aber gefaßt und sagte entschlossen: „Was Euch nicht gelingen wollte, wird der Liebe gelingen. Ich muß ihn wieder finden, ich muß sein treues, liebes Gesicht noch einmal sehen und küssen und wenn ich in die Eingeweide der Erde 'hinabsteigen müßte." Waldinann kam jetzt, die Schnauze dicht am Boden herangelaufen. Das Thier hatte eine Spur, denn abwechselnd winselte es und heulte auf. Unweit der Stelle, wo das Medaillon gefunden worden war, bellte der Hund laut, und als Marie hiuzneilte, entdeckte sie frische, aber verwischte Blutspuren. Der Hund war jetzt nicht mehr zu halten, kläffend und winselnd verlor er sich auf jenem Seitenweg indas Dunkel des Waldes. „Er hat jetzt die Losung," meinte einer der Waldhüter, „und wenn der Hallunke unseren guten Förster nicht bis zu dem großen Sumpf geschleppt und ihu dort versenkt hat, so müssen wir ihu finden." Es währte aber nur wenige Minuten und ein scharfes, anhaltendes Bellen verrieth, daß das kluge Thier sein Ziel er- ' reicht haben mußte. Marie schwankte ----------" ^MM schier bewußtlos weiter. Die Füße versagten ihr die Dienste und sie mußte von den beiden Waldhütern mehr getragen als geführt werden. So erreichte man endlich jene Stelle, von welcher der Hund nicht mehr wegzubringen war. Es war ein öder, unheimlicher Waldwinkel, in dem sich wohl selten eines Menschen Fuß verirrte. Der Forst war hier vor Jahren ausgerodet und auch die Wurzeln und Baumstrunke aus gegraben worden. Das ab- ichufsige, schwer beschreitbare Terrain war mit lauter Löchern und Grube« besäet, tue sich zur Regenszeit mit Wasser füllten, das sich immer tiefer cin- wühlte. Der Mörder, der sein Opfer für immer beseitigen wollte, 'konnte keinen besseren Platz dazu ausfindig machen. Vor einer dieser Gruben rannte nun Waldinann heulend und -winselnd wie besessen auf und ab. Das treue -Thier schien gleichsam die Blutthat zu wittern. • Der Abstieg auf dem. schlüpfrigen Waldboden war kein leichter. Der Mörder hatte es sich augenscheinlich bequemer gemacht, er hatte den Körper von der Anhöhe herab in eine jener großen Gruben geschleudert und dann Reisig und Gestrüpp darauf geworfen. Eines Menschen Auge würde vielleicht erst nach Jahren durch irgend einen Zufall an dieser unheimlichen Stätte die modernden Gebeine eines Dahiugemor- deten entdeckt haben, aber der Spürsinn des Thieres, sein Jnstinct waren schärfer. Marie ließ es sich nicht nehmen, zuerst den Abhang hinabzusteigen, obwohl sie ihre Füße kaum zu tragen vermochten. Der Hund sprang an ihr hinauf und zerrte sie förmlich am Gewände zu einer mit Gestrüpp und Reisig beinahe ganz bedeckten Grube hin. Dann sprang er in dieselbe, wühlte mit Pfoten und

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