Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

4 Ein dankbarer Bkick und Hände- druck seitens Mariens lohnte ihm seine Warnung und Besorgniß, aber Hans machte ein finsteres Gesicht. Er schämte sich, so vor allen Anwesenden gewissermaßen als Feigling dargestellt zu werden und das umsomehr, als noch ein College von ihm zugegen war, an dem er einen höhnischen Blick zu bemerke,: glaubte, er sagte deshalb kurz: „So lange ich noch Förster bin, werde ich meine Schuldigkeit thun und mich auch von keinem Wilddieb ins Bockshorn jagen lassen. Uebrigens dir zu Lieb', meine gute ängstliche Marie, will ich meinetwegen auf die Försterei verzichten, denn es würde dir in dem Wald ohnedies mit der Zeit zu einsam werden. Aber die große Holzlicitation in Fersheim muß ich übermorgen noch ab- halten, das soll dann meine letzte Amtshandlung sein. Doch ich glaube, wir lassen jetzt die Sache auf sich beruhen und denken endlich einmal an den heutigen Zweck unseres Hieherkommens." Alle Anwesenden erhoben sich nach diesen Worten und ergriffen ihre Gläser, der alte Rietberg nahm als Senior der Gesellschaft das Wort und sprach mit komischem Ernst: „Wenn einer eine Reise thnt, So kann er was verzählen! Sintenmalen du Heinrich Schleicher, im Begriff stehst, morgen eine große, lange und beschwerliche Reise wohl nicht nach unbekannten Ländern, aber doch nach dem kalten Rußland und bis weit hinten nach der Türkei anzutreten, so haben wir uns hier versammelt, um dir unsere besten Segenswünsche mit auf deu Weg zu geben." Die Gläser klangen lustig zusammen, Schleicher dankte in ähnlicher Weise und die Gesellschaft verblieb bis in die späte Nacht fröhlich beisammen. Beim Abschied flüsterte Marie dem Scheidenden nochmals in Ohr: „Heinrich denken Sie an Ihr Versprechen und sprechen Sie mit der Rest. Ich kann meiner inneren Angst und Besorgniß nicht los werden, bevor der Just nicht beschwichtigt ist." Schleicher hielt sein Versprechen, ließ sich vor seiner Abreise das Mädchen aufs Comptoir kommen und eröffnete ihrem Geliebten die besten Aussichten. Sie betheuerte aber, ihu, seit er aus dem Zuchthaus gekommen, nur einmal ganz flüchtig gesprochen zu haben und nicht zn wissen, wo er sich jetzt herumtreibe. Heinrich trat eine Stunde später seine große Geschäftsreise ' an, welche ihn nahezu ein halbes Jahr von Nordheim entfernt hielt. Die Vorbereitungen zur Vermählung Mariens mit ihrem ^Hans waren eigentlich schon längst getroffen. Das Hochzeitskleid, der Schmuck lagen bereits im Kasten, die Papiere waren sämmtlich in Ordnung und Hans hätte sich gerne von seinem Freund Heinrich zum Traualtar führen lassen. Aber dieser schützte die Dringlichkeit der Reise vor und so wurde der Hochzeitstag auf den 8. September, als dem Namenstag Mariens, festgesetzt. Am 5. September hatte Heinrich seine Reise angetreten. Des anderen Abends zwischen Licht und Dunkel begleitete Marie ihren Bräutigam nach der Försterei, die, eine kleine Stunde von der Stadt entfernt, -mitten im Wald lag. Das Mädchen wollte es sich durchaus nicht nehmen lassen, ihren Hans bis zu seinem Forsthaus zu begleiten. Dieser gab es aber nicht zu. „Eine Stunde hin und eine Stunde zurück," meinte er, „das geht nicht, bis dahin ist es schon dunkel und da könnte ich höchstens dich wieder nach Hause begleiten. Ich will heute früh schlafen gehen, denn ich muß morgen fchon bei Tagesanbruch aus den Federn sein, da ich, wie du weißt, zur Holzlicitation nach Fersheim muß, die schon um 8 Uhr Früh beginnt. Es sind gute 4 Stundeu bis dahin." „Ist es denn unumgänglich nothwendig, daß du bei dieser Licitation sein mußt," entgeguete ängstlich das Mädchen. „Um 4 Uhr Morgens ist es im Walde so unheimlich still und das ist gerade die rechte Zeit für die Wilddiebe." „Was du dir nicht Alles für Schreckgespenst macht, mein Herzlieber Schatz," lachte der junge Förster, indem er seine Braut umfaßte und herzhaft küßte. „Die Wilddiebe liegen in der Regel um 4 Uhr Früh noch auf deu Ohren, denn ihr Geschäft beginnt erst in der Dämmerung und bei nächtlicher Weile. Uebrigens gehe ich ja nicht zu Fuß, sondern reite auf meinem Fuchs nach Fersheim und auf einen reitenden Förster hat noch niemals ein Wildschütz geschossen." Dem Mädchen kamen die Thränen in die Augen, sie schmiegte sich innig an den Geliebten und sagte mit gepreßter Stimme: „Ich kann mir nun einmal nicht helfen. Wie Agathe im .Freischütz' möchte ich dir zu- rufen: Mir ist so bang, ach eile nicht und bleibe. Es ist mir, als ob ich dich heute zum letzten- male an mein Herz gedrückt." Damit warf sie sich unter einem Strom von Thränen um den Hals des jungen Mannes. Hans stand ganz rathlos diesen leidenschaftlichen Ausbrüchen gegenüber. Er küßte und herzte die Weinende und endlich gelang es ihm, sie auch einigermaßen zu trösten und zu beruhigen. An der 400jährigen Hermannseiche trennten sich endlich die Liebenden, aber Marie kehrte noch einmal zurück, umfing nochmals den geliebten Mann und be- r. "^ ^"' ^e größte Vorsicht zu ge- fürbaß ” Da"" zog Jeder seines Weges k ^"s 91lteu Muthes, Marie schwer ^^5"^" Herzens — sie hatte ihren krautig am zum letztenmal gesehen. 5 Der Förster war bei grauendem Morgen vom Forsthaus weggeritten. Gegen Mittag traf ein reitender Eilbote mit dem Fuchs des Försters aus Fers- heim ein. Derselbe war zur Holzlicitation nicht erschienen, aber das Roß hatte seinen Weg fortgesetzt und war in der Nähe der Eisenbahnstation herrenlos im Feld grasend aufgefunben worden. Am Sattelzeug fanden sich verwischte Blutspuren. Die Forstgehilfen und Knechte geriethen in die größte Aufregung, bei ihnen Unterlag es keinem Zweifel, daß der schwarze Just seinen Racheact. vollzogen hatte. Einige be- gaben sich sofort auf den Weg nach Fersheim, um den Spuren des Försters zu folgen. Aber weder auf deu Haupt-, noch Seitenwegen war eine Spur von ihm aufzufinden. Es war, als ob ihn der Wald verschlungen hätte.

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