Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

3 2eine so merkwürdige Äehnlichkeit, daß man sie für ein Brüderpaar hätte halten können. Und doch war es nur ein Spiel der Natur, welches'diesesMenschen- paar gerade, auf diesen Fleck Erde hingewürfelt hatte. ’ Man brauchte indes 'hin Lavater.zu sein, um doch merkliche Unterschiede zwischen Beiden zu finden. Der vielbrneidete Schütze Heinrich Schleicher war, wie man zu sagen pflegt, ein feiner junger Mann von 28 Jahren, der den Posten eines Leiters der großen Metallwaarenfabrik in Nordheim bekleidete. Er glich seinem Intimus Hans Melden in Gestalt, Gesichtszügcu, Farbe der Haare, Schnitt des Bartes.wohl wie wie ein Ei dem anderen. Sein ganzes Wesen hatte aber im Gegensatz zu dem des Anderem etwas Kultes, Geschäftsmäßiges an sich, weshalb er auch für älter gelten konnte, als er in Wirklichkeit war. Wenn das Auge der Spiegel der Seele genannt wird, so reflectirten sich in demselben gerade keine rnhmens- werthen Eigenschaften. Dieses Augenpaar sprach keine aufrichtige, sympathische Sprache. Es lag etwas Unstätes, Unheimliches, Unaufrichtiges in demselben und deshalb hatte er auch bis jetzt kein . Glück mit seinen Liebeswerbungen gehabt, In vollkommenem Widerpart zu ihm in seelischer Beziehung stand sein Busenfreund Hans Welden, der Förster aus den fürstlichen Forsten, die sich meilenweit um Nordheim herum erstreckten, war. Eine kräftige, durch das Weidwerl gestählte, männliche Erscheinung. Beinahe gleichen Alters mit Heinrich, erschien er in seiner Frische, feinem fröhlichen freien Blick um Vieles jünger, deshalb schlugen ihm auch, wenn er in seiner kleidsamen, schmucken Jägertracht erschien, alle Mädchenherzen entgegen. Vor Allem war es das jener silberhellen Stimme, welche soeben die Verwahrung eingelegt hatte: der Förster solle sein gefährliches Handwerk sobald als möglich niederlegen. Dieses Mädchen hatte ein wohl erworbenes Anrecht auf diese Warnung, denn es galt für die erklärte Braut des jungen Forstmannes. Fräulein Marie Gumbrecht war erne Waise, die im Hause des Ehepaares Rietberg seit ihrem sechsteu Jahr bis zur herangeblühten Jungfrau. erzogen £ worden war. Sie konnte für eine jener ländlichen Schönheiten gelten, die durch Natürlichkeit und angeborene Anmuth die verfeinerten Toilettenkünste der modernen Stadtdame zu überstrahlen wissen. Sie besaß aber außerdem einen Fond nicht gewöhnlicher Bildung, die im Verein von Herz und Gemüth sie zu einem vielumworbenen weiblichen Wesen - erhoben, dazu kam uoch, daß sie über ein ansehnliches Vermögen versagte und außerdem als Erbin der Nietbcrg'scheu galt. . , . Eine Zeit lang schien es, als ob Heinrich Schleicher den Sieg über ein ! halbes Dutzend Nebenbuhler davontrngen würde. Es war zwischen den Beiden zwar noch, zu keiner Erklärung gekommen, da Marie erst 16 Iahte zählte, allein Heinrich legte sich manches freundliche Wort zu seinen Gunsten aus und da er gern gesehener Gast im Riet- berg'scheu Hause war und namentlich in hoher Gunst bei der alten Dame stand, so glaubte er, daß es ihm nicht fehlen lönne, wenn er im geeigneten Zeitpunkte mit einer ernsten Erklärung und Werbung hervortreteu würde. I Da erschien vor zwei Jahren Hans Melden auf dem Plan. Er war ein entfernter Verwandter der Nietberg'ichen und fand selbstverständlich in deren Hans die freundlichste Aufnahme. Marie war . damals gerade in ihr 18. Jahr getreten und. das frische, fröhliche und natürliche Wesen des jungen Forstmannes gewann ihm unbewußt das Herz i beS reizenden Mädchens. Sie empfand die ersten Regungen wahrer Herzcns- liebe, die ihr im Umgang mit Heinrich ganz fremd geblieben waren. Hans gewahrte bald aus manchen Anzeichen, daß ihm Marie gewogen war und er zögerte auch nicht, ihr bei erster Gelegenheit das Geständniß seiner Liebe zu machen. Marie war keine Zierpuppe und sie legte ihren Empfindungen keinen Zwang anf. Wie es. ihr vom Herzen kam, so sprach sie sich aus und Heinrich erfuhr zu seinem größten Leidwesen plötzlich, daß ihm die glänzende Partie' ent- giite setzte gangen war. Er machte aber Miene zum bösen Spiel und nichtsdestoweniger den mit dem jungen Förster bereits geschlos- senen innigen Freundschaftsbund, anf welchen sie die Natur durch gegenseitige Aehnlichkeit gewissermaßen angewiesen hatte, fort. Kehren wir nun wieder zum Gang der Ereignisse zurück, so müssen wir zunächst die Erklärung der besorgten Braut um ihren Bräutigam weiter verfolgen. Der alte Herr Rietberg meinte, vor Allem müsse der gefürchtete schwarze Just unschädlich gemacht werden und dazu habe er einen ganz besonderen Plan auserson- uen. Er wolle nämlich aus dem Kerl einen braven, arbeitsamen Menschen wachen, ihm eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung oder Beschäftigung geben, damit er das gefährliche Wilddieben nicht mehr zu betreiben brauche. „Das ist Alles recht schön," entgegnete darauf der jungeFörster, „aberJhr kennt diesenSchlagMen- schen nicht. Gebt dem Just die beste Stellung, das schönste Einkommen, dje Wilddiebereien wird er doch nicht lassen, das einzig probate Mittel, ihn unschädlich zu mach, n, wäre noch, ihn bei der Jägerei zu tedicnsten. Darüber werde ich dieser Tage mit dem Oberförster und Forstrath reden, obwohl ich mich eigent- lich meiner Feigheit schämen sollte, denn uch fürchte den Kerl nicht im Mindesten." »,^ber ich desto mehr," fi l ihm Marie ins Wort, indem sie' ihre Arme um den Nacken ihres Bräutigams schlang. „Du glaubst nicht, welche innere Angst und Besorgniß mich seit der Zeit verfolgt, wo der Mensch aus dem Zuchthaus gekommen ist. Niemand weiß, wo er sich herumtreibt, von was er lebt. Sein Mädel, die leichtfertige Resi, die in der Metallwaarenfabrik arbeitet,, soll sich geäußert haben, der Just sei nicht umsonst gerade wieder hieher gekommen und man werde bald etwas von' ihm hören." „Nun, da kann, ich ja auch etwas dazu beitragen, um die Sache zu einem guten Ausgang zu bringen," meinte Schleicher, „die Rest kenne ich und werde ihr uoch heute Abends beim Auszahlen ius Gewissen reden, der Just, so wild und ungeberdig er auch sein mag, steht doch unter ihrem Pantoffel, ich fürchte nur, daß sie selbst nicht weiß, wo der Kerl sich jetzt herumtreibl. Es wird deshalb das Beste sein, lieber Hans, wenn du in den nächsten Tagen den Wald' meidest." ■1*

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