Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

104 105 entgegnete der Mann mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen, „mein linkes Auge —" „Was ist's mit dem? — Her mit dem Licht!" schrie der Markgraf und wandte sich einem der Knappen zu, der Reisig entzündet hatte und jetzt zu der Gruppe trat. „Da leuchte her, Du Tölpel, bist Du vor Furcht blind geworden, daß Du nicht siehst, wo wir stehen?" Und in seiner Aufregung nahm Markgraf Leopold dem Knappen das brennende Reisig aus der Hand und leuchtete dem vor ihm stehenden Manne in's Gesicht. Es war Clemens, der richtig die Wildkatze aufgestöbert und durch Dick und Dünn in der Hitze der Jagd verfolgt hatte. Gerade als der Markgraf, dessen Rahen er überhörte^ hier passiren wollte, hatte er das Thier angeschossen, das im Schmerz und in blinder Wuth vom Baume herab — und dem Markgrafen auf den Nacken gesprungen war, von wo das Thier Clemens an die Kehle fuhr, als dieser nach ihm langte. Clemens sah zum Erbarmen aus. Das Blut rann ihm über das Gesicht und färbte den weißen Schafspelz tiefroth. „St. Georg", rief jetzt der Markgraf, der Clemens rasch untersucht hatte, „die Bestie hat Euch das linke Äuge ausgerissen — Mann Gottes, spürt Ihr denn nichts davon?" „Nichts", sagte Clemens etwas matt, „ich sehe nur nichts auf dem linken Auge —" „Ei, freilich wohl", brummte der Markgraf, das linke Augenlied des Mannes auf- und zuklappend, „hab' noch mein Lebtag nicht gehört, dass man ohne Augapfel auch sehen kann —" Bei diesen Worten war auch die Markgräfin, die mittlerweile dem zweiten Knappen ihr Pferd übergeben hatte und abgesessen war, zu der Gruppe getreten, übersah mit einem Blick das Unglück, das Clemens passirt war, und als echte, deutsche Frau brächte sie sogleich Hilfe. Sie zog ihr Halstuch aus dem Pelz heraus und faltete es zusammen, der Markgraf half ihr den Verband anlegen und die hohe Frau sagte dabei dem das brennende Reisig haltenden Knappen: „Führt den Mann nur gleich nach Garsten zum Pater Arzt — es ist näher, ivie nach Steyr — und erzählt, was hier vorgefallen ist; das Uebrige wird sich morgen finden!" „Ja, so soll es sein", pflichtete der Markgraf bei, „der Mann bleibt dort in Pflege — wir wollen morgen nach ihm sehen. Doch, was, zum Kukuk, haltet Ihr denn da so fest in der Hand, Unglücksmensch ?" Diese Frage galt dem Clemens, der schmerzdurchwühlt dagestanden hatte und sich den Verband ganz wie geistesabwesend anlegen ließ, denn er dachte in diesem Augenblick an sein Weib, wie recht es hatte, ihn gerade heute vom Wildern zurückzuhalten. Auf die Frage des Markgrafen gab er keine Antwort, daher dieser nach der geballten Faust des Clemens langte, derselben etwas Behaartes, Knochiges entnahm und das Ding an die Flamme hielt. „Ei, St. Hubertus, ist das ein seltsam Geschmeis", rief der Markgraf hochüberrascht, als er sah, was er in der Hand hatte, „seht doch, meine tapfere Sophie, das ist ein Vorderlauf der Wildkatze, die der brave Mann hier nur im Ringen dem Vieh ausgerissen haben kann." Und während die Markgräfin ihrem Gemahle die Katzenpfote aus der Hand nahm, bückte sich Leopold und hob das bereits verendete Thier vom Boden auf. „Ja — es ist der rechte Vorderlauf der Katze", sagte er kopfschüttelnd, „das heiß ich Kraft haben —" „Ei, doch, ja", unterbrach die Markgräfin ungeduldig ihren Gemahl, „seht nur, daß der Mann nach Garsten gebracht wird, sonst nützt ihm alle seine Kraft nichts mehr." Der Markgraf nickte zustimmeüd, befahl den beiden Knappen, den verwundeten und vor Schmerz zitternden Clemens nach Garsten zu geleiten, half daim seiner Gemahlin in den Sattel und schwang sich selbst auf's Pferd, und während die beiden Knappen den stillen Cle- nlens sorgsam nach Garsten führten, ritt das markgräfliche Paar langsamen Schrittes nach Steyr, lebhaft den Vorfall besprechend. Die todte Wildkatze sammt dem ausgerissenen rechten Vorderlauf aber hatte Markgraf Leopold mit sich genommen. III. Das lebhafte Mitgefühl, das Markgräfin Sophie für den bedauernswerthen Clemens empfand, theilte Markgraf Leopold im vollen Maße und er versprach während des Heimrittes seiner Gemahlin für den ihm noch unbekannten Mann zu sorgen, falls derselbe dies nicht selbst mehr im Stande sein sollte. Der Markgraf ließ am nächsten Morgen Erkundigungen nach Clemens in Garsten einziehen. Bezüglich dessen Befinden lautete die Nachricht nicht allzu- günstig. „Es sei allerdings keine Lebensgefahr für den Kranken vorhanden", ließ der Pater Arzt sagen, „jedoch sei das linke Auge nun einmal verloren; indeß werde die Heilung regelmäßig verlaufen." Minder mitleidig stimmten aber den Markgrafen jene Aufschlüsse, die der Bote über die Person des Verwundeten brächte. „Was", rief der Markgraf, darüber in Zorn gerathen, aus, als der Bote geendet hatte, „der Mann ist einer meiner Knechte und wildert in meinen Forsten? Himmel alle Welt, das will ich abstellen!" „Richt doch, mein Herr Gemahl", begütigte die Markgräfin ihren Gatten, „der Mann hat für seine Leidenschaft, dächt ich, doch genug gebüßt! Oder könntet Ihr den von Gott Gestraften noch Euern Zorn fühlen lassen, lieber Leopold? Dessen halte ich Euch nicht für fähig!" Markgraf Leopold biß sich in die Lippen, um seinen Unmuth niederzu- kämpfen, und sagte: „Traun, liebe Sophie, so hab' ich die Sache nicht aufgefaßt, wie Ihr — für mich liegen die Dinge anders. Das Wildern meines Barschalk hat mich in Lebensgefahr gebracht und das ist's, was ich nicht ohne Strafe vorübergehen zu lassen vermeine —" „Und doch, Herr Gemahl, so wie Euch der Barschalk in Gefahr gebracht hat, setzte er auch sein Leben dafür ein, Euch daraus wieder zu befreien", meinte die Markgräfin sanft. „Ich sollte vermeinen, daß solch muthiges Thun alle Schuld wett macht, und danke Gott dafür innigst, daß er Euch mir erhalten hat!" Die Herzensgüte und der Seelenadel, die aus den Worten seiner Gemahlin sprachen, wirkten besänftigend auf das Gemüth des Markgrafen, allein das Verbrechen, das darin lag, daß ein Dienstmann wilderte, war in damaliger Zeit viel zu groß, als daß der Markgraf so ohneweiters dasselbe nachgesehen hätte, und die Markgräftn erkannte aus Blick und Miene ihres Gemahls, daß derselbe Clemens nicht verziehen habe. Am Nachmittage ritt das hohe Paar nach Garsten, um sich nach dem Verwundeten umzusehen. Als die Beiden, geführt vom Pater Arzt, in die Stube eintraten, in welcher Clemens mit verbundenem Kopfe lag, trafen sie ein Weib am Krankenlager sitzen und bitterlich weinend. „Es ist das Eheweib des Clemens", sagte der Pater Arzt, als er die fragenden Blicke des hohen Paares gewahrte. „Wir haben sie heut früh vom Unfälle ihres Mannes verständigt und da ist sie denn hierher geeilt." Der Markgraf nickte frostig und hörte zu, wie seine Gemahlin den Kranken nach seinem Befinden fragte. Frau Afra, die aufgestanden war, hatte mit innerem Beben die strenge Miene des Landesherrn beobachtet und sie mit echt weiblichem Jnstinct sofort richtig gedeutet. Daß der Markgraf ihrem Manne wegen dessen Wilderei zürnte,

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