Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

96 Am 27. August fand in Phitippopel die Eröffnung der Landesausstellung in sehr feierlicher Weise statt. Der Fürst erklärte in seiner Eröffnungsrede das Gelingen der Ausstellung als „einen Sieg der Culturarbeit und Civilisation, als Anfang einer neuen Aera des Fortschritts". Zahlreiche Besucher aus dem Auslande besichtigten die Ausstellung. Am 19. December wurde in der bulgarischen Sobranje die vom Cabinete ausgearbeitete und vorgelegte Verfassungsänderung angenommen. Dieselbe enthält unter anderem die Bestimmung, daß der Fürst von Bulgarien keiner anderen als der orthodoxen Religion angehören dürfe. Nur dem gegenwärtigen, vom Volke gewählten Fürsten und seinem ersten Nachkommen sei das Verbleiben in ihrem katholischen Bekenntnisse gestattet. Damit erlangt sie allerdings noch nicht Geltung, sondern mußte erst vor die große Sobranje kommen. Am 12. Februar kam aus Florenz nach Tirnowo ein Telegramm, das zwar an Stam- bulow adressirt, aber an das ganze Volk gerichtet war, denn es enthielt eine freudige Nachricht: Prinz Ferdinand- theilte mit, daß er sich eben mit Prinzessin Louise von Bourbon, der Tochter des Herzogs von Parma verlobt habe. Aufrichtige Freude erhob sich darüber im ganzen Lande. Als Beweis dafür, wie sehr das Bulgarenvolk an seinem Herrscher hängt, mag die Thatsache dienen, daß der Metropolit Element, als er am 28. Februar — dem Geburtstage des Fürsten — in der Kathedrale eine unpatriotische Predigt hielt, von der empörten Volksmenge ergriffen und ohne viel Federlesens in das Kloster Peter und Paul eingesperrt wurde. Am 20. April fand die Trauung des Fürst en mit Louise von Bourbon in der Villa Pianore bei Viareggio statt. Mit großartigem Enthusiasmus wurde der Prinz bei seiner Heimkehr von seinen Unterthanen begrüßt und auch die junge Fürstin erfuhr die stürmischesten Huldigungen des treuen Bulgarenvolkes. Indessen waren auch die Wahlen für die große Sobranje, welche die Verfassungsänderung definitiv annehmen sollte beendet und wie nicht anders zu erwarten war, ganz im Sinne der Regierung ausgefallen. Mit Genugthuung und frohen Hoffnungen konnte der Fürst am 16. Mai die Sobranje mit einer Thronrede eröffnen, in welcher er dankbaren Gemüthes der Treue und Anhänglichkeit der Bulgaren gedacht. Schweden und Norwegen. Schon seit längerer Zeit ist das Bestreben Norwegens, das ohnedies nur durch das lose Band der Personalunion mit Schweden verknüpft ist, dahin gerichtet, dieses Band ßu lockern und möglichste Unabhängigkeit zu erringen. Als weiteres Mittel zu diesem Zwecke sollte die Forderung dienen, das; Norwegen eine eigene Consularvcrtretnng erhalte. Die Ent- scheiduiig hierüber wurde dem Storthing — der norwegischen Volksvertretung — überlassen. Als aber auch dieser im Sinne der Forderung entschied, beantwortete der König am 4. Juli die vom Präsidenten des Storthings an ihn gerichtete Adresse dahin, daß er erklärte, er halte daran^ fest den Beschluß des Storthings über die Schaffung eines eigenen norwegischen Con- , sularwescns nicht sanctionircn zu wollen. Dieser Zustand blieb fortan latent. Es wird voraussichtlich noch manchen harten parlamentarischen Kampf geben, bevor diese Frage endgiltig gelöst ist. Wrkei. Die Geißel, von welcher Heuer ganz Europa gezüchtigt wurde, die Cholera, verschonte auch die asiatischen. Provinzen der Türkei nicht. Es war nur ein Glück zu nennen, daß sie sich nicht mit Macht auf Constantinopel warf. Diese volkreiche, von orientalischem Schmutze starrende Stadt, wäre in entsetzlicher Weise verheert werden. In hohem Grade nahm Heuer Egypten das Interesse in Anspruch. Der junge Khedive Abbas, der seinem im Vorjahre verstorbenen Vater Thewfik Pascha folgte, empfand Plötzlich ein unbezähmbares Gelüste, sich von England ein wenig frei zu machen. Er enthob deshalb am 16. Jänner den engländerfreundlichen Ministerpräsidenten Mustapha Fehmi Pascha und bildete ein neues Ministerium mit Fakri Pascha au der Spitze. Aber er hatte die Rechnung ohne den englischen Gesandten gemacht. Am 18. Jänner stellte ihm dieser das Ultimatum, seine Verfügungen binnen 24 Stunden rückgängig zu machen. Dem Khedive blieb nichts anderes übrig als sein Bedauern über das Vorgefallene aus- zudrücken, den eben erst ernannten Fakri Pascha wieder zu entheben und an seine Stelle, den den Engländern genehmeren Riaz Pascha zu setzen. Gleichzeitig erklärte sich der Khedive bereit, bei allen wichtigen Anlässen die Rathschläge Englands zu befolgen. Damit diese Intervention an Deutlichkeit ja nichts zu wünschen übrig lasse, erhielt am 23. Jänner der britische Gesandte in Egypten den Befehl, den Khedive zu verständigen, daß eine Vermehrung der englischen Truppen zum Schutze der in Egypten weilenden Europäer nothwendig sei. Der Khedive mag sich unter solchen Umständen recht unbehaglich fühlen; aber auch in Frankreich ist man über diese Dinge arg verstimmt. An dieser- Sachlage wird wohl auch der Besuch, den der Khedive zu Anfang Juli dem Sultan in Constantinopel inachte, nicht viel ändern. Abbas wurde in der herzlichsten Weise und mit den höchsten Ehren vom Padischah empfangen, aber, daß die bedächtige türkische Diplomatie auf die kühnen Vorschläge des jungen Heißsporns, der eben in Egypten regiert, eingchcn werde, ist ganz und gar undenkbar. Nas Lambcrgsche Schloß in Steyr. Von Heinrich Kematmüller. (Mit Titelbild.) Das Lamberg'sche Schloß in der alten Eisenstadt Steyr ist nicht nur das Wahrzeichen, sondern zugleich das älteste Baudenkmal derselben und das in historischer Hinsicht bedeutungsvollste Schloß im Lande ob der Enns und auch der grünen Steiermark. Sein ältester Name ist Styra- p u r ch, wohl so genannt von dem Flusse Steyr, wo es, an deren Einflüsse in die Enns, vom Markgrafen Otakar IV. unl das Jahr 980 nach Christi erbaut wurde und fortan die Residenz der hier als Grafen, Markgrafen und Herzoge über die Steiermark herrschenden Grafen des Trauugaues war, die hier Hof und Gericht hielten. Bis zum Aussterben dieses Fürstengeschlechtes — 1192 — N das Schloß Steyr seine glänzendsten Tage. Am Fuße des Schloßberges bildete sich nach und nach die heutige Stadt durch Zusiedlung heraus und die Styr a- purch gab nicht nur der Stadt, sondern auch dem heutigen Steiermark die Namen bei deren Klang das Herz des Steyrers und Steiermärkers in Stolz und Freude- höher schlägt. Von 1192 bis 1246 waren die Babenberger Herren des Schlosses und des Gebietes, 1252 eignete sich König Ottokar II. von Böhmen diesen Besitz zu, der es 1276 dem ersten Habsburger, der auf den deutschen Kaiserthron berufen wurde, Kaiser Rudolf I., abtreten mußte. Am 27. Decrmber 1282 belehnte Kaiser Rudolf I. seinen Sohn Albrecht I. u. A. auch mit der Burg Steyr und nun wurde sie und ihr Gebiet, das sich tief an der Enns und Steyr aufwärts erstreckte, mit Oesterreich vereinigt. Die Landesfürsten kamen oft hierher und wohnten in der Burg, die zuweilen auch als Morgengabe und Witwensitz ihren Gemahlinnen zugewiesen wurde, so z. B. der Gemahlin Kaiser Albrecht I., Elisabeth, die viel Gutes in Steyr gestiftet hat. Gewöhnlich standen dem Schloß Burggrafen vor, die viel Ansehen genossen, da sie die Jurisdiction hatten und nur unter dem Landesfürsten standen. Anfangs übten sie ihre Herrschaft auch über die Stadt aus, bis 1378 das auf- hörte. Oft führten diese Burggrafen auch den Titel „Pfleger", immer waren sie aber den edelsten Familien des Landes entnommen. 1614 wurde Georg Sig- mund Freiherr von Lamberg Burggraf auf Steyr, dem 1631 sein Sohn Johann Maximilian als solcher folgte, der 1666 die Herrschaft (nicht die Stadt) Steyr durch Kauf erwarb. Bei diesem Adelsgeschlechte ist denn auch das Schloß der alten Otakare bis auf den heutigen Tag verblieben, gewiß, wenn nicht der schönste so doch der berühmteste Adelssitz in den deutsch-österreichischen Landen. Das Schloß Steyr ist seit seinem Bestehen mit der Geschichte der Stadt innig verwachsen, ja gar oft bildet dessen Chronik fast ausschließlich zugleich diejenige der Eisenstadt. Es ist im schönen Style im Dreieck erbaut, doch datirt seine jetzige Gestalt erst vom Jahre 1727 an, in welchem Jahre es durch eine 7

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