Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

94 95 besitzt, neidisch auf die Erfolge Bulgariens zu sehen, dem die Feindschaft Rußlands sehr gut anschlägt. Am 19. Januar ging wie ein Lauffeuer eine erfreuliche Nachricht durch ganz Serbien. An diesem Tage hatte in Biarritz die Versöhnung zwischen dem Exkönig Milan und seiner Gattin Natalie stattgefunden. Waren auch Beide von einer directen Einflußnahme auf die serbischen Verhältnisse ausgeschlossen, so litt das Land und vor allem der junge-König doch schwer unter dem unseligen Zwiste, und man mußte es wie eine Erlösung begrüßen, daß dieser Hader endlich einmal ein Ende habe. Daß sich die Radicalen unter dem liberalen Ministerium Avakumovic nicht sehr zufrieden fühlten, ist begreiflich. 'Sie gaben diesem Unbehagen deutlich genug dadurch Ausdruck, daß sie in der Skupschtinasitzung vom 8. April eine Secession verunstalteten. Es gab übrigens in Serbien noch eine Person, der die ganze Wirthschaft anfing zu dumm zu werden, und das war der junge König Alexander. Der hatte ganz im Stillen eine sehr nette Ueberraschung sowohl für sein Land, als auch für die übrige Welt vorbereitet. Am -14. April hatte er eben eine seiner Prüfungen mit Erfolg abgelegt und lud zur Feier dieses Ereignisses die Regenten und Minister zu einem Souper. Nach dem Mahle bereitete er seinen Gästen die Ueberraschung sehr trocken mitzutheilen, daß er sich für großjährig erkläre, die Minister und Regenten 'ihres Amtes entsetze und selbst die Regierung übernehme. Der Staatsstreich war so geschickt in Scene gesetzt, daß mit möglichster Promptheit die Regenten in Gewahrsam gebracht, die Armee zum Gelöbniß verhalten und ein neues Ministerium geschaffen wurde, dessen Präsident der ehemalige Erzieher des Königs, der Radicale Dr. Dokic wurde. Die Bevölkerung nahm den kühnen und klugen Streich des jungen Königs mit großer Begeisterung auf, und als er am nächsten Tage die Stadt als selbstherrlicher, großjähriger Herrscher befuhr, wurde er mit tosendem Jubel der Menge empfangen. Mit möglichster Beschleunigung wurden die Neuwahlen für die Skupschtina ausgeschrieben. Keinem Kenner der serbischen Verhältnisse konnte es zweifelhaft sein, wie diese ausfallen würden. Als sie am 31. Mai beendet waren, stand es fest,, daß die Regierung eine erdrückende radicale Majorität habe. Am 16. Juni eröffnete König Alexander die neugewählte Skupschtina mit einer Thronrede, welche gewiß von dem besten Willen des jungen Herrschers, zeugte. Aber bald fam ein Mißton in die hoffnungslose Stimmung. Eine der ersten .Thaten der neuen Regierung war, daß das. liberale Ministerium Avakumovic in Anklagezustand versetzt wurde. Eine Maßregel, die keineswegs zur Versöhnung der Parteien beitragen wird. Zur Zeit, da diese Rückschau schließt, ist das Schicksal der angeklagten Minister noch nicht entschieden. Rumänien. Rumänien trat im verflossenen Jahre wenig in den Vordergrund. Wohl ruhte der Kampf der politischen Gegensätze im Innern auch Heuer nicht, aber Dank der Klugheit und dem streng constitutiouellen Vorgehen des Königs kam es nie zu aufregenderen Zwischenfällen. Fast mehr als die politischen, sind die persönlichen Verhältnisse des rumänischen Königshauses geeignet, unser Interesse zu erwecken. Da ist es vor allem die Gestalt der Königin, die unsere menschliche Theilnahme erwecken muß. Noch immer von ihrem schweren Gemüthsleiden nicht genesen, weilt sie fortwährend int Auslande. Ob sie wohl überhaupt noch ihres Lebens und Landes, froh werden wird? Ob Carmen Sylva wohl je wieder einmal die goldenen Saiten ihrer Leier rühren wird. Der Thronfolger ist indessen von der Herzenswunde, die ihm die schöne Helene Vaca- rescu geschlagen hatte, vollkommen geheilt worden. Er hat sich bereits int Juni v. I. mit der Prinzessin Marie von Edinburgh, eine Enkelin der Königin von England und eine Nichte der Czars verlobt. Lauter Jubel ertönte als König Karl in der Kammer von dieser Verlobung den Deputirten officiell Mittheilung machte, und mit inniger Herzlichkeit wurde das junge Paar nach der Hochzeit bei seiner Ankunft auf rumänischen Boden begrüßt. Möge es ihm gelingen die Wünsche und Hoffnungen des rumänischen Volkes zu erfüllen. Autgarien. Der jüngste unter den Balkanstaaten darf mit wahrer Genugthuung auf das verflossene Jahr zurückblicken. Die Verhältnisse haben sich gefestigt, der Fürst hat durch seine Verheiratung den ersten Schritt zur Gründung einer Dynastie gemacht und alle europäischen Staaten, mit Ausnahme Rußlands, sehen mit Wohlwollen die zunehmende Erstarkung des jungen Fürsten- thums, die in erster Linie der klugen politischen Haltung der Bevölkerung und ihrer Leute zu danken ist, an. Ja selbst Rußland ließ seiner Feindseligkeit in diesem Jahre weniger freien Laus als früher. Freilich zu Beginn des Zeitraumes, auf den Bulgarisches Kürstcnpaar. wir zurück,blicken, steht ein Ereigniß, das an die schlimmsten Tage Bulgariens erinnert. Es ist dies der in die ersten Julitage fallende Proceß gegen die Mörder des Finanzministers Beltschew. Nicht weniger als 18 Angeklagte standen vor Gericht, an ihrer-Spitze Milarow, Popow, Georgiew und Alexander Karagulow, waren durch ihre russischen Beziehungen politisch compromittirte Persönlichkeiten. Es war eine förmliche Verschwörung, die da in Scene gesetzt wurde, und wenn ihre Entdeckung nicht erfolgt wäre, hätte auch Stambulows und des Fürsten Ferdinands Leben gefährdet sein können. Der eigentliche Verurtheilte in diesem Processe war Rußland. Russische Unterhändler und russisches Geld hatten die Verräther geworben; diejenigen, die vor Gericht standen, waren erbärmliche, verführte Werkzeuge, Prügelknaben Rußlands. Die genannten Häupter der Verschwörung wurden zum Tode, ihre Genossen theils zu längeren Freiheitsstrafen verurtheilt, theils sreigesprochen. Gerne Hütte der Fürst den zum Tode verurtheilten gegenüber Gnade walten lassen, aber Stambulow bestand auf der Vollstreckung der Strafe. So wurde denn am 27. Juli die Hinrichtung der zum Tode verurtheilten Verschwörer vollzogen. Am 11. August reiste Stambulow nach Constantinopel. Stambulow wurde vom Sultan in Audienz empfangen, erhielt von demselben zahlreiche Beweise der Liebenswürdigkeit und Anerkennung und wurde schließlich mit einer brillantenbesetzten Tabatiere beschenkt. Mit lebhafter Befriedigung konnte Fürst Ferdinand bei dem am 16. August gefeierten Jahrestage seiner Thronbesteigung in seiner Ansprache auf diese Huldbeweise seines Suzeräns Hinweisen, und die Bulgaren feierten den festlichen Tag in doppelt freudiger Stimmung. Es war dies unzweifelhaft eine diplomatische Niederlage Rußlands,. aber dieses durfte seinen Aerger nicht merken lassen, und es geschah wohl nur pro forina, zur Wahrung des Princips, daß am 20. August der russische Geschäftsträger in Con- stantinopel vom Sultan Aufklärungen üb.r den Empfang Stambulows erbat. Der russische Functionär erklärte sich von den erhaltenen Aufschlüssen „befriedigt."

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