60 Noch ein Händedruck, eilt Kuß, Mechtilde w.ar allein. Mit welchen Gefühlen mochten heute Vater und Tochter ihr Lager aufsuchen? 5. Vereint. Der frühere Cassirer des Hauses Langer saß in Untersuchungshaft. Doch neigte die Untersuchung ihrem Ende zn und die Aburtheilung des jungen Mannes stand nahe bevor. Wie das Urtheil ausfallen würde, war leicht vorauszusehen, da der Angeklagte sich wenig oder keine Mühe gab, die schwere Beschuldigung der Unterschlagung zu entkräften. Durch die Erklärungen, die der hochangesehene Commercienrath Langer nun aber plötzlich dem Untersuchungsrichter gemacht, °trat die ganze Angelegenheit in ein anderes Stadium. Die Haftentlassung des Gefangenen wurde verfügt. Langer wollte nun das in seinen Cassirer geschehene Unrecht wieder vollständig gut machen. Sein strenges Ehrgefühl trieb ihn dazu. Und so hatte er es sich nicht nehmen lassen, den jungen Mann mit seinem eigenen Wagen aus dem Gefängnisse abzuholcn. In demselben Zimmer, in dem am Weihnachtsabend Vater und Tochter gestanden, kämpfend und ringend, standen sich jetzt die beiden Männer gegenüber, beide in ibrem Aeußeren in wenig Wochen sehr verändert. Des Handelsherrn Haar war völlig gebleicht, tiefer Gram lagerte auf dem ernsten Antlitz. Das frische Aussehen des jungen kräftigen Mannes war geschwunden, das 211itlife blajj von Kerkerluft und nagenden Gedanken die Gestalt leicht gebeugt, -ivch wußte sich Faller den plötzlichen Umschwung seiner Lage nicht zu erklären, er wußte nur, daß er frei war, frei, und daß auf ihm ein Verdacht nicht mehr ruhe. Wie war das Alles ge- gekommcn. Eur Blick in das gramdurchfurchte Antlitz seines früheren Chefs ließ lhu den rechten Zusammenhang ver- muthen, ließ ihn ahnen, daß der Schleier des Geheimnisses, den er nicht hatte lüften wollen, dennoch gelüftet war. Und merkwürdig, es war mehr Schmerz über den Jaminer des Handelsherrn, das sein Inneres durchzog, als Freude über die eigene Freiheit. Der Commercienrath hatte die Hand des jungen Mannes ergriffen. „Und Sie wußteii, wer der Dieb war?" „O, nicht das Wort, Herr-----------" „Doch, doch," unterbrach ihn Langer, „warum beschönigen, was dessen nicht würdig? Lassen Sie uns ganz, offen reden; Erwin selbst hat seiner Schwester bekannt, was er gethan und voll Reue ein besseres Leben anzufangen gelobt!" . „Gott sei Dank!" kam es von den Lippen des jungen Mannes. „Möchte der junge Herr auf dem betretenen Wege nur weiterwandeln!" „Das ist unser aller Wunsch. — * Doch nun, offen und ehrlich, ■ Sie kannten den Dieb? Ich möchte bestimmte Antwort." „Ich--------- ich glaubte ihn wenigstens zu kennen. — Als ich im Club von den Verlusten des jungen Herrn hörte, ich selbst die Casse nicht in Ordnung fand und mich erinnerte, wie Herr Erwin sich am Geldschrank zu schaffen gemacht — — " „Gut-gut — und warum stellten Sie ihn nicht zur Rede?" „Ich wollte ihn. beschwören, die That ungeschehen zu machen, und, wenn es nicht mehr möglich, ihn bestimmen, sich Ihnen zu entdecken, Ihre Verzeihung zu erflehen, es war zu spät------ - der Dampfer hatte bereits die Anker gelichtet, Herr Erwin war auf dem Weltmeere!" ' „Hm, und warum vertrauten Sie sich mir nicht an, Herr Faller, warum stellten Sie sich selbst gleich dem Gerichte, warum luden Sie den Schein des Verdachtes anf sich?" Der junge Mann schwieg. Röthe und Blässe wechselten anf seinem Antlitze, die Brust hob und senkte sich unter schweren Athemzügen. „Dachten Sie nicht an Ihre Mutter?" Der Gefragte zuckte zusammen. „O, fragen Sie nicht weiter-------- " „Ich frage wie ein Untersuchungsrichter, mein junger Freund, nicht wahr. Aber ich muß so fragen, es hat seinen Grund. Also an Ihre Mutter haben Sie doch gedacht, auch wohl an Ihren guten Namen; und doch handelten Sie etwas übereilt! Warum aber? Soll ich's Ihnen sagen, was Sie selbst nicht aussprechen mögen? So hören Sie! Sie dachten noch an andere, an einen alten Vater, dessen Herzen Sie Kummer ersparen wollten, Sie dachten an ein junges Mädchen, das seinen Bruder leidenschaftlich liebt, das — — Faller war erregt aufgesprungen. „Halten Sie ein, Herr Commercienrath!" „Warum, mein junger Freund? Oder glauben Sie, ich habe Sie hierher geholt in mein Haus, um Sie zu quälen? Mit nichlen! Aber nun auch keine Umschweife weiter. Also hatte ich recht, lieben Sie meine Tochter, schonten Sie uns um ihretwillen? Frei heraus!" „Ja denn, es ist soff' „Mechtilde!" Der alte Herr rief es mit lauter Stimme, zum Nebenzimmer gewendet. Die Thür" öffnete sich, die Gerufene erschien. Herr Langer ergriff das erröthende Mädchen an der Hand und führte es zu dem jungen Manne, der seiner kaum mächtig in der Mitte des Zimmers stand. „Hier, Mechtilde, ist der Mann, der sich für uns opfern wollte, für den du gekämpft, um den du batest, sage ihm, daß man im Hause Langer Edelsinn zu schützen und zn lohnen weiß und" — fügte er mit dem Finger drohend hinzu: „wenn er mit dem gewährten Lohne zufrieden ist, dann — dann kommt wieder zu mir und holt euch meinen väterlichen Segen." Er ging hinaus, die Liebenden waren allein, wohl eine Stunde. Ein eises Klopfen störte das traute Beisammensein. In der geöffneten Thür 61 erschien eine Frau, hinter ihr der Commercienrath. „Mutter!" „Mein Sohn!" Mutter und Sohn lagen sich in den Armen. Und Mechtilde warf sich in die Arme des Vaters. Heller Freudenschein verklärte die Gesichter der vier edlen Menschen. Endlich brach Langer das Schweigen. „Seid Ihr einig, Kinder?" „Ja!" tönte es wie . aus einem Munde. „Nun denn, meine liebe Frau Faller, den Kindern .unsern Segen! Und dann etwas Geschäftliches, wir Kaufleute können das einmal nicht anders. In vier Wochen ist Hochzeit und dann reist das junge Paar nach der Havanna. Die Verwaltung dort mag mein Schwiegersohn übernehmen, Erwin kehrt in die Heimat zurück, er wird durch eine harte Schule wandern müssen, es wird ihm nicht schaden." „Du hast ihm verziehen, Vater?" „Ich verzieh ihm, an ihm liegt es, sich erwiesener Güte würdig zu zeigen." Frau Faller schien wenig mit dem Plan des Kaufherrn einverstanden. So bald sollte sie sich wieder von dem Sohne trennen? Der Commercienrath wußte die Traurige zn beschwichtigen. „Wenn wieder die Weihnachtsglocken läuten," sagte er fröhlich, „dann reisen wir beiden Alten einmal hinüber und stecken uns einen Weihnachtsbaum an in der Havanna I Eine Tanne nehmen wir freilich mit aus unserer nordischen Heimat, nur da haben sie den rechten Duft, wie er zum Weihnachtsfeste nun einmal gehört." 6. Versöhnt. Der Fall Langer machte in der Handelsstadt großes Aufsehen. Doch war die Theilnahme für das Geschick des alten ehrenwerthen Herrn überall eine große. Von Erwin kain ein Brief I voll herzlichen Dankes gegen den Vater,
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