Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

52 heim. Und morgen soll er abreisen, um der Filiale des alten Handelshauses mit dem hochgeachteten Namen dort draußen in Westindien vorzustehen. Dem Vater die Schuld gestehen? Nimmermehr! W e oft schon hat der Vater dem Leichtsinnigen geholfen! Und soll er nicht gerade wegen der Streiche, die den geachteten Namen schänden können und müssen, hinaus in die Ferne, in eine strenge Schule unter die Aufsicht eines alten ehrenfesten Beamten des alten Hauses? Dem Vater nochmals kommen in diesem Augenblicke? Nie und nimmer! Aber wie helfen? Bei Freunden' ein vielsagendes Achselzucken. Ein anderes Bild! Eng und dunkel sind die Bureaus des alten Kaufmanns- hauses. Dort steht er im Arbeitszimmer. Der Cassirer, sein Freund, sitzt über die Arbeit gebeugt. Dort steht der feuerfeste Schränk mit den dickbauchigen Folianten, den Cassenscheinen, den schweren Rollen mit Gold und Silber. Er hat in einem der Bücher nachzusehen; der Cassirer nickt auf seine Frage bejahende Antwort, ist er ja der Sohn des Hauses. Geräuschlos öffnet sich die eiserne Thür, sie verdeckt ihn förmlich, vor den Blicken des ernsten Mannes, der dort vor 'seinem Pulte steht. Und da liegen sie, die bunten Papiere, in Häuflein geordnet, ungezählt vielleicht; einer, zwei, wenig mehr der Scheine würden genügen, ihn aus aller Noth zu retten. Er greift hin. Wie glühend Blei scheint das bunte Papier. Doch wie der Kopf'brennt! Heute Abend muß die Ehrenschuld gedeckt fein, oder will er einen befleckten Namen mit hin- nusuehmen auf die wogende See? Einen befleckten Namen? Ist er nicht im Begriff, ihm einen Flecken anzuhüugen, der untilgbar? Will er nicht zum gemeinen Diebe werden? Aber wie, wenn der Vater von den anderen — — er denkt nicht mehr, seine Pulse fliegen. Jst's nicht der Fluch der bösen That, daß sie fortzeugend Böses muß gebären? Da drüben am Pulte regt es sich. Muß es dem ernsten Manne nicht auffallen, daß er so lange an diesem Platze weilt? Vielleicht sind's ja nur Augenblicke gewesen, sie däuchen ihm eine Ewigkeit. Da, ein Griff, es ist geschehen! Der Sinnende faßt sich au den brennenden Kopf. Aber warum hat er, hat Emil Falter sich uicht vertheidigt. Gewiß hat er in den Tagen nach der T Abreise von jenem verhängnißvollen Abend gehört, verkehrte doch der sehr geachtete Cassirer auch in seinem Club. Sollte der kluge Mann nicht den Zusammenhang mit dem auffälligen Verschwinden des Goldes geahnt, errathen haben? „Mein Lebensglück ist dahin!" steht uicht so in dem Schreiben, das er zusammengeknittert in der Hand hält? Sie hat ihn geliebt, liebt ihn gewiß noch. Und er, der Freund? Hat er die Gefühle erwidert, ihn geschont um ihretwillen? O, die Gedanken! Glühend brennt die Sonne. Sie stiehlt sich von der Seite in die bisher schattige Veranda. Daheim wirbeln wohl jetzt die weißen Schneeflocken und decken ^ die hochgiebeligenHänser mit einer weißen, winterlichen Decke. Hwr in Westindien kennt man ihn nicht, den Schnee, und doch, wie viel gäbe der Unglückliche für eine Hand voll der kalten Flocken, die brennende Stirn damit zu kühlen. Und dann eilt er, plötzlich sich aufraffench hinein in das noch heißere Haus, in das dumpfe Comptoir, an den Schreibtisch. Erwin Langer, der Sohn des reichen Handelsherrn in Bremen ist wohl immer recht leichtsinnig gewesen, — schlecht sein will er nicht, will, wenn es möglich ist, wieder gut machen, was er gefehlt. Rastlos eilt die Feder, welche die Selbstanklage niederfchreibt, über das Papier. Der Brief ist gesiegelt, adressirt an Fräulein Mechtilde Langer in Bremen, nicht an den strengen Vater. Die Schwester, die den Bruder abgöttisch liebt, soll Fürsprecherin sein. Leichtsinnig und schwach. — — 2. Mutterschmerz. Es ist das ein trautes Stübchen in einem der alten Häuser der inneren Stadt Bremens. Hier stehen die alten, hohenHäuser noch enganeinanderqedräugt. Sie sind gesunken von ihrer Höhe, die einst stolzen Gebäude stolzer Patriziergeschlechter, sie bilden nur noch Bureaus und Lagerräume, die reichen Besitzer haben längst ihre Wohnungen in neue Villen am prächtigen Wall und in den neuen Stadttheilen anfgebaut, wo in lauschigen Gärtchen fremdländische Pflanzen blühen. Aber drinnen in der Altstadt sind die Wohnungen weit billiger als da draußen, und in einem der engen, hochgiebeligen Häuser wohnte die Witwe Fallcr. Eine alte, ausgetretene Holztreppe führt zn einem kleinen Vorzimmer, an dessen Thür ein Drahtklingelzug mit vergilbtem Namen hing. Aus dem kleinen Raume trat man in die größere, peinlich sauber gehaltene Wohnstube. Altmodische Möbeln standen hier in symmetrischer Anordnung, alte verblichene, aber werthvolle Bücher schmückten die Wände. Aus diesem großen Raume führte eine Thür m ein kleines, einfenstriges Stübchen. Hier stand ein breiter Schreibtisch, standen moderne Möbel, hingen moderne Bilder. Aus dem Schreibtisch stand das Porträt eines jungen Mannes, links von demselben das einer stattlichen Frau, rechts das eines Mannes. Und vor den Bildern in einen Stuhl gesunken, sitzt eine Matrone mit schneeweißem.^aare und dunkler Trauerkleidung. Ja, die Arme trauert um zwei liebe Personen, um die eine, die lange schon nach kurzer, aber ach so namenlos glücklicher Ehe die kühle Erde deckt um eine andere, die hinter dunklen Gefangmßmauern lebendia "begraben ist. J . »?^- Gefängniß! Unsäglich elend ist der oM, der aus den thränenumflorten Augen dei; alten Frau auf das mittelste der Wilder fällt. Im Gefängniß, wenn ble Wechnachtsglockeu läuten! Schon ein- mal hat sie ein trauriges Weihnachten SS' ?"Es, als man den Gatten Mausgetragen zur letzten Ruhe; so ^Euag, wie voraussichtlich das dies- jahrlge Fest sein wird, ist es nicht ge53 wcseu. Kein Makel hatte gehaftet auf dem Namen dessen, den man damals mit so großen Ehren bestattet. Und der Sohn, der in die Fußstapfen des Vaters getreten, dessen Ehrenhaftigkeit so hoch gestanden, verurtheilt um eines gemeinen Diebstahls einer Unterschlagung willen! Undenkbar, unfaßbar für ein Mutterherz. Und ist es nicht trotzdem immer der Greisin, als ob eine.-innere Stimme ihr zurief: „Dein Sohn ist unschuldig, eine seltsame Verkettung von Umständen ist Schuld an seiner Verurtheilung, es kommen bessere Tage nach Tagen der Prüfung, der alte Gott lebt noch!" Sie wollte noch.nicht verzweifeln; der, welcher in ihrem Witwenthume die langen Jahre her geholfen, durch so manche Fährlich- keit geführt, er wird auch weiter helfen. O, wie schwer ist es, in: schneeweißen Haar noch auf glückverheißende, hellstrahlende Zukunft hoffen! Aber in ihrem Gott war die alte Frau stark, in ihm. wollte sie ihr Kreuz tragen, mit ihm nur konnte dasselbe ihr leicht werden. „Ohne Gott, ein Kreuz, wie schwer", sagt mit Recht ein altes Wort. Und der alte Gott half, half eher, als gedacht. Je größer Kreuz, je näher Himmel! Es klingelte! Wer mag das sein? Die Sinnende fährt mit dem Tafchcn- tuche über die Augen. Aber sie will nicht öffnen, will mit ihrem Grame allein sein. Sie bleibt ruhig im Lehnstuhle. Es klingelt heftiger, ungeduldig! Jst's Nachricht vielleicht vom Sohne, ist er krank geworden in der dumpfen Kerkerluft? Mit schweren, ängstlichen Schritten geht Frau Faller durch die Wohnstube, durch das Vorzimmcrchen und schiebt vorsichtig den Riegel zurück. Im Rahmen der heftig geöffneten Thür steht eine tief verschleierte Dame. Sie wirft den Schleier zurück und Frau Faller weicht betroffen einen Schritt rückwärts. „Fräulein Mechtilde — Fräulein Langer — —• Sie? „Ich bin's, meine liebeFrau Faller!" Schluchzen drohte die Stimme des jungen Mädchens zu ersticken,

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