Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

48 der jedoch dem ihrigen auswich, aber das eine verstehe ich, daß das, was ich dir jetzt sagen will, deine Zweifel vernichten und dir den richtigen Weg für deine Handlungsweise vorzeichnen wird: Wir werden bald für ein drittes Wesen zu sorgen haben!" Es entstand eine Pause/ Orowicz benahm sich bei dieser Mittheilung nicht so, wie Praskowia erwartet hatte; er drückte sie nicht an die Brust, er sprang nicht in freudiger Erregung empor; seine Mienen zeigten nicht die geringste Veränderung; sein Blick wich noch immer dem ihrigen ans. „Das ist nur ein Grund mehr," begann er endlich, während er sich erhob, „uns nicht zu übereilen. Ich brauche dir wohl nicht zu betheuern, daß meine Liebe zu dir keine Einbuße erlitten hat, aber eben die Aufrichtigkeit dieser Liebe zwingt mich, dir einen Vorschlag zu machen, dessen Annahmedeinerseits nöthig, als für mich schmerzlich ist. Sei überzeugt, ich habe es mir lauge und reiflich überlegt," fuhr er mit einer Stimme fort, die nicht mehr so sicher klang wie früher, „es ist das beste für uns beide; ich werde nicht mehr gequält sein durch die Ueberzeugung, verschuldet zu haben, daß dein junges Leben in Trauer da- hinfließt uud dir wird sich eine glückliche, rosige Zukunft erschließen, wie du sie so sehr verdienst — es ist am besten für uns beide, wenn wir scheiden!" Praskowia war, wie von einer Schlange gestochen, emporgeschnellt, sie machte einen Schritt nach vorwärts und blieb dann, wie zur Bildsäule erstarrt, regungslos stehen. Owwicz erschrack heftig über die schreckliche Veränderung, die in ihrem leichenblassen Antlitze vor sich ging. „Ich werde für dich nach meinen Kräften sorgen," fuhr er eifrig fort, ' »das Haus soll dir gehören, auch werde ' ich in den nächsten Tagen eine größere ' Summe flüssig machen können. ..." ! Die Unglückliche regte sich nicht; ' sie dachte in diesem Augenblick nicht daran, daß sie ihren gütigen Vater, der sie so zärtlich liebte, um dieses Elenden willen verlassen, daß sie ihm Glück, Ehre, alles leichtfertig geopfert. Endlich erwachte sie aus dieser ohu- machtähulicheu Betäubung, doch keine erlösende, erleichternde Thräne hing an ihren Wimpern. „Ich nehme dein Anerbieten an, denn ich sehe ein, es ist wirklich gut so; doch bitte ich dich nur uoch um wenige Tage Frist, ich möchte meinen Vater ersuchen, mir zu verzeihen und mich wieder zu sich zn nehmen." Der Treulose hatte wohl nicht erwartet, daß die Betrogene seine Pläne so gelassen annehmen und sich ihnen so willfährig und völligwiderstaudslos fügen werde. , Ahnte er, was in dem Vasen des verhöhnten Weibes vorgiug? Er ahnte es nicht, sonst wäre >vohl das Antlitz jählings erbleicht uud sein Herz hätte sich, von Entsetzen erfaßt, zu- sammengekrampft. III. Die Sühne. Mehrere Tage waren seitdem eben geschilderten Vorgang verstrichen. Die Unglückliche schien sich voll- ' kommen mit ihrer Lage ausgesöhnt zu haben, ja der Verkehr zwischen ihr uud Orowicz, der sich den Anschein gab, als wäre sein Entschluß einzig und allein von der Sorge für ihr Wohl ihm eingegeben worden, gleichwohl aber vermied, mit ihr häufig zusammeuzutreffeu, nahm sogarwieder einennahezufamiliären Charakter an. Sie oblag den gewohnten Verrichtungen mit der Sorgfalt wie in früheren Zeiten und der Theekessel brummte zur Dämmerstunde nach wie vor seinen anheimelnden Singsang; ein fremder oberflächlicher Beobachter hätte wohl keine Ahnung bekommen von dem wahren Verhältniß dieser zwei Menschen, die einst einander so sehr nahe gestanden und nun im Begriffe waren," demnächst sich auf ewig zu trennen. „Ich habe heute von meinem Vater Antwort erhalten," redete Praskowia eines Abends den heimkehrenden Orowicz an, „er freut sich meiner Rückkehr..." „Wann gedenkst dn die Reise anzutreten?" erkundigte sich dieser; so natürlich der Ton seiner Worte klang und so freundlich das Lächeln war, das sie begleitete, so konnte er sich doch nicht hinlänglich verstellen, um die angenehme Befriedigung, welche ihm diese schon so lange erwartete Mittheilung verschaffte, ganz verbergen zn können. „Morgen, Schascha, ich habe bereits meine Vorbereitungen getroffen." -„Wohlan,-so sei es denn, Praskowia! Laß uns ohne Groll von einander gehen und finde Trost in ■ dem Bewußtsein, daß keines von uns beiden die Schuld trügt an dieser Aenderung der Verhältnisse, sondern ein Verhängniß, gegen welches anzukämpfen vergebliche Mühe wäre. Wir waren so glücklich mitsammen —" fügte er bei, während er sich bemühte, durch ein künstliches Zittern der Stimme innere Bewegung zn heucheln. Er war ein schlechter Schauspieler, und ein unsäglich verächtlicher Seitenblick Praskowias war der Lohn für seine fruchtlose Anstrengung. „Doch sollts nicht sein!" ergänzte er seufzend. „Aber gleichviel zeigen wir, daß wir stärker sind als ein widriges Geschick und. verbittern wir uns die kurze Frist, die uns noch gegönnt ist, nicht mit solchen weichherzigen Betrachtungen!" „Die kurze Frist!" sprach sie langsam nach, als wäre jeder Laut von einer bedeutungsvollen Gewalt. Er zog sie näher an sich- und drückte einen Kuß auf ihre Lippen, die merkwürdig kalt waren. Sie wehrte es nicht, aber ihren kalten, starren Blick bohrte sie dabei tief in seine Augen, daß er unwillkürlich von ihr abließ; — so blickt die Schlange auf das todtgeweihte Opfer — stechend, lähmend! , n .letzte, kurze Frist!" wjeder- 1° Jk sle feierlich und mit einem solchen Ansdruck ru ^ou und Gebcrde, daß dem • ( ‘ 49 Mann jedes Wort wie Donnerklang ins Ohr hallte. Er trat verwirrt durch diese plötzliche Umwandlung ihres Wesens, scheu einen Schritt zurück — und im selben Augenblick umfaßten ihn riesenkräftig zivei sehnige Arme und rissen ihn zu Boden. Alles war so blitzschnell vor sich gegangen, daß er nicht daran denken konnte, sich zur Wehr zu setzen; als er emporblickte nach seinem Ueberwältiger, dasaherindashaßerfüllteAntlitz Gawrilo Lebins, des Mannes, dem er die Braut gestohlen. Er machte keine Anstrengung, sich aus der eisernen Umklammerung zu befreien, kein Wort, kein Seufzer entrang sich seinen Lippen, als, einen blinkenden Dolch in der Rechten sich Praskowia auf ihn stürzte. Er empfing schweigend den tödlichen Stoß.-------- --------------- - Schascha. Orowicz war, wie die Zeitungen berichteten, als ein Opfer seines gefahrvollen Berufs gefallen. Den eifrig fortgesetzten Bemühungen der Behörde war es diesmal auffallend rasch gelungen, die Thäter, welche unmittelbar nach verübtem Verbrechen nach Moskau geflohen waren, zu ermitteln und sich ihrer zu bemächtigen. Man wunderte sich allseits über die beispiellos zähe Ausdauer und ungewöhnliche Verschlagenheit, welche die Terroristen in diesem Aufsehen erregenden Fall aufgewendet hatten, sich eines Gegners zu entledigen, der allerdings zn ihren gefürchtetsten und gefährlichsten gezählt werden mußte. Ein volles Jahr hindurch — so wurde festgestellt — hatte eine junge Nihilistin von" hervorragender Schönheit, die Tochter eines der angesehensten Professoren der Moskauer Universität, von dessen staatsgefährlichen und hoch-, verrätherischen Gesiunungenund Absichten man schon seit langem Kenntniß besaß — mit dem. Beamten zusammen gelebt, bis sie endlich den Zeitpunkt für ge^ kommen hielt, ihn mit Hilfe ihres beliebten, eines Studenten, zu beseitigen. 4

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