44 Studenten entgegeubrachte konnte nicht mit Liebe verwechselt werden; es entsprang dies vielmehr ans ganz derselben Quelle wie die Achtung, mit welcher ihr Vater ihren nunmehrigen Verlobten behandelte, nämlich aus der Neigung zu den Uinstnrz-Grundsätzen, deren begei- steter Apostel Lebin stets war. Diese gefährliche Handlungsweise des Universitätslehrers, und als solche betrachtete man sie allgemein, konnte selbstverständlich auch vou jener Stelle nicht unbeachtet bleiben, zn deren Aufgabe seine stetige Ueberwachung gehörte. „Mein liebes Kind," wendete sich eines Tages Natikvff in Gegenwart ihres Bräutigams an Praskvwia, „es ist mir von einem guten und einflußreichen Freund, weißt Du, von einem solchen, welchem man keinen Wunsch, und wäre er selbst in Befehlsform gekleidet, gut abschlagen kann, ein Herr, welcher sich hier als Docent niederzulassen beabsichtigt, auf das wärmste empfohlen worden; es wird mir weiters nichts anderes übrig bleiben, als ihn bei uns einzuführen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, daß Ihr diesem Herrn, sein Name ist Schascha Orowicz, mit größter Freundschaft begegnen werdet, schon um seines Gönners willen und dann vielleicht auch noch deshalb, weil er — ein höherer Beamter der dritten Abtheilung ist!" Gawrilo sprang erregt in die Höhe: „Mau wird uns verhaften!" „Seinur deswegen ganz unbesorgt," erwiederte der Professor hierauf, gelassen lächelnd, wir werden ihnen jetzt einmal den Beweis liefern, daß es keine ge- treneren, harmloseren und braven Russen auf der ganzen weiten Welt geben kann als gerade uns; spielt also nur Enere Rollen recht gut!" So war denn Schascha Orowicz eingeführt worden in die kleine Familie des Professors, dem man so gefährliche Grundsätze unterschob. Und in der That, sie spielten ihre Rollen gut. Ratikoff zog die Unterhaltnng mit dem Herrn „Docenten" jeder andern vor, Praskvwia nahm die weltmännisch gewandten Huldigungen des ihnen Anfgezwungenen mit scheinbar ungekünstelter Huld entgegen und Gawrilo wünschte sich gar keinen geselligeren Zechgenofsen als den „Spion". Es konnte auch nicht in Abrede gestellt werden, daß die Behörden unmöglich einen geschickteren Agenten für ihre Zwecke hätten finden können als Schascha Orowicz; erfolgte dem Professor auf den dunkelsten Pfaden der Wissenschaft, wobei er ein seltenes, sachliches Wissen bekundete, machte der schönen Tochter des Hauses auf eine so bestrickende und zugleich vornehme und unauffällige Weise den Hof, daß ein oberflächlicher Beobachter von seiner Seite ein mehr als flüchtiges Wohlwollen und von Praskvwia ernstliche Ge- genneigung hätte annehmen müssen, und war der unzertrennlichste Genosse Lebins, als ob ihn mit diese» von Kindesbeinen an die engsten und festesten Freundschaftsbande je verknüpft hätten. 45 allein ini Gesellschaftszimmer; sie lehnte am Fenster und sah sinnend nach der Himmelsgegend, an welcher noch ein blasser Purpurstreif des Abendroths leuchtete. Das Mädchen war ihm bis jetzt noch niemals so herrlich vorgekommen, wie gerade in dieser unsicheren, magi- chen Beleuchtung, und als sie sich, durch )as Geräusch seiner festen Schritte aufgeschreckt, umwandte, da war es ihm beinahe zu Muth, als wäre er aus einem Märchen wieder in das Reich der Wirklichkeit zurückversetzt worden. „Soll ich den Vater rufen?" fragte Zraskowia. „Er hat sich bereits nach Ihnen erkundigt." „Nein," * entgegncte Orowicz mit weicher Stimme, welche seine Bewegung erkennen ließ, „ich bin glücklich, Sie allein zu treffen, Praskvwia; ich bin gekommen, mich von Ihnen zu verabschieden " „Sie wollen uns verlassen?" fragte das Mädchen heftig und setzte strenge, fast befehlend hinzu: „Aus welchem Grund?" Er wollte ihre Hand ergreifen, sie entzog ihm dieselbe. „Aus weichem Grund?" wiederholte er langsam, jede Silbe scharf betonend und blickte ihr dabei fest in die Augen. „Sie sind ein muthiges, herrliches Mädchen, Praskvwia, und ich kann mit Ihnen aufrichtiger sprechen wie mit jeder andern. Sie wissen, zn welchem Zweck ich in Ihre Familie ein- drang: in Befolgung eines höheren, eisernen, unabänderlichen Willens, nicht aus eigenem Antrieb! — um Sie zu verrathen und zu vernichten! — Fluchen Sie mir nicht, ich bin nicht Ihr Verderben — nicht Ihr werdet das Opfer der unglückseligen Verhältnisse sein, sondern ich! Und darum lassen Sie uns scheiden, Praskvwia, Sie werden mich jetzt nicht mehr fragen, aus welchem Grund, denn Sie kennen ihn so gut wie ich: weil ich Sie liebe, Praskvwia, heilig, echt, unvergänglich, Sie, die Braut So spielten beide Parteien ihre Vcrstellungsrolle mit umso größerem Vergnügen, als es jederscheinbarmitLeichtig- keit gelang, die andere zu täuschen. Wenigstens hatten sie in gesellschaftlicher Höflichkeit das stillschwei- gende Uebereinkommen getroffen, sich dies ’ gegenseitig glauben zu machen. Und so kam es, nachdem beide Gegner die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß einer dem andern keinen Fuß breit Feld abzugewinnen im Stande sei, schließlich förmlich dahin, daß zuweilen, wie bei einem Waffenstillstand zwischen Feinden, die sich achten lernten, alle Feindseligkeiten für eine gewisse Zeit eingestellt wurden, in welcher Schascha Orowicz, der Pvlizeiagent, Verräther, Spion, von der politisch verdächtigen Familie, den Revolutionären und Anarchisten nach allen Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs, wie er unter guten, intimen Bekannten zn bestehen pflegt, behandelt A wurde und umgekehrt Aber noch eine andere Wendung sollte eintreten, die wohl die zunächst Betheiligten am wenigsten für möglich gehalten hätten. Orowicz mußte sich nach einiger Zeit selbst gestehen, daß er sich für das schöne, junge Mädchen, mit dem er täglich so ungezwungen zu verkehren Gelegenheit fand, von Tag zu Tag wärmer interessiere, und es wurde ihm klar, daß er dem bestechend-schönen, wüthigen Mädchen, dessen Angehörige zn verrathen er gekommen, seine warmen Gefühle nicht länger zu verbergen im Stande sei Schascha Orowicz war ein Mann der raschen, entschiedenen That, eine Charaktereigenheit, der er seine Laufbahn als Beamter verdankte, und so entschloß er sich auch hier, schnell zu handeln. Der Zufall erwies sich ihm äußerst günstig. Eines Abends, zur Dämmerstunde, wenn die Schatten der Nacht schon hcr- niederschweben, und der letzte, leuchtende Schimmer des Tages langsam und zögernd entschwindet,' fand er Praskvwia
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