Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

20 „Weiß nicht, Herr Förster." „Richten Sie meine Empfehlung an den Herrn Oberförster aus," sagte Braun zu der Magd, indem er den Brief seines früheren Vorgesetzten achtlos in eine Außentasche seines kurzen Pelzes schob. „Was wird auch iu dem Briefe stehen!" sagte er sich im Weiterfahren. „Vielleicht Klagen über das Springginkerl, den jetzigen Forstrath, der ihn, den verdienten Beamten, vor Zeiten aus seiner Stellung hinausgebissen hat. Forstrath Hannemann war ein Hitzkopf und ein Rechthaber, gleichwohl aber arbeiteten wir zwei ans recht gut miteinander. Er war mir mehr Freund als Vorgesetzter." Kurz hinter dem Städtchen hatte Förster Braun auf den eben empfangenen Brief schon wieder ganz-vergessen. Seine Gedanken waren nur mit seinem jetzigen Vorgesetzten, dem jungen Forstrath von Blankenberg beschäftigt. Ein tiefer Groll hatte sich seiner bemächtigt. Er schaute weder nach rechts, noch nach links, ließ sein Rößlein gehen wie es wollte und achtete auch nicht darauf, ob es den richtigen Weg einhielt. Etwa eine Stunde hinter dem Städtchen erhob er plötzlich seinen Blick. Er befand sich auf der menschenleeren Landstraße. Ein eisigkalter Wind fegte ihm einen feinen Schnee mit einer Schärfe ins Gesicht, daß er kaum die Augen o'fen halten konnte. Für ihn, den wetier- kundigen Mann, konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß dieser scharfe Wind, der sich so plötzlich erhob, nur der Vorbote eines gewaltigen Sturmes sei. Er ließ seinem Braunen die Peitsche fühlen und das Wägelchen rollte nun rascher über den hartgefrorenen Schnee der Straße. Weiter oben bemerkte er auf einem Baumstumpf am Waldraiu ein ärmlich gekleidetes noch junges Weib sitzen, das ein etwa fünfjähriges Mädchen mit ihren Armen vor dem scharfen Winde zu schützen suchte. Das Weib hatte rothgeweinte Augen und sah ganz vergrämt ans. „Die ist gewiß grad' so glücklich wie ich," sagte sich der Förster, indem er einen Blick auf das seitwärts der Straße sitzende Weib warf. „Die wird grad' so angenehme Weihnachten haben, wie ich." Unwillkürlich zog er die Zügel an und schon war er im Begriffe, dem Weibe zuzurufen, daß es auf das Wägelchen aufsitzen soll — als ihm plötzlich wieder der junge Forstrath einfiel. „Nein," sagte er sich, „mit mir ist man auch herzlos verfahren, so will ich auch gegen Niemand ein Herz haben." Er versetzte dem Rößlein einen tüchtigen Schlag und jetzt fuhr das Wägelchen förmlich springend über die holperige Straße. Nach Verlauf einer Stunde war er zu Hause angelangt. Es dunkelte bereits, als er die wohldurchwärmte große Stube betrat, in der es nach Zimmtkuchen und allerhand seinem Gewürz sehr angenehm duftete. Frau Brann und Clara warfen einen forschenden Blick auf den Eiutretenden und als sie seine, finstere Miene bemerkten, zogen sie sich ängstlich zurück, ohne ein Wort der Frage zu wagen. Förster Brann warf sich iu seinen Lehnstuhl und schaute stieren Blicks zu Boden. Minuten verstrichen unter lautloser Stille. Mit einem Male schnellte er vom Stuhle empor, trat hastig an seinen Schreibtisch heran und im Augenblick darauf kreischte der Gänsekiel über einen großen Bogen Papier. „So," sagte er sich befriedigt, als er die Feder wieder zur Seite legte, „jetzt ist's geschehen und jetzt ist's mir auch wieder leichter. Mutter!" rief er seiner in der Küche geschäftig hantirendcn Frau zu. „Komm herein! Schau dir * 'mal das Blatt Papier dort an. Ich hab' meine -Entlassung eingereicht." „Um Gotteswillen, Mann, was hast du gethan?" rief die Förstersfran erbleichend aus. „Aeugstige dich nicht, ich bekomm' gleich wieder einen Posten als Förster. Graf Waldstein hat mir wiederholt geI sagt, wenn ich jemals die Absicht haben t sollte, meine Stellung zu ändern, ich nur zu ihm kommen möge, für Leute meines Schlages gebe es auf seinen Gütern immer vollauf zu thun. Das sind die eigenen Worte des Grafen Waldstein. Was," rief der Förster aus, „ich sollte mich von dem Forstrath, diesem jungen Lassen, diesem Ignoranten sekkiren, sollte mich ihm zu Gefallen Pensioniren lassen? Nimmermehr! Ich bin gottlob gesund, kann arbeiten und habe es nicht nothwendig, ein Gnadenbrot zu essen. Fran, sprich kein Wort! Es würde dir nichts nützen. Das Entlassungsgesuch ist geschrieben und schon morgen Früh wird es in den Händen des Forstrathes sein. Der alte Chocholarz fährt heute Nachts nach der Stadt, um seinen Sohn, den Studenten, der von der Residenz zu Besuch auf die Feiertage kommt, vom Bahnhof abzuholen. Chocholarz wird das Entlassnngsgesuch mitnehmen und beim Portier des Hotels, in welchem sich die Centralkanzlei befindet, übergeben. So, diese Sache wäre also abgethan. Und jetzt gib mir schnell eine Tasse Grog oder Thee, damit ich mich erwärme. Ich muß gleich wieder fort." „Wohin?" fragte Frau Braun besorgt. Der Förster räusperte sich verlegen, schaute eine Weile zu Boden, dann endlich versetzte er: „Hm! Ich weiß aber nicht, ob es dir recht sein wird. Vorhin begegnete ich einem Weibe mit einem kleinen hübschen Mädchen auf der Straße. Das Weib kam mir recht elend vor. Ich wollte es. mitnehmen und da fiel mir dieser verdammte Forstrath ein — „Und du hast deinen edlen Vorsatz nicht ausgesührt?" fiel Frau Braun mit freudiger Hast ihrem Mann ins Wort. „Und du willst jetzt das Weib holen gehen, nicht wahr? Geh' mir, lieber Mann! Wir haben Weihnachtszeit, und da sollen wir Werke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit üben. Ich will Euch etwas Stärkendes zurecht machen. Das Weib sammt dem Kinde sollen bei uns 21 eine Zuflucht finden, vorausgesetzt, daß sie überhaupt bei uns über Weihnachten bleiben wollen." Der Förster drückte seiner braven Frau die Hand, bestieg sein Wägelchen und fuhr in der Richtung davon, von wo er vorhin erst gekommen. Nach Ablauf einer Stunde war er wieder im Forsthause. Er hatte das Weib mit dein kleinen hübschen Mädchen richtig noch auf der Straße angetroffen und nun brachte er die beiden Halbverhungerten und vor Kälte zitternden Wesen seiner Familie zu, um daß diese an den Armen Christenpflicht übe. Er selbst jedoch hielt sich nicht lange im Hause auf. Während der letzten Stunde hatte sich ein Sturmwind mit Schneegestöber erhoben, „und bei solchem Wetter", sagte sich der Förster, „lieben es die HerrenWilddiebe,ihremfinsterenHandwerk nachzugehen. Dazu haben wir heute die heilige Christnacht. Die Spitzbuben werden sicher der Meinung sein, daß ich in aller Ruhe und Behaglichkeit bei meiner Familie sitze, und daß sie im Forste un- gescheut thun können, was ihnen beliebt. Na, sie sollen sich irren." Es war nm die siebente Abendstunde, als er das Forsthaus mit dem Versprechen verließ, bald wieder nach Hause zurückzukehren. Allein es verstrich Stunde um Stunde und der Förster wollte noch immer nicht kommen Draußen wüthete ein wahrer Orkan. Die Försterin ergriff eine unsägliche Angst um ihren Mann. Und im Hause war Niemand, den sie hätte in den Forst schicken können. „Wo nur Herr Werner, der Forst- adjunct weilt?" fragte sich Fran Braun. „Wo nur die Knechte bleiben mögen? — Ich werde selbst iu den Forst gehen," rief sie plötzlich aus, indem sie auch gleich nach einem Umbängtuch langte. „Aber Fran Försterin, was fällt Ihnen ein, bei diesem Sturm?" rief die alte Franzi, die schon an zwanzig Jahre im Forsthause bedienstet war, aus, wobei sie auf den gemüthlich aus einer Meerschaumpfeife rauchenden Baron

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