12 Angela's hatte er bis jetzt noch keine Erwähnung gemacht. Aber der Oberst war ganz' außer Rand und Band gerathen. Er riß das Amulet aus den Händen seines Neffen und trat mit schlotternden Knien an das Fenster des Söllers, um bei dem Schein der sinkenden Sonne das Kleinod genau in Augenschein zu nehmen. Mittlerweile hatte ihm Erwin berichtet, daß Angela ihm dasselbe als einziges Andenken an ihre Mutter zum Unterpfand ihrer Treue anvertraut habe „Und du hast es niemals näher untersucht und geöffnet?" forschte der alte Mann. „Wohl habe ich es gethan," entgegnete Erwin, „aber ich sand nichts darin, als ein Büschlein Haare, wahrscheinlich von der Mutter als Andenken einge- legt." „Nun merke wohl auf, was ich dir sage, und flehe den Beistand des Allerhöchsten herab, daß er mich nicht zu Schanden werden lasse — ob meiner Hoffnung —" sprach der Oberst mit feierlicher Stimme. „Siehe, was ich hier in meiner zitternden Hand halte, ist dasselbe Amulet, das der Schurke Mara- viglio meiner kleinen Formichetta vor fünfzehn Jahren um deu Hals hängte. Ich erkenne es genau wieder, und hier unten ist auch ein F eingravirt. Doch das Geheimniß des Amulets kennen nur die Eiugeweihteu - und damit öffnete er den äußeren Deckel des Medaillons. Es befand sich nur ein Büschlein ergrauter Haare darin. Nun drehte und wendete der alte Mann in seinen bebenden Händen das Amulet hin und her, und endlich fand er die geheime Feder, die mit einem Druck seines Fingers den zweiten inneren Deckel des Medaillons öffnete, und siehe da, das Ameischen blickte mit seinen demantenen Aeuglein lustig in die Welt hinaus. Da rannen die hellen Zähren der Freude dem alten Kriegsmann in den Bart. Er sank in die Knie und stammelte: „Gott du Allmächtiger, Allgütiger, sei gepriesen in Ewigkeit, der du dem Vater sein geliebtes Kind, seine süße, unvergeßliche Formichetta wiedergegeben hast. Und du blöder Thor," wandte er sich zum Neffen, „ist dir denn nicht gleich die Ahnung überkommen, wen du in deiner Angela gefunden hast? Siehe, wie jammervoll es um deine Liebe gegen die meine bestellt ist. Bei deinen ersten Worten kam es schon wie eine Eingebung vom Himmel über mich, die mir zurief: Vater, du hast dein Kind wiedergefunden. Und es kann. kein Zweifel obwalten, daß mir sie Gott wieder geschenkt hat." Nun mußte Erwin, bis in die kleinsten Einzelnheiten Angela schildern, und mehr und mehr befestigte es sich in I dem Oberst, nur sie könne sein geliebtes Kind sein. — —---------------— — — Des anderen Morgens schon wurde die schwerfällige Carosse mit vier Pfer- deu bespannt, und der Oberst ließ es sich nicht nehmen, die lange und beschwerliche Reise nach dem Süden in Begleitung von Erwin und Wolf anzutreten. In fliegender Eile, so lauge die Pferde laufen konnten, ging es durch die österreichischen und Tiroler Lande nach der Lombardei. Nur wenige Rasttage gönnten sich die Reisenden und am liebsten hätte Erwin den ersten besten Renner bestiegen und wäre Allen voraus geeilt, um sich sein Bräutchen zu erobern, aber der alte Herr duldete es nicht. Niemandem als dem Vater allein sollte cs zustehen, das geliebte Kind wieder in seine Rechte einznsctzen, er wollte der Erste sein, der sie in seine Arme schließen durfte. Nach mehrwöchentlicher Fahrt erreichten die Reisenden endlich den kleinen Ort Feliciano, in dessen Nähe das Gehöfte lag, in welchem Angela weilte. Erwin war jetzt kaum mehr zu halten, und es bedurfte der ganzen Autorität des Onkels, um ihn zurückzuhalten, denn dieser wollte zunächst erst das Terrain sondiren und Umfrage halten über-Angela und ihre Angehörigen. Er ließ also den Podesta des Ortes zu sich in die Osteria entbieten und forschte ihn über den Signor Taddeo nud dessen Verwandschaftsverhält- nisse zu Angela aus. Da erfuhr er denn zunächst, daß die Hochzeit derselben mit dem geizigen und verrufenen Müller von Santa Chiara schon in vierzehn Tagen stattsiuden solle. Der Bürgermeister meinte, das arme hergelaufene Ding könne noch froh sein, eine so gute Partie zu machen, denn ein ortsangesessener Contadino aus guter Familie hätte sie doch nicht nehmen können, da kein Mensch etwas von ihrer Herkunft wüßte. 13 Die Augen der beiden deutschen Herren hingen an den Lippen des Bürgermeisters, den der vorgesetzte Spumante gesprächig machte, und so erzählte er denn, daß vor beiläufig zehn Jahren — Tag und Stunde habe er zu Hause genau verzeichnet — eine Truppe mvde- nesischer Soldaten mit ihrem Hauptmann durch ihren Ort gekommen sei. Derselbe habe eine schwerkranke Frau und ein herziges Mädchen von sechs bis sieben Jahren mit sich geführt. Dem Wirth, bei dem der Hauptmann in Quartier lag, sagte derselbe, die Frau sei ihm zugelaufen und er wäre ihrer überdrüssig. Sie sei nicht die Seine und auch das Kind ginge ihn nichts an. Zudem könne er die Schwerkranke nicht weiter nnt sich schleppen. Er wolle es. sich ein gutes Stück Geld kosten lassen, wenn sich Jemand der Verlassenen erbarmen wolle. Nun war gerade die Frau des Taddeo, eine gute, mitleidige Person, in der Osteria anwesend. Sie hatte keine Kinder, das hübsche Mädchen gefiel ihr und sie erbot sich ohne Weiteres, die Kleine anzunehmen, wenn die Mutter mit Tod abgehen sollte. Der Hauptmann händigte ihr fünfzig Scudi ein, schwang sich aufs Roß und ritt mit seiner Compagnie eilends von dannen. Als der Verlassenen nicht verschwiegen werden konnte, daß ihr Liebster sie verlassen, fiel sie in Ohnmacht, aus der sie auch nicht mehr zum Leben kam. „Ich wurde als Amtsperson zur Constatirung des Todes gerufen" — schloß der Podesta seinen Bericht — „vergebens aber forschte ich nach Papieren oder Nachweisen. Es fand sich auch nicht die geringste Spur über Abkunft oder Herkommen der Verlassenen, nur am Hals des kleinen Mädchens hing ein Amulet, das ihm auch belassen wurde. Vielleicht kann es einmal zum Nachweis ihrer Abkunft dienen. Die Frau des Taddeo nahm das Kind, das sich Margherita la Formichetta nannte, sogleich zu sich, da ihr aber der Name nicht gefiel, so nannte sie sie fortan Angela nach dem Tage ihrer Auf-
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