Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

10 „Angela heißt dn mid ein Engel bist du, der mir vom Himmel gesandt wurde. Mein Leben, das dn gerettet, gehört dir, und auch die erste Liebe meines Herzens ist dir geweiht, aber mich bindet ein Gelöbniß, das erfüllt oder gelöst werden muß. Höre also wohl auf meine Worte. Ich eile jetzt in meine Heimat, und nach längstens zwei Monaten werde ich wiederkehren und dein Geschick wird sich znin Glück wenden. Desgleichen versprich mir, den dir und mir verhaßten Müller nicht früher zu ehelichen, als bis ich wiedergekehrl bin " Da stürzte das Mädchen laut weinend zn seinen Füßen nieder, umfaßte seine Knie und sprach schluchzend: „Ihr seid mein Engel und Lebensretter, wenn Ihr mich vor dem verruchten Müller, den ich in der Tiefe meiner Seele verabscheue, errettet." „Dessin sei sicher, geliebtes Kind," entgegnete Erwin, indem er die Weinende zu sich emporhob. „Dich soll nie ein Mann umfangen, dem du nicht deine Liebe weihen kannst, nnd zum Gclöbuiß desseu empfange diesen Ring und den Schwur eines deutschen Edelmannes, dich behüten nnd beschützen zu wollen auf deinen ferneren Lebenswegen. Und nun bekenne mir offen, kannst du mich lieben, wenn ich dich einstmals lieben darf?" Damit ergriff er ihre rechte Hand und steckte einen kostbaren Demautring an ihren Finger. Angela's Ange blitzte, sie streckte wie in Verzückung ihre rechteHand genHimmel und rief begeistert: „Und nun empfangt auch meinen Schwur. Niemals wird eiu anderer Mann mich zu eigen neunen dürfen, wenn Ihr es nicht sein könnt; denn ich liebe Euch als mein Kleinod, das ich mir gerettet' habe. Und zum Gelöbniß dessen nehmt Euch deu Kuß, deu ich Euch gestern verweigern mußte, uud hier dieses kleine Amnlct, das einzige Andenken an meine Mutter. Ich gebe es Euch als Unterpfand meiner Treue und baue auf Euer Ritterwort, daß Ihr es mir zurückerstatten werdet." Eine kurze Weile hielten sich Beide umschlungen; dann riß sich das Mädchen verzweiflnngsvoll los und stürzte auf dem Pfad fort, den sie gekommen war. Erwin wollte ihr Nacheilen', sie zurückhalten, aber sie streckte abwehrend die Hände aus uud rief mit schmerzerfüllter Stimme: „Addio, carissirao mio, a revederci!“ Damit verschwand sie im Gebüsch. Der junge Mann stand noch einen Moment fassungslos da, dann schwang er sich aufs Pferd, und sonder weiteren Unfall erreichten die beiden Reiter Mailand. Der Willkomm auf Schloß Weiteueck war eiu trüber. Der alte Oberst hatte aus den Briefen seines Neffen bereits ersehen, daß aller Liebe Müh' umsonst gewesen und keine Spur von dem geliebten Kinde zu entdecken war. Auch Erwin gab sich einer immer größer werdenden Schwermuth hin. Bon der Begegnung mit Angela hatte er dem Onkel noch nichts, berichtet und auch Wolf befohlen, darüber zu schweigen. Eine nn- erklärliche Scheu hielt ihn vor dem Geständniß zurück, und dennoch fühlte er, wie die Liebe zu dem reizende» Mädchen immer tiefere Wurzeln in seinem Herzen schlug. Darin lag auch die Ursache der Scheu, sich dem väterlichen Freunde zu entdecken. Er wagte cs. nicht, vor denselben mit dem Geständnis; seiner Liebe zu dem niedrig geborenen Bauernkinde zu treten. Sv vergingen die Tage, und mit innerem Entsetzen sah er mehr nnd mehr die Zeit herannahen, wo er sein Wort lösen sollte. Dem alten Soldaten blieb der Seelenznstand des jungen Mannes nicht verborgen, nur war es ihm nicht möglich, die Urfache zu ergründen. Da machte er denn nach seiner biderben Manier eines Abends beim Nachttrnuk kurzen Proceß und rückte dem Burschen auf deu Leibi „Ich merke schon lange, daß dn noch etwas auf dem Herzen tj^u; bum dein Mißerfolg ist nicht die einzige Ursache deiner trüben Stimmung," hub er an. „Eigentlich hätte ich noch weit mehr Grund, traurig zu sein, daß du mir mein Kind nicht ans Herz legen konntest. Aber ich vertraue Gott auf alle Wege nnd weiß mich ins Unvermeidliche zn schicken. Daß dn aber so schwer- müthig bist, weil es dir nicht gelingen wollte, deine Frau zu finde», das will mir nicht i» den Sinn. Es entgeht dir dabei ja nichts, dein Erbe bleibt ungeschmälert, und es muß also noch etwas Anderes dahinterstecken, das du mir verschweigen willst." Erwin senkte die Augen verlegen zn Bode», aber er empfand doch, daß der Onkel jetzt in der Stimmung sei, sein Geständniß anzuhören, uud so erzählte er denn das ganze Abenteuer mit dem Ueberfall der Banditen und die wunderbare Rettung durch den vom Himmel gesandten Schutzengel. „Und nun verdamme mich, Onkel," schloß er mit gebrochener Stimme, „wenn ich dir gestehen muß, daß ich meinem Gelöbniß ungetreu geworden bin. Niemals wäre eine Andere wie deine Tochter die Meine geworden, wenn ich ihrer Liebe würdig gewesen wäre. Aber dieses Mädchen, dem ich mein Leben verdanke, hat mit ihrem Liebreiz mein ganzes Sein umfangen. Vergebens bemühe ich mich, das Bild der niedrig Geborenen ans meinem Herzen zu reißen. Eine innere Stimme ruft mir unablässig zn, sie kann nicht das sein, was sie ist. Nicht die edle That der Menschenpflicht, die sie an mir verübte, ist es, die mich mit unauflöslichen Ketten an dieses wunderbare Geschöpf schmiedet, der Zug des Herzens ist es, der mich Gelöbniß, Standesrücksicht und die Pflicht der Dankbarkeit gegen dich vergessen läßt!" Tief ergriffen hatte der alte Soldat diese ganze Erzählung entgegengenommen; ant Schluß des Geständnisses erhob er sich erregt, ergriff beide Hände des jungen Mannes und sah ihm lauge in die Augen. 11 „Du bist eiu braver Bursche," sagte er dann mit bewegter Stimme, „und dein offenes Geständniß ehrt dich. Weißt du, daß ich dieses Bauermnädel jetzt schon liebe, ohne daß ich es nur einmal gesehen habe? Nicht weil sie dir das Leben erhalten hat, erweckt sie meine ganze Sympathie. Auch in mir ruft eine innere Stimme: Hinter der Abkunft dieser Contadina steckt ein Geheimniß. Und wenn es auch nicht wäre, ich, der Freiherr von Fürenberg, habe den Teufel darnach gefragt, ob mein Weib einen Adelsbrief aufznweisen hat, und ich hoffe von dir, daß du als ehrlicher Kerl dein Wort halten und das liebe Kind nicht dem alten Schuft preisgebeu wirst. Was können wir jetzt anders thun, als den Nathschluß des lieben Gottes segnen, der uns statt meiner leiblichen Tochter ein fremdes Wunderkind ins Nest führt. Sagen wir lieber, der Herr hat's genommen und hat es uns wieder gegeben, der Name des Herrn sei gelobt!" Erwin umschlang darauf mit aus- gebreiketeu Armen den Hals des Onkels nnd herzte und küßte ihn ab - denn er fand keine Worte, sein Entzücken anszudrücken. Endlich wurde es aber dem alten Herrn etwas zn viel und er suchte sich den Liebkosungen des jungen Mannes zu entwinden. Dabei blieb er mit einer Nestel seines Wamses an dem Schnürlein hängen, an welchem das Amulet Angela's, das Erwin sorgsam auf seiner Brust verborgen trug, befestigt war. Es wurde hervorgerissen, klirrend fiel es zu Boden und Erwin beeilte sich, es wieder aufzu- hcben, aber der Onkel starrte mit schier verglasten Angen ans das unscheinbare Medaillon. Er rang mühsam nach Athem nnd stöhnte endlich die Worte heraus: „Das Amnlet — das Amulet — wie kommt es in deine Hände...?" Erwin gewahrte mit Besorgnis; die Erregung des Onkels, die ihm nicht erklärlich war. Er hatte niemals Kenntniß von jenem kostbaren Geschenk des Conte di Maraviglio au die kleine Formichetta I erhalten und auch von der Widmung

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