8 hältniß aufs sorgsamste vor jedem Unberufenen. Erwin zog es aber trotzdem nach dem Süden Frankreichs; er forschte dort die vormaligen Standquartiere der französischen und österreichischen Armeen aus, fand aber nirgends eine Spur von Margherita und der kleinen Formichetta. Da er in Frankreich nichts ansgerichtet, so überschritt er die italienische Grenze; denn eine geheime Ahnung zog ihn nach der Heimat des treulosen Weibes. Vielleicht war die Schuldbeladene, Verstoßene noch aiu ehesten dort zu finden, wo einst ihre Wiege gestanden Er kam also auch nach Calusa, das mittlerweile aus den Flammen wieder neu crstandeu war. Indes vergebens war alles Forschen. DiealteWirth- schafterin, die kurze Zeit Mutterstelle bei Margherita vertreten, war gestorben, und da keine Verwandten vorhanden waren und zum Theil ganz andere Ansiedler sich in dem Orte niedergelassen hatten, so mußte Erwin hoffnungslos weiterziehen Wolf war in der Gegend noch wohl bekannt, da sie der Schauplatz seiner letzten Kriegsthaten war.. Er erfuhr aber auch, daß aus den Marodeuren und Deserteuren der letzten Armeen, die hier gekämpft hatten, eine gewaltige Brigantenbande zurückgeblieben war, welche das flache Land weit und breit brandschatzte und Furcht und Schrecken bis in die Lombardei hinein verbreitete. An verschieden Orten, die die Reisenden passirten, wurden sie gewarnt, aber ihnen blieb keine Wahl, sie mußten Mailand zu erreichen streben, von wo sie unter besserem Geleite die Heimat erreichen konnten. Sie hatten bereits die Wälder und Gebirgszüge bei Santin hinter sich, als sie auf dem Wege nach Novara in einem kleinen Boschetto von einem halben Dutzend Brigauten angefallen wurden. Die Kerle glaubten lrichte Mühe zu haben, aber Wolf hieb den ersten, der seinem Pferd in die Zügel gefallen war, über den Schädel, daß er das Wieder- ausstehen vergaß. Den Zweiten schoß er nieder, und Erwin verfuhr in gleicher Weise mit zwei Anderen, erhielt aber einen Streifschuß an der linken Schulter. Die beiden Reisenden gaben dann ihren Pferden die Sporen und kümmerten sich nicht weiter um die Gefalleueu. Noch vor Einbruch der Nacht erreichten sie ein Gehöfte, wo sie auch nach laugen Unterhandlungen Einlaß und Unterkunft fanden. Der Padrone di casa war ein mürrisch dreinschauender Sauertop . Desto artiger war sein Töchterlein, eine schmucke Dirne von 16—17 Jahren. Sie räumte dem jungen Herrn ihr eigenes Kämmerlein ein, wusch und verband seine Wunde, tröstete ihn in herzlicher, liebevoller Weise und tischte dann das Beste auf, was Küche und Keller zu so später Stunde noch darboten. Erwin war ganz entzückt von dem Liebreiz dieses holden Kindes, das so ganz und gar nichts von dem ungeschliffenen Wesen einer Con- tadina an sich hatte. Sie duldete es auch beini feiice notte, daß er seinen Arm um ihre Hüfte schlang. Als er sie aber um ein Gute Nacht-Küßchen bat, wurde sie ernst und traurig zugleich. „Ich muß es Euch verweigern," sagte sie mit betrübter Miene, „denn ich gehöre mir nicht mehr an. Ich bin durch Zio Taddeo dem alten reichen Müller inSanta Chiara, versprochen. Er gefällt mir zwar ganz nnd gar nicht, allein was will ich armes, verlassenes Waisenkind machen? Ich muß dem Oukel gehorchen" — und damit huschte sie mit einem zärtlichen felice autle zur Thür hinaus. Erwin starrte der dahin geschwundenen reizenden Erscheinung wie einem Traumbilde nach. Es regten sich Empfindungen in ihm, die er vordem nie gekannt hatte, die aber sein ganzes Sinnen und Denken gefangen nahmen. Dieses holde Naturkind umfing ihn unbewußt mit dem ganzen Zauber einer ersten Liebe, die allgewaltig über ihn kam und deren Macht er sich gefangen geben mußte. Aber war er denn noch frei, band ihn nicht ein Gelöbniß an die Tochter seines Onkels und was würdedieser hochgeborene Freiherr zu einer solchen Verbindung sagen? Und einen andern unreinen Gedanken ließ der junge Mann gar nicht in sich aufkommen. Im Kampfe widerstreitender Empfindungen warf er sich angekleidet auf das ihm bereitete jungfräuliche Lager. Aber es wollte kein Schlaf über ihn kommen, nnd als er nach einigen Stunden in einen Halbschlummer verfiel, wurde er durch ein leises, vorsichtiges Pochen an seiner Thür wieder daraus erweckt. Er öffnete nnd prallte entsetzt zurück. Geisterbleiche» Angesichts stand die kleine Contadina wieder vor ihm. In fliegender Eile belichtete sie ihm, daß seinem Leben Gefahr drohe, ja daß er rettungslos verloren sei, wenn er nicht ohne Verzug ausbreche und den Weg einschlage, den sieihmbezeichnenwürde. Die Hunde hätten sie durch ihr ungewohntes Gebell aus dem ersten Schlaf geweckt, und um der Ursache nachzuforscheu, sei sie aufgestanden nnd da habe sie eine Unterredung zweier Briganten, bic jenseits der Gartenmauer Rath hielten, belauscht. Es waren augenscheinlich dieselben, die von Euch, tapferer Ritter, in die Flucht geschlagen worden waren," setzte sie mit einem gewissen Stolz hinzu. „Und ich hörte auch, daß zwei andere todt am Platze geblieben und zwei schwer verwundet fortgeschleppt worben seien. Aber die Virboni wollen ihre Rache und Euer Leben haben. Hie- her dürfen sie sich nicht wagen, denn Onkel Taddeo zahlt ihrem Capitano die Salva guardia, und dann trauen sie sich nicht zu zweien über Euch. Deshalb haben sie beschlossen, die ganze Bande, die eine Stunde von hier lagert, aufzubieten und Euch den Weg nach Novara zu verlegen. Ihr müßt deshalb ungesäumt aufbrechen und die Straße nach Vercelli einschlagen. Ich werde Euch eine Strecke geleiten, damit Ihr den Weg nicht verfehlt." ! Damit eilte sie fort nach dem Stall, um Wolf zu wecken, und in kurzer Frist verließen unsere Reisenden—geleitet von ihrem Schutzengel — bei grauendem Morgen das gastliche Haus. Das Mädchen war den beiden Reitern vorausgeschritten, um vorsichtig auszuspähen, ob sich nichts Verdächtiges zeige. Als aber der seither verfolgte Seitenpfad in die Hauptstraße mündete, da hielt sie still und senkte die dunklen Augen schmerzerfüllt zu Boden. Erwin stieg vom Pferde, befahl Wolf eine Strecke voraus zu reiten und wandte sich dann zu dem Mädchen, dessen beide Hände er ergriff. Einen langen Blick that er in die hinreißend schönen Augen des reizenden Geschöpfes, dann sprach er | mit tiefbewegter Stimme:
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