Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

4 zu erstattens In einem noch vom Feuer verschont gebliebenen Häuschen wurde die Gerettete dann sammt ihrer Pflegerin untergebracht. Durch die schnelle Einnahme von Calusa sahen sich die Franzosen in ihrer Flankenstellung bedroht und retirirten nach Turin. Die Schlacht bei Chiari war gewonnen und schloß den diesjährigen Feldzug. Freund und Feind bezogen nach damaliger Kriegssitte die Winterquartiere. Dem Obersten wurde eine reizende Campagna angewiesen, und da der Ort ganz zerstört und von den Einwohnern verlassen worden war, so entschloß sich unser Hans, die alte Frau sammt seinem Schützling zur Führung des Haushaltes zu sich zu nehmen. Das. Schicksal des armen, verlassenen Mädchens ging unserm guten Oberst sehr zu Herzen. Gänzlich verwaist, ohne alle Mittel, war das Kind in jenen rauhen Kriegszeiten allen Gefahren preisgegeben. Die Mutter hatte es auf schreckliche Weise verloren. Ein französischer Lieutenant lag bei ihr in Quartier. Er stellte dem reizenden Mädchen nach, und als sich dasselbe vor ihm flüchtete und am Boden versteckte, ließ der Wütherich am Tage des Angriffes der Oesterreicher auf Calusa die alte Frau an Händen und Füßen binden und das Haus in Brand stecken. Ein mitleidiger Soldat behütete die Arme vor dem Abzug durch einen Säbelhieb vor dem Tode in den Flammen. Mit rührender Liebe und Verehrung pflegte Margherita während des Winters den alten Soldaten. Sie bezwang ihren Schmerz um die todte Mutter und zeigte ihrem väterlichen Freunde nur stets eine heitere Miene. In diesem erwachten all- mälig Empfindungen, die er längst begraben glaubte, und als das Frühjahr herannahte und die Armee wieder ins Feld rücken sollte, war er gar nicht mehr so kriegslustig wie früher. Was sollte mit- seinem Liebling, seiner Margherita, werden, wenn er sie schutzlos verlassen mußte. Da machte er kurze» Proceß, faßte sich ein Herz und fragte das Mädchen, ob es seine Frau werden wolle, denn anders könne er sie nicht mit ins Feld nehmen. Margherita war im Anfang wie vom Donner gerührr; denn sie hatte in dem Oberst nur stets ihren zweiten Vater erblickt, eine andere Liebe hatte in ihrem Herzen nie Platz ergriffen. Allein in ihrer Verlassenheit blieb ihr keine Wahl, die Aussicht auf eine glänzende Versorgung war zu verlockend und sie schlug mit Freuden ein. Noch vor Beginn des neuen Feldzuges wurde sie seine Gattin, folgte ihm nach damaliger Kriegssitte mit dem Heereszug von Lager zu Lager. Nach Ablauf des ersten Jahres beschenkte sie ihren Gatten mit einem reizenden Mädchen, und da gerade Waffenstillstand war, so konnten sich die freudetrunkenen Eltern ganz diesem Unterpfande ihrer Liebe widmen. Margherita hatte bis jetzt ihrem Gatten den großen Unterschied an Jahren zwischen ihnen nicht fühlen lasse». Der Oberst war allerdings schon ein Fünfziger, aber noch immer ein stattlicher, schöner Mann, geliebt von Hoch und Niedrig, angebctet von seinen Soldaten. Aber Margherita's Herz war leer geblieben und nach und nach erloschen die Gefühle der Dankbarkeit. Das feurige Blut der Italienerin brauste in ihr, und das Verhüngniß wollte es, daß eines Tages der Adjutant eines entfernter liegenden Befehlshabers in dienstlichen Angelegenheiten beim Obersten erschien. Capitano Conte de Maraviglio war das .Ideal männlicher Schönheit. Alle Attribute zur Gewinnung weiblicher Herzen waren ihm eigen. Jung, reich, einem der ersten Adelsgeschlechter Italiens entsprossen, tapfer bis zur Tollkühnheit, huldigten ihm nicht nur die Männer, sondern noch mehr die Franen. Auf dem Terrain, wo er erschien, war er gewohnt zu herrschen, und so war es auch in dem traulichen Familienkreise des Obersten. Margherita zog sich anfangs scheu vor ihm zurück. Sie fürchtete seine Nähe und ihre Schwäche; denn sie empfand nur zu wohl die Macht erster Liebe. Der Coute wurde durch die Zurückhaltung nur noch mehr gereizt, er war des Eindruckes, den er auf das Herz der jungen Fran gemacht, nur allzu sicher uud wollte sich seinen Erfolg nicht entgehen lassen. Zunächst umgarnte er den arglosen Haus uud wußte es dahin zu bringen, daß er zu seinem Regiment versetzt wurde. Der Oberst fühlte sich geehrt, einen so ausgezeichneten Officier gewonnen zu haben, und Maraviglio wurde sein erklärter Liebling, der allmälig ihn und das ganze Regiment beherrschte. Die höchste Gunst aber erwarb sich der Schlaue durch die Liebe, die er zu deut Töchterchen seines Chefs zu heucheln wußte. Die kleine Margherita war der Abgott des alten Soldaten. Ihres munteren Wesens halber hatte man ihr den Kosenamen Formichetta —das Ameischen — beigelegt, und sie war im ganzen Regiment mehr unter diesem wie ihrem Taufnamen bekannt. Der Coute war in dienstlichen Angelegenheiten nach Turin gesandt worden und als er zurückkehrte, hing er dem Kinde ein äußerlich un- scheiubares Amulet, das aber im Innern ein in kostbare Demanten gefaßtes Ameischen barg, um den Hals. Der Vater war ob des sinnigen Geschenkes außer 5 sich vor Entzücken und auch die junge Mutter trat aus ihrer seitherigen Zurückhaltung heraus. Der Graf hatte von diesem Moment ab gewonnenes Spiel, und die Folgen blieben nicht aus. Der Oberst wurde mit seinem Regimente auf einen Streifzug commandirt. Der Capitano Maraviglio hatte es einzurichten gewußt, daß er zur Bewachung des Depots zurückblieb. Verblendet von Leidenschaft für die schöne Frau vergaß er Ehre und Fahneneid und desertirte über die nahe französische Grenze. Margherita sammt der kleinen Formichetta, die jetzt drei Jahre alt war, hatten sich schon vorher in aller Stille nach Frankreich geflüchtet. Als der Oberst zurückkehrte und kein Zweifel an dem unerhörten Verrath mehr möglich war, beherrschte ihn einzig und allein das Gefühl der Rache. Die Liebe zu dein treulosen, undankbaren Weibe riß er mit Leichtigkeit aus seinem Herzen, aber die schwer verletzte Vaterliebe - vermochte er nicht zu bewältigen. An seiner kleinen Formichetta hing er mit allen Fasern seines tief verwundeten Herzens. Aber vergeblich waren alle Nachforschungen. Prinz Eugen selbst versuchte auf diplomatischem Wege die Rückgabe des Kindes zn bewerkstelligen. Das französische Cabinet hatte aber nur taube Ohren; denn zu wichtig schienen ihm die

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