Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

56 schule als auch die Fortbildungsschule der Genossenschaft der Baugewerbe, die gewerbliche Fortbildungsschule für Lehrlinge, Friseur- Gehilfen und Lehrlinge und auch Lehrlinge anderer Gewerbe hatten dieselbe reich beschickt. Diese Ausstellung erfreute sich eines zahlreichen Besuches und wurde am 21. August nach stattgehabter Preisvertheilung geschlossen. Die Steyrer Liedertafel unternahm am 14. August eine Sängerfahrt zur Musikausstellung in Wien. Nebst den Sängern nahmen noch viele Steyrer, im Ganzen über 300 Personen, an der Fahrt theil, welche mittelst Extrazuges der Staatsbahn ausgcführt wurde. Die Liedertafler, welche in Wien feierlich empfangen wurden, concertirten Abends in der Ausstellung und erlangten einen außerordendlich schmeichelhaften Erfolg. Die große Tonhalle war ausverkuaft, der Applaus ein stürmischer und sowohl das Aus- stellungscomite, als auch der Wiener „Schubertbund" und der „Wiener Männergesangsverein" widmeten der „Steyrer Liedertafel" prachtvolle Lorbeerkränze. An demselben Tage unternahm auch die Liedertafel Sierninghüfeu eine Sänger- fahrt nach Emmersdorf in Niederösterreich, um dortselbst ihren Sangesbruder Ferdinand Wegscheider zu besuchen. Die Fahrt, die mehr einen familiären Charakter hatte, fiel zur Zufriedenheit Aller aus. — Als Dritter im Bunde benützte auch der Steyrer Arbeiter- Sängerbund „Stahlklang" diesen Tag zu einem Ausfluge nach Mondsee, woselbst die Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Unter- stützungscasse ihren 10jährigen Bestand feierte. Die fahrenden Sänger wurden dortselbst von den Bewohnern und Sommergästen sehr freundlich empfangen und gaben Nachmittags ein Fest-Concert, das einen schönen Erfolg hatte. Am 18..August entstand in Dorf an der Enns durch Unvorsichtigkeit ein bedeutendes Schadenfeuer. Es brannte das der Maria Mairhofer gehörige Schusterhäusl, das Gasthaus des Herrn Meinzl und das Haus des Herrn Derflinger ab. Auf dem Brandplatze waren die Feuerwehren von Ernsthofen, Haidershofen, Haag und Steyr erschienen und leistete besonders die Dampfspritze der letzteren vorzügliche Dienste. Da die gesannnte Fechsung mitverbrannte, war der Schaden ein bedeutender. Das Geburtsfest Sr. Majestät des Kaisers am 18. August wurde wieder in unserer Stadt gefeiert mit einem solennen Hochamte, welchem alle officiellen Persönlichkeiten und Körperschaften und viele Andächtige an- wohnten, und zu dem das Bürgercorps en parade ausrückte, während nachmittags die Mnsikcapelle desselben in Herrn Siuzinger's Gastgarten ein Festcoucerd veranstaltete, bei welchem Herr Commandant Stummer einen begeistert aufge- genommenen Toast auf den Kaiser ausbrachte, Herr Bürgermeister Berger auf das Bürgercorps, Herr Stummer auf den Herrn B ürger- m eist er toastirte. Anläßlich des Kaiser fest es unternahm unter Führung des Herrn T o m i tz der Knabenhort einen Ausflug nach L e o n st e i n. Dortselbst entwickelte sich schnell ein fröhliches Leben unter Spiel und Sang. Herr Landes- Schulinspector Schwämmet, der zur Sommerfrische dort weilte, nahm auch theil am Feste und hielt eine tiefempfundene Ansprache an die junge Schaar, die Abends nach heiter verlebten Stunden nach Steyr zurückkehrte. Anläßlich des Geburtsfe st es des Kaisers veranstaltete das Bttrgercorps zu Steyr am 21., 22. und 23. August auf dem Exercierfelde ein F e st s ch e ib en schi e ß eu. Das vom Wetter bestens unterstützte Unternehmen gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste. Hunderte von Personen trafen auf dem Festplatze ein und gar viele derselben versuchten als Schützen ihr Glück, demzufolge nicht weniger als 5890 Schüsse abgegeben wurden. Wie. schon - die „Liedertafel" und der „Stahlklang" ihre Sängerfahrt gemacht hatten, so wanderte auch das „Kränzchen" am 21. August nach Eisenerz, um dortselbst des deutschen Liedes zu Pflegen. In zwei Separatzügen, welche 826 Personen beförderten, fuhr der Gejangsverein an seinen Bestimmungsort und wurde dortselbst von der Bevölkerung und ihren Vertretern aufs freundlichste empfangen. Nach Besichtigung des Erzberges und einem Ausfluge zur Barbara-Kapelle wurde in Herrn Stazengrubers Gastgarten unter Mitwirkung der Bergknappen-Kapelle das Fest- Concert aufgeführt. Sowohl das „Kränzchen" als auch die Bergknappen-Capelle ernteten reichen wohlverdienten Beifall. Um 8 Uhr Abends kehrten die Sänger nach Steyr zurück. Am 27. August versammelte in Neich- raming der Besitzer der k. k. priv. Messing- fabrik Herr Wilhelm Klein seine sämmtlichen Arbeiter und theilte denselben mit, daß er theils durch Kränklichkeit, theils wegen anhaltender Geschäftslosigkeit gezwungen sei, die Fabrik aufzulaffen. Durch diesen Entschluß erleidet die Industrie dieses Ortes, welche sich ohnedies noch nicht ganz von den schweren Folgen der vor zwei Jahren stattgefundenen Auflassung der Eisenwerke der österr. Alpinen Montan-Gesellschaft erholt hatte, abermals einen schweren Schlag. Am 27. August brach in der Möbelfabrik der Firma F. Schönthaler und Söhne in Weyer ein Feuer aus, das noch im Entstehen unterdrückt werden konnte, wodurch der Markt Weyer vor einem großen Unglück bewahrt blieb. Am 28. August verbreitete sich in Steyr plötzlich das unheimliche Gerücht, es sei der Schwimmeister der Waffenfabriks - Schwimmschule an Cholera erkrankt. Das Gerücht wirkte um so beunruhigender, da zu dieser Zeit in Mitteleuropa die Cholera herrschte und demzufolge ein Auftreten derselben in Steyr nicht zu den Unmöglichkeiten gehörte. Doch wurde jene Krankheit von den Aerzten als ein Brechdurchfall erkannt. Nichtsdestoweniger wurde die Schwimmschule geschlossen und deSinficirt und erst nach einigen Tagen wieder der Benützung übergeben. Auch kam aus Linz der Landes-Sanitäts-Referent Dr. v. Kißling, um den Ursprung und den Verlauf dieser Erkrankung zu constatiren. Von Seite des Gemeinderathes wurden die energischesten Maßregeln ergriffen, um dem Auftreten der Cholera vorzubeugen. Fünf Sanitäts-Commissionen begingen das Gebiet der Stadt und schafften die sanitären Uebelstände ab. Der GesundheitsZustand Steyr's blieb ein guter. In der 3. Schwurgerichtsperiode, welche am 29. August begann, wurde unter Anderen Andreas Steiner, der unweit Molln den Schustermeister Caspar Fetzer beraubte, wegen Raub zu sechs Jahren schweren Kerkers verurtheilt.— Dieselbe Strafe erhielt Katharina Kronberger, welche ihr Kind in einem Koffer einschloß und dadurch dem Erstickungstode weihte. Am 30. August brannte dem Oekonomen E d l i n g e r in Dambach seine Scheune nieder, wodurch derselbe einen Schaden von circa 500 fl. erlitt. Hiemit wären wir mit der Aufzählung der einzelnen bemerkend werthen Vorkommnisse in dem von uns in Betracht genommenen Zeitraume zu Ende und es seien uns schließlich nur noch einige .summarische Bemerkungen gestattet. ^Getragen von dem regen Geschäftsleben, entwickelte sich in Steyr in dem abgeflossenen Jahre auch eine entsprechende Bauthätigkeit, die theils die Beendigung der im Vorjahre angefangenen Arbeiten, theils neue, theils Umbauten bezweckte. Letztere waren besonders häufig in der Nähe der Waffenfabrik, woselbst gar vielen Häusern ein neues Stockwerk aufgesetzt wurde, da dortselbst sich der in Steyr noch immer herrschende Wohnungsmangel besonders fühlbar machte. Durch den nunmehr vollendeten Bau des Arbeiterheims, durch dessen Ausführung die Waffenfabrik einen augenfälligen Beweis ihrer fürsorglichen Gesinnung gegen ihre Arbeiter geliefert hat, ist vielen Familienvätern Gelegenheit geboten, mlt geringen Kosten sich eine anständige, gesunde Wohnung zu sichern. Entsprechend den neuen Brücken mußten auch ihre Zufahrtsstraßen in guten Stand versetzt werden, und es wurden deshalb die Enge, Zwischenbrücken und ein Theil der Kirchengasse und der Bahnhofstraße neu ge57 I pflastert. Auch die Reguliruug der Schlüsselhofstraße machte bedeutende Fortschritte. Um Raum für die Erbreiterung dieser engen Straße zu gewinnen, mußten hohe Stützmauern und mehrere Gallerten aufgebaut, die Häuser Nr. 4,6 und 3 niedergerissen, die Häuser Nr. 10 und 32 umgebaut werden. Die prächtige Villenreihe, welche die Marie Valerie-Straße bildet, wird durch die im Bau begriffene Villa des Herrn Cassiers Josef Fischer ergänzt. Als industrielle Bauwerke sind zu verzeichnen die umgebaute Schaffenberger-Schleife bei Schartner, der Ringofenbau in der Ziegelei des Herrn Franz Maier und die Dampfsäge des Herrn Julius Huber in Neulust. Auch der geplante Bau der Industrie- halle ist nunmehr einen bedeutenden Schritt seiner Verwirklichung näher gekommen, indem in der Gemeinderathssitzung am 2. September von den eingereichten zahlreichen Offerten das des Herrn Baurathes Thiene mann den 1. Preis per 400 fl., das des Herrn Architekten Max Hinträger den 2. Preis per 300 fl. und jenes des Herrn Architekten Ludwig Schörl den 3. Preis per 200 fl. erhielt, von welchen preisgekrönten Projecten wohl das mit dem ersten Preis ausgezeichnete vielleicht schon im künftigen Jahre in seiner vollendeten Ausführung den Carl Ludwigs-Platz zieren wird. Wir sind in der Lage, nebenstehend eine Abbildung der schönen Fa^ade zu bringen. Auch dürfte sich bald vor dieser Halle das prachtvolle Monument für den verstorbenen Schöpfer und Generaldirector der Waffenfabrik Herrn Josef Werndl erheben, welches, gleichfalls durch die Künstlerhand Tilgners geschaffen, dereinst eine der schönsten Zierden unserer Stadt sein wird, wie man aus dem Titelbilde unseres Kalenders ersehen kann. Das Cottage-Biertel Neuschönau wurde auch durch vier Neubauten wieder erweitert. Gleichwie in Steyr wurde auch im industriellen Letten viel gebaut. Dortselbst sind ss hauptsächlich bte neuen Schleifen, welche Zeugniß geben von dem regen, gewerbsfleißigen Leben der dortigen Bewohner. — Erwähnt muß hier auch werden der Ausbau der Steyrthalbahn nach Hall, wodurch diese Bahn directen Anschluß an die Kremsthalbahn erhielt. So sehen wir allerorts eine Thätigkeit entwickelt, die wohl mit Recht auf ein gesundes Fortschreiten im gewerblichen Leben unseres Bezirkes schließen läßt, und trotzdem m Steyr der Arbeiterstand der Waffenfabrik am Ende dieser Berichtsperiode bis auf ein Drittel seines ursprünglichen Bestandes reducirt worden war, so stehen doch im allgemeinen die Verhältnisse des Handels und der Industrie derart, daß man an einem weiteren Gedeihen derselben nicht zu Weiseln Ursache hat.

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