Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

30 für- selbstverständlich gehalten. Welche Consequenzen dieser Vertragsbruch nach sich ziehen wird, läßt sich heute noch gar nicht ermessen. Zunächst hatte sie den Sturz des Großveziers und des Ministeriums zur Folge. Jetzt ist wieder einmal der russisch-französische Einfluß in Con- stantinopel überwiegend. Die politische Erregung wurde eine zeitlang noch gesteigert, indem englische Panzerschiffe auf der kleinen Insel Sigri bei Mytilene Kriegsmaterial ausgeschifft und Torpedos gelegt haben sollten. Die Grundlosigkeit dieser Zeitungsente wurde aber bald erwiesen. Am 7. Jänner starb in Kairo plötzlich der Khedive Thewfik Pascha, sein Sohn Prinz Abbas, der im Theresianum seinen Studien oblag, reiste sofort ab und trat die Negierung an. Der Großsultan ertheilte noch am selben Tag seine Genehmigung. Der neue Khedive zeigt sich den Engländern nicht sonderlich geneigt, und Lord Salisbury beeilte sich, am '10. Februar im Oberhause zu erklären, daß England seine Bestrebungen in Egypten niemals fallen und die Suprematie einer anderen frem- den Macht dulden würde. Das türkische Cabinet hat endlich einmal gezeigt, daß es doch nicht immer sich vor Rußland demüthigt, indem es den bulgarischen Studenten Kuschelew, der in Odessa studirte und auf einer Ferienreise in Constantinopel auf Veranlassung des russischen Consuls verhaftet worden war, infolge bulgarischer Intervention am 20. Februar freigab. Amerika» Während die Vereinigten Staaten von Nordamerika unter einer energischen, zielbewußten Negierung sich eines immer mehr wachsenden Volkswohlstandes erfreuen, die Finanzen des Staates derart geregelt sind, daß man nicht weiß, was man mit den kolossalen Budgetüberschüssen anfangen soll, bieten die Südstaaten ein troüloses Bild tiefster Zerrüttung. Brasilien kann, seit es seinen edlen nur für das Volkswohl lebenden Kaiser Dom Pedro II. entthront hat, nicht zur Ruhe kommen. Der Präsident Fonseca zeigte sich als ein gewaltthätiger Soldat, der keinen anderen als den eigenen Willen kennt. Einzelne Provinzen befände!: sich in vollem Auf- stand und drohten mit ihrem Austritt aus dem Staatsverband Aerger geht es noch in Chile zu, wo der Bürgerkrieg in Hellen Flammen lodert. Gegen die brutalen Uebergriffe und Constitutionsver- letzungeu des Präsidenten Balmaceda hatte sich die Majorität des chilenischen Parlaments (die Congreßpartei) schon im vorigen Jahr erhoben Balmaceda gab aber, nicht nach und wüthete gegen seine Gegner, bis dieselben eine Junta bildeten, Truppen sammelten und gegen die Re- gierungstruppen im Feld erschienen. Im Anfang zogen sie gegen dieselben die Kürzeren, allein gegen Ende August wurde die Macht Balmaceda's in einer mehrtägigen Schlacht bei Valparaiso gänzlich gebrochen. Dieses selbst wurde von der Congreßpartei in Besitz genommen. Balmaceda wurde flüchtig und endete später durch Selbstmord. An seine Stelle trat General Conto, der daun auch in die eigentliche Hauptstadt Chile's, Santiago, siegreich einzog. Er behauptete sich aber nicht lange und an seine Stelle trat Ca- pitän Montt In Brasilien wurde anfangs November das Parlament zum zweitenmal auseinander gejagt, das Standrecht verkündet und Fonseca maßte sich die Dictatur, gestützt auf die Bajonette seiner Soldaten, an. Das unglückliche Land hat seit der Vertreibung seines sanftmüthigen Kaisers nur den Bürgerkrieg eingetauscht. Glücklicherweise sah sich der Präsident bald von seinen Anhängern verlassen und resignirte Ende No- veiuber zu Gunsten des Generals Peixoto. Z>ie höchste» Würme der ZSett. Das wichtigste Ereigniß, das sich im Norden Amerikas vorbereitet, ist die Weltausstellung in Chicago, die an Großartigkeit Alles bis jetzt Dagewesene übertreffen wird. Dieselbe wird im nächsten Jahre stattfinden und auch von der österreichischen Industrie beschickt werden. Uni den Eiffelthurm in Schatten zu stellen, wird ein um noch 3 t Meter höherer Eisenthurm errichtet werden. Die Regierung der Vereinigten Staaten Nordamerikas leistete Italien für die am 14. März 1891 erfolgte Ermordung italienischer Staatsangehörigen genügende Entschädigung. Die endgiltige Regelung der Valutareform ist zur Zeit, als wir diesen Bogen schließen müssen, noch in der Schwebe. Wir müssen uns also darauf beschränken, alle diejenigen Verfügungen und Veränderungen, die als bereits feststehend zu betrachten sind, zur Mittheilung unserer Leser zu bringen. Vor Allem wollen dieselben sich merken, daß vorläufig alle im Umlauf befindlichen Noten und Münzen auch fernerhin und wahrscheinlich noch Jahre hindurch als Zahlungsmittel gelten werden, nur mit dem Unterschied, daß es keine Gulden und Kreuzer, sondern dann nur Kronen und Heller geben !vird. Ein Gulden gilt zwei Kronen und ein Neukreuzer zwei Heller, weiter ist nichts dabei zu merken. Nach und nach werden diese alten Werthzeichen eingezogen und durch neue ersetzt. An die Stelle der österreichischen Währung tritt sofort die Goldwährung, deren Rech- unugseinheit die in hundert Heller eingetheilte Krone ist. Welches sind aber die gesetzlichen Zahlmittel der neuen Kronenwährung? Es sind dies alle bisherigen gesetzlichen Zahlmittel. Jedermann wird also nach wie vor berechtigt sein alle seine Verpflichtungen in Silbergulden der österreichischen Währung, in Staatsnoten und Banknoten und in Viertel-Gulden- stücken zu erfüllen. Ebenso wird Jedermann berechtigt sein, geradeso wie bisher im Kleinverkehre Zahlungen bis zum Betrage von zwei Gulden inZwanzig-Kreuzerstücken, Zehn-Kreuzer- stücken Füns-Kreuzerstücken und Zahlungen bis zum Betrage von fünfzig Kreuzern mit Vi r-, Ein- und Einhalb-Kreuzerstücken zu erfüllen. In dieser Beziehung ändert sich vorläufig nicht das Geringste, und die Ordnung dieser Verhältnisse ist der künftigen Gesetzgebung vorbehalten. Freilich ist diese Gleichheit nur eine äußerliche. Denn nun erhält unser Geld eine neue rechtliche Basis, indem der Staat ein Werthverhältniß schafft, durch welches der Gulden das Aequivaleut von zwei Francs zehn Centimes werden soll. Die Basis unseres jetzigen Geldes wird schon durch diesen Gesetzentwurf geändert. An die Stelle der jetzt aus Silber bestehenden Werthunterlage tritt eine aus Gold bestehende Werthunterlage. Der Silbergulden, die Staatsnote und die Banknote werden Repräsentanten des Goldes, und der Staat legt sich die Pflicht auf, für jeden Gulden bei der Einlösung ein Werthäquivalent von zwei Francs zehn Centimes zu bieten. Diese höchst wichtige materielle Aenderung wird jedoch nicht sofort im gewöhnlichen Verkehre äußerlich zur Erscheinung gelangen. Nicht bloß die bisherigen Zahlungsmittel bleiben bestellen, sondern auch die Guldenrechuung bleibt vorläufig unverändert und wird erst durch ein besonderes Gesetz verfügt werden. Der Gesetzentwurf enthält jedoch eine Anordnung, welche sofortige und unmittelbare Wirkungen haben 31 Unser neues Geld. wird. Zu den bisherigen Zahlmitteln, dem Silbergulden und' dem Papiergulden österreichischer Währung, treten neue Zahlmittel der Gold- und Kronenwährung. Diese Zahlmittel sind: Erstens: Goldmünzen: das Zwanzig- Kronenstück und das Zehn-Kronenstück. Aus eiuem Kilo Feingold werden 164 Zwanzig- Kronen- oder Zehn-Guldenstücke ausgeprägt. Da in Frankreich aus einem Kilo Feingold 3444-44 Francs ausgeprägt werden, so ergibt sich folgende Proportion: 3444-44:1640 — 2 10 02 oder mit einer kleinen Fehlergrenze 2 Francs 10 Centimes. Das ist die Relation, nach welcher der Gulden gleich ist 2 Francs 10 Centimes oder 1 Mark 70 Pfennigen, und die Krone, nämlich der Halbgulden, gleich ist Einem Franc 5 Centimes oder 86 Pfennigen Deutscher Reichswährung. Zweitens: Silber münzen der Kronenwährung. Es sind dies das Ein-Kronenstück gleich einem halben Gulden und das Fünfzig- Hellerstück gleich einem Viertelgnlden. Diese Münzen werden derart ausgeprägt, daß auf ein Kilo Feinsilber 239 52 Kroaen kommen. Während der Silbergulden mit einer Feinheit von 900 Tausendstel ausgeprägt wird, wird die Krone nur eine Feinheit von 835 Tausendstel haben. Der Gulden hat ein Feingewicht von 1111Gramnl, und das, gesetzliche Aequivalent, die Kronen, werden ein Feingewicht von 8'35 Gramm haben. Drittens: Nickelmünzen: Zwanzig- Hellerstücke und Zehn-Hellerstücke. Viertens: Bronzemünzen: Zwei-Hellerstücke und Ein-Hellerstücke. Alle diese neuen Münzen werden sofort nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, und nach deren Ausprägung sowohl im öffentlichen wie im Privatverkehre gesetzliche Zahlkraft erlangen, und zwar die Goldmünzen unbeschränkt, die neuen Silbermünzen der Kronenwährung bis zum Betrage von fünfzig Kronen oder fünfundzwanzig Gulden, die neuen Nickelmünzen bis zum Betrage von zehn Kronen, und die neuen Bronzemünzen bis zum Betrage von Einer Krone. Jeder Schuldner, welcher Gulden österreichischer Währung zu leisten hat, wird daher seinen Verpflichtungen nicht bloß in Silbergulden, Staatsnoten und Banknoten, sondern auch in den neuen Goldmünzen, sowie in den neuen Scheidemünzen mit der oben angegebenen Beschränkung gerecht werden können. Damit ist zum erstenmal in der österreichischen Geschichte der neuen Zeit einer Goldmünze die gesetzliche Zahlkraft zugesprochen worden. In dieser Thatsache drückt sich bereits der Währuugswechsel aus. Denn nach unserem bisherigen Geldsysteme wurde das Gold nur als Handelsmünze ohne gesetzt ehe Zahlkrast ausgeprägt. Aus dem Münzgesetze er-

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