Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

28 29 Der gewesene König Milan befreite endlich Serbien gänzlich von seiner Person durch seine am 11. März der Regentschaft eingereichte Resignation, er verzichtete auf die Aufsicht über die Erziehung seines Sohnes, auf die serbische Staatsbürgerschaft; gleichzeitig legte . er seine österreichische Regimentsinhaberschaft nieder und erwarb die Staatsbürgerschaft in Rußland. Wie viel ihm diese abermaligen Verzichtleistungen eingetragen, läßt sich nicht genau bestimmen, umsonst hat er es schwerlich gethan, hoffentlich ist das arme Serbien nun für ewige Zeiten von diesem sauberen Patron befreit. In Belgrad starb am 16. Juni einer der drei Regenten, General Protiö, im Alter von 67 Jahren. Htmnamen. Die Liebeskomödie mit dem präsumtiven Thronfolger und Fräulein Vacarescu hatte eigentlich schon im vorigen Jahr ihre Endschaft erreicht. Die poetisch veranlagte edle Königin hatte das Verhältniß begünstigt, aber der König durchschaute gleich von Anfang an die ganze Hofintrigue und entfernte den Kronprinzen. Auch die Minister traten dann kühner auf und erklärten durch eine solche Mesalliance die Dynastie für gefährdet. Es ist sogar die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß bei dieser ganzen Liebeskomödie der russische Hof mit im Spiel war, um nach dem möglichen Gelingen derselben beKräutein Aacarescu. gnemeres Spiel zu haben und Rumänien nach innen und außen zu schwächen. Michael Cogalniceano, geboren 1806, einer der größten Staatsmänner des neuen Königreiches, der dasselbe eigentlich geschaffen, starb am 4. Juli in Paris. Er war es, der die Vereinigung der Moldau mit der Wallache! be werkstelligte; er brach.die Herrschaft der Bojaren und der griechischen Geistlichkeit, säcularisirte die reichen Klostergüter und hob den Bauern- und Gewerbestand. Unter König Karol war er zu wiederholtenmalen Minister und im April 1877 proclamirte er die Unabhängigkeit des König reiches und übernahm dann den Gesandtschafts- Posten in Paris. Die Reise des Königs Karol nach Italien, die Zusammenkunft des russischen Ministerpräsidenten Giers mit Rudini und der Besuch des Königs beim deutschen Kaiser am 27. October gaben der diplomatischen Welt viel zu denken. Die russischen Blätter suchten zwar diesen Zusammenkünften jede politische Bedeutung abzusprechen, aber Rumänien hat neuerdings Millionen auf die Befestigung seiner Grenzen gegen Rußland aufgewendet und dadurch gibt es 511 erkennen, von wem es sich in seiner Unabhängigkeit bedroht sieht. Die Aufnahme, welche König Karol beim deutschen Kaiser fand, war eine so sympathische, daß die seitherigen freund- und verwandtschaftlichen Beziehungen dadurch' nur noch mehr gefestigt erscheinen. Oesterreich-Ungarn hat das größte Interesse daran, daß Rumänien nicht als ein offenes Durchzugsland für eine russische Invasion betrachtet wird und Rumänien muß in einem solchen Falle auf die Hilfe des Dreibundes rechnen. Umso unbegreiflicher erscheint es deshalb, daß wir mit diesem Staat schon seit Jahren in handelspolitischer Beziehung auf gespanntem Fuß stehen, dies umsomehr, als unsere Industrie den größten Schaden dadurch erleidet. Der deutsche Kaiser proclamirte am 2. Juni im Potsdamer Schloß die Verlobung des Thronfolgers von Rumänien mit der Prinzessin Maria v. Edinburgh, einer Nichte des Czuren. Wulgarieu. Die fünfte Wiederkehr des Tages, an welchem Fülst Ferdinand seine Regierung antrat, wurde am lö. August feierlich begangen. Die Stellung Bulgariens hat sich in diesen fünf Jahren wesentlich geändert. Mit Ausnahme Rußlands hat sich das junge Staatswesen durch seine kluge ruhige Haltung die Sympathie der ganzen Welt errungen. Namentlich betonte Fürst Ferdinand in seiner Rede das Wohlwollen dcs österreichisch-ungarischen Herrschers, welchem die rasche Entwicklung des Staates mit zu danken sei. Die Decretirung einer Apanage für den vormaligen Fürsten von Bulgarien, den unvergeßlichen Alexander von Battenberg, gereicht dem kleinen Land zur Ehre. Diese 60.000 Franks sind ohnedies nur eine geringe Entschädigung für die kolossalen Opfer, welche der Fürst dem Lande gebracht. Der Ministerpräsident Stambulow der erst vor Kurzem den meuchelmörderischen Kugeln einer noch immer unentdeckten Bande entgangen war, verwundete sich am 24. Jänner bei einer Spazierfahrt selbst durch ungeschickte Handhabung mit seinem eigenen. Revolver. Die Sache hatte glücklicherweise keine erheblichen Folgen. Dagegen fiel der bulgarische diplomatische Agent Dr. Vuckovich in Constantinopel am 24. Februar einem schändlichen Attentat zum Opfer. Auf dem Wege zu seiner Wohnung wurde er meuchlings mit dem Messer angefallen und erlag am 26. der schweren Verwundung. Er konnte den Thäter nicht genau bezeichnen,, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß auch bei dieser Schandthat Rußland wieder die Hand im Spiel hatte. Die bulgarische Regierung erließ Mitte April eine sehr energische Note an die Pforte, in welcher sie sich bitter darüber beschwerte, daß der Mörder des Dr. Vulkovich der russischen Gesandtschaft ausgeliefert wurde und Constanti- uopel der Sitz der bulgarischen Verschwörer sei. Die Ausweisung derselben wurde entschieden verlangt. Leider ist die türkische Regierung viel zu schwach um diesen gerechten Anforderungen dem brutalen Rußland gegenüber Geltung zu verschaffen. Nichtsdestoweniger erregte der scharfe Ton dieser Note selbst bei den Bulgarien freundlichen Mächten einiges Bedenken. Der neue diplomatische Agent Dimitrow hatte bereits am 24. April seine erste Unterredung mit dem russischen Gesandten in Con- stantinopel und auf dessen Frage: wann die bulgarischen Blätter einen höflicheren Ton mit Rußland anschlagen würden, entgegnete Dimitrow: sobald Rußland den bulgarischen Emigranten und deren Umtrieben keinen Schutz mehr gewähren würde. Wie gerechtfertigt dieses Verlangen war, geht aus einem geplanten Bombenattentat hervor- das die Rustschucker Polizei noch zu rechter Zeit entdeckte. Es wurden dort bei einem Armenier 14 gefüllte Bomben gefunden, wovon die Hälfte den: Fürsten von Bulgarien und die andere Hälfte dem Sultan bestimmt war. chriechentand. Das kleine Königreich, das unter der langjährigen Regierung seines Herrschers allmälig zu Ruhe und Ansehen gelangte, war in den ersten Märztagen der Schauplatz ernster Conflicte. Der Ministerpräsident Delyannis hatte eine heillose Fiuanzwirthschaft getrieben, die das Land an den Rand des Untergangs führte, was den König endlich bestimmte, den Minister zur Demissionirung zu bestimmen. Derselbe hatte aber die Majorität in der Kammer und diese ertheilte ihm ein Vertrauensvotum, in das auch die Bevölkerung einstimmte. Es kam zu Straßen- revolteu, aber endlich coustituirte sich doch unter Konstantopulos ein neuesMinisterium, das jedoch nur eine Scheinexistenz führte. Delyannis hoffte noch immer bei den. Neuwahlen eine Majorität zu gewinnen; er täuschte sich aber gründlich, Trikupis zerschmetterte ihn und trat Mitte Mai wieder an die Spitze der Regierung. Das Gold agio sank sofort um 30/0. Skandinavien. Auch Schweden und Norwegen hatten ihre Conflicte und zwar unter sich. Diese beiden Staaten stehen sich ungefähr wie Cis- und Transleithanien einander gegenüber Norwegen besitzt seine eigene Regierung und der König von Schweden muß in Christiania jährlich Hof halten. Als zweitgrößte Handels-Seemacht will nun Norwegen seine eigenen Consularvertretungeu haben und das will das schwedische Ministerium nicht zugeben. Darüber entstanden nun Anfangs März ernstliche Zerwürfnisse, die der einsichtsvolle, liberale König dahin schlichtete, daß der Storthing (norwegische Landtag) in der Sache $u entscheiden habe. Ganz Dänemark war am 28. Mai aus Anlaß der goldenen Hochzeit des Königspaares in freudigster Bewegung. Am Festzug nahmen über 100.000 Menschen Theil. Die Czarewna, eine Tochter des Königs erschien mit ihrem Gemahl; außerdem waren Deputationen der meisten regierenden Fürsten Europas, aus Oesterreich-Ungarn Erzherzog Friedrich erschienen. Mrkei. Unter den zwei despotisch regierten Staaten Europas zeigt die Türkei die Spuren des sich mehr und mehr nähernden Verfalles. Das Brigantenthum macht immer größere Fortschritte und die Regierung ist trotz unumschränkter Machtvollkommenheit nicht einmal im Stande, diese Hydra mit Stumpf und Stiel auszurotten. Durch das bereitwillige Zahlen der Lösegelder muntert sie die Räuber völlig zur Fortsetzung ihrer Attentate auf die Fremden auf und wir sind nicht mehr im Stande, die großen und kleinen Fälle alle aufzuzählen. Rußland macht sich diese Schwäche zu Nutze und sucht ohne Rücksicht auf die Berliner Verträge eine Concession nach der anderen für sich herauszuschlagen. So hat es die freie Dardanellen-Durchfahrt seiner Transportschiffe zu ertrotzen gewußt. Daß dieselben aber auch Soldaten und Kriegsmaterial angeblich nach der Strafcolonie Suhalin befördern, wird

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