20 21 sogenannte Welfenfonds) aufgehoben. Es waren circa 40 Millionen Mark, deren Zinsen seither zu nicht nachgewiesenen Zwecken verwendet worden waren. Der Herzog von Cumberland, Ernst August, richtete dagegen ein freundschaftliches Schreiben an des Kaisers Majestät, in welchem er feierlich erklärte, daß es ihm von jeher fern gelegen sei, den Frieden des deutschen Reiches zu stören und feindselige Unternehmungen gegen dasselbe zu fördern. Am 12. März schied Ludwig IV., Großherzog von Hessen, aus dem Leben und sein Sohn Ernst Ludwig trat anderen Tags die Regierung an. Die Ministerkrisis in Berlin gelangte endlich am 24-. März zum Abschluß. Graf Caprivi leistete Verzicht auf den. Posten des preußischen Ministerpräsidenten, zu dem Graf Bodo Eulenburg berufen wurde, an die Stelle des Grafen Zedlitz trat der Staatssecretär Bosse. Fürst Z'rof. KetmhosH. Bismarck würde zu diesen Vorgängen das alle Sprichwort citiren: Vorgethan und nachbedacht hat Manchem großes Leid gebracht Der 77. Geburtstag des großen Kanzlers der sicher niemals das unselige Schulgesetz con- trasignirt haben würde, wurde übrigens in allen deutschen Reichslanden solenn gefeiert. Es liefen circa 70O-0>Glückwünsche ein! darunter von den meisten regierenden Häuptern mit Ausnahme Kaiser Wckhelm II. Die Anarchisten, die in den deutschen Reichs- landen gänzlich verschwunden waren, machten sich am 8. April durch ein Attentat aus den Decan Poninski bemerkbar. Ihrer vier überfielen, um Geld zu erpressen', den hochwürdigeil Herrn, der sich durch die Flucht rettete, aber durch Revolverschüsse schwer verwundet wurde, die vier Räuber, die Polen waren, ergriffen dann die Flucht und tödteten sich vor der Gefangennahme selbst. Am 18. April schied einer der beliebtesten deutschen Dichter — Friedrich v. Bodenstedt — aus dem Leben. Von seinem Mirza Schaffy sind Hunderttausende von Exemplaren im deutschen Volk verbreitet und hat er sich durch diesen Erfolg ein bleibendes Andenken in der deutschen Literatur gesichert. Am 24. April beging der Großherzog Friedrich voll Baden sein 4Ojähriges Regie- rungsjubiläum. Nicht allein im eigenen Lande sondern in allen deutschen Gauen wurde dieser Tag festlich begangen und gingen diesem stets constitutionelleu und allzeit erprobten nationalen Fürsten zahlreiche Glückwünsche zu. Der deutsche Kaiser begab sich an: 24. April zum Besuch des „Königs" Stumm nach Saarbrücken. Er ehrte hiedurch die einheimische In- dustrie, deren Hauptvertreter der Freiherr von stumm ist. Beim Abschied gab der Kaiser seine allerhöchste Zufriedenheit mit der Haltung Herzog v. ^umöerUind. der Arbeiter zu erkennen unb der Chef beeilte sich, dies seinen Leuten in einem Manifest bekannt zu geben. Am 20. Mai starb hochbetagt der Fanatiker der Reaction Kleist-Retzow. Sein Ausspruch: neben der Preßfreiheit den Galgen charakterisirt den Mann. Bis zu seinem Lebensende ist er seinen Principien treu geblieben. Der Verein der National-Liberalen beging am23. Mai in Eisenach die Feier seines 25jährigen Bestandes. Der deutscheKaiser und Fürst Bismarck beglücklvünschten die Versammlung. Der Oberbürgermeister von Berlin, Dr. Max v. Forckenbeck, der erst vor Kurzem seinen 70. Geburtstag feierlich begehen konnte, erlag am 26. Mai einem Schlaganfalle. Die Trauer um dell hochverdienten Mann war eine allgenieine. Forckenbeck's Tod ist nicht nur ein großer Verlust für die deutsche Reichshauptstadt, sondern auch für den Liberalismus in Deutschland. l Die kleine Königin der Niederlande erwiderte am 1. Juni mit ihrer Mutter den Besuch des deutschen Kaisers und dieser brachte, bei der Tafel einen Toast auf das Haus Oranien aus, den die Königin-Mutter auf das Herzlichste erwiderte. Am 7. Juni fand die oft bezweifelte Zu- sammenkunft des deutschen mit dem russischen Kaiser iin Hafen zu Kiel statt. 25 gewaltige deutsche Kriegsschiffe begrüßten den Beherrscher aller Reichen, der auf seinem Kriegsdampfer „Polarstern" gegenüber dem Schloß vor Anker ging. Die Begrüßung war eine überaus herzliche und die beiden Kaiser tranken sich auch in freundschaftlichster Weise beim Frühstück zu. Es fand auch eine Besichtigung der Bauten des Nordostsee-Canals statt, dessen Großartigkeit das Erstannen des Czaren erregte. Um übrigens die politischen Wirkungen dieser Entrevue abzu- schwächen, mußte auf seinen ausdrücklichen Befehl der Großfürst Constantin bei dem Turnerfest iil Nancy erscheinen und dem Pcäsidenten Carnot lviederho.lt die Sympathien Rußlands ausdrücken. Am 21. Juni erschien das italienische Königspaar zum Besuch in Berlin und wurde sowohl von Kaiser wie Volk auf das sympa- thlscheste aufgenommen. Das Bündniß Italiens mit deln deutschen Reich erfuhr dadurch eine neuerliche Kräftigung. Dieser Besuch des italienischen Königspaares sollte auch die Zweifel, welche über die Halt> barfeit des italienischen Bündnisses in letzterer Zeit aufgetaucht waren, beheben. Sowohl der Hof, wie die Bevölkerung ließen es nicht an sympathischen Kundgebungen fehlen. Italien. Die Radikalen und Irredentisten bedrängten zwar bei jeder Gelegenheit das Cabinet Rudini und slichten seiner Politik Verlegenheiten zu bereiten, aber die Majorität der Kammer und die Bevölkerung, welche die Erhaltung des Friedens will, standen auf seiner Seite. Daß England mit dem herrschenden Regime in vollem Einklang steht, zeigte sich am 6. Juli bei Veranlassung des Stapellaufes der „Sicilia" in Venedig. Der englische Admiral Hoskins wohnte mit seinem Geschwader der Feierlichkeit bei und wurde vom König besonders ausgezeichnet. Selbst die italienischen Oppositionsblätter müssen England als den mächtigsten, freisinnigsten Staat und treuesten Helfer Italiens anerkennen, und geben damit auch zu, daß die Politik Rudini's doch die einzig mögliche zur Erhaltung des Friedens war. An Ubaldino Peruzzi, der am 9. September in seiner Villa bei Florenz als Siebzigjähriger aus dem Leben schied, hat Italien einen seiner größten Staatsmänner verloren. Die französischen Pilger machten am 2. October Scandal in Rom, indem sie das Grab Victor Emanuel's im Pantheon beschimpften Die Bevölkerung opponirte lebhaft gegen diese unwürdige Demonstration und es wäre den Franzosen schlecht ergang'N, wenn sie die Polizei nicht geschützt hätte. Die Leiter des internationalen Pilgerzuges drückten dem Minister des Innern ihr Bedauern über diese Ausschreitungen einiger Fanatiker aus, die übrigens auch von der clericalen Partei zurückgewiesen wurden. In Nizza wurde am 4. October das Garibaldi-Denkmal enthüllt. Die Söhne des großen Helden der Freiheit hielten sich von der Feier fern. Der Schwiegersohn, General Canzio, hielt die Festrede, in welcher er zur Einigung Italiens mit Frankreich rieth. Von Seiten Frankreichs war Minister Rouvier erschienen, der aber keineswegs die Rückerstattung jener Provinzen, die das Kaiserreich Italien geraubt hatte, seitens der Republik in Aussicht stellte. Das wäre den Italienern jedenfalls lieber gewesen, als einige schöne, nichts bedeutende Redensarten. Am 3. November fand in Rom die sogenannte Friedensconferenz statt. Sie hatte ein seltsantes Vorspiel, benn der voraussichtliche Präsident Bonghi hatte sich über das Verhältniß Elsaß-Lothringens zu Deutschland in einer so absonderlichen Art geäußert, daß die fünfzehn deutschen Abgeordneten erklärten, dieser Friedensconferenz nicht beitreten zu können. Um keinen Unfrieden in dies Friedenswerk zu tragen, verzichtete Signore Bonghi auf den Vorsitz, den Kammerpräsident Biancheri übernahm, während Reichstagsabgeordneter Baumbach die Vice-Prä- sideutschaft übernahm. Er hielt auch die Festrede, in welcher er betonte, daß Rom auch das Vaterland aller Deutschen sei. Es möge aus dieser Cvnferenz das Emporium des Friedens
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