Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

12 13 Steuern erworben, und dies innfo wehr, als das Erträgniß derselben zur Herabminderung anderer drückender Steuern, namentlich des Grundbesitzes der Landbevölkerung verwendet werden soll. Deshalb werden auch die seitherigen Gegner der Regierung für dieses Gesetz stimmen. Der gefürchtete 1. Mai, der Festtag der Arbeiter, fiel diesmal auf einen Sonntag und wurde in Wien und allen Städten mit Ruhe und Anstand begangen. Der beliebte Hofschauspieler Baumeister beging am 1. Mai das vierzigjährige Jubiläum seines Engagements am Burgtheater. Der Kaiser verlieh ihm den Orden der eisernen Krone dritter Classe und die Commune Wien ehrte ihn durch Verleihung der Salvatormedaille. Am 7. Mai erfolgte die Eröffnung der internationalen Musik- und Theaterausstellung in Wien durch den Kaiser. Feierlichst begrüßt vom Präsidenten der Ausstellung, Markgraf Pallavicini, antwortete Se. Majestät, daß es ihn mit hoher Befriedigung erfülle, in Wien auf dieser Pflegestätte der musikalischen und dramatischen Kunst, ein so bedeutsames gemein- nütziges Werk entstanden zu sehen. Auf dem ersten Rundgang fand der Kaiser Gelegenheit seine Anerkennung sowohl in B-zug auf das Ganze wie der einzelnen Ausstellungsobjeete und Bauten auszusprechen. Diese Ausstellung ist in ihrer Eigenart die erste und einzige und legt Zeugniß dafür ab, daß der Idealismus in unserer materiell veranlagten Zeitepoche doch noch nicht erloschen ist. Wien galt von jeher als Musikweltstadt und auch als Theaterstadt schätzt man sie im deutschen Sprachgebiet Bei der Feier des hundertjährigen Todestages Mozarts wurde schon die Idee einer Ausstellung musikalischer Instrumente aller Zeiten und Völker angeregt. In dem genialen Kopf der Fürstin Pauline Metternich, die sich schon seit Jahren um Wien durch Veranstaltung der Blumencorsos und andere Wohlthätigkeitsacte hochverdient gemacht hat, entsprang nun die Idee, nicht allein die Geschichte der Musik, sondern auch die Entwicklung des Theaters nach den: System des Anschauungsunterrichtes bildlich und actionell vorzuführen. Es wurde ein Comite um diese Kunstbestrebungen hochverdienter Männer- gebildet und in unglaublich kurzer Zeit ist eine Schöpfung eutstanden, die einzig in ihrer Art ein Gesammtbild des Aufschwunges der musikalischen und dramatischen Künste darbietet. Für Wien war diese so hoch interessante Ausstellung von großer Wichtigkeit indem sie den Strom der fremden Gäste hierher lenkte und Tausenden von Beschäftigungslosen Arbeit und Verdienst brachte. Die Fiaker rind Einspänner hatten zur Feier des Eröffnungstages einen Streik inscenirt und die Polizei verbot den projectirten originellen elektrischen Blumeneorso. Das waren in Verbindung mit dein anhaltend schlechten Wetter die Anfaugsschwierigkciteu, mit welchen dieses schöne Unternehmen zu kämpfen hatte. ' Uebrigcns wurde der seitherige Polizeipräsident, Freiherr v. Krauß, seines Postens enthoben und zum Landespräsidenten der Bukowina befördert. An seine Stelle trat der seitherige Prager Polizeidirector, Ritter von Stejskal, ein erprobter Polizist, der die Wiener Polizei gründlich reformiren dürste. Am 9. Mai erfüllte die Kunde von dem plötzlichen Dahinscheiden des ungarischen Handelsministers Gabriel v Baroß dieganze österreichisch ungarische Monarchie mit Trauer. In den 44 Jahren seines Lebens hat er sich durch eigene Thatkraft, Talent und unermüdlichen Schaffensdrang zu diesem hohen Posten aufgeschwuugen. Er war, obwohl ein geborner Slovake, Ungar vom Wirbel bis zur Sohle und hat in der kurzen Zeit seiner Amtsthätigkeit seinem Vaterland größere Dienste geleistet als Andere vor ihm in einem halben Jahrhundert. Er war der Schöpfer der ungarischen Industrie und des niedrigen Personentarifes, zu dessen Einführung er die anderen Bahngesellschaften gewissermaßen gezwungen hat. Dadurch errang er eine seltene Popularität und selbst die Obstructiv nisten im Parlament waren ihm zugethan. Er starb arm und seiner Witwe und seinen zwei Kindern mußten vom Staat die erforderlichen Subsistenzmittel ausgesetzt werden. Im österreichischen Abgeordnetenhaus gelangte am 10. Mai nach mehrmaliger Verschiebung die Vorlage über die Wiener Verkehrsanlagen zur Debatte. Der Haudelsmiuister wies; darauf hin, daß mit denselben keineswegs nur die Hebung des Localverkehrs, sondern vielmehr die Ausgestaltung des Staatsbahuuetzes bezweckt werde. Trotzdem eiferten die Jungezechen und ihr Anhang dagegen, aber die Bauten wurden doch beschlossen und wird dadurch nicht allein für Wien sondern das ganze Land Arbeit und Verdienst geschaffen werden. Am 14. Mai legte der Finanzminister dem österreichischen Parlament die Gesetzentwürfe betreffend die Regelung der Valuta vor. Es war dies ein wichtiger und verhängnißvoller Tag für den gesammten österreichisch-ungarischen Staat, denn die Bevölkerung ist im Allgemeinen und selbst ein großer Theil der Abgeordneten insbesondere nicht mit der Einführung der Goldwährung, am allerwenigsten aber mit der sogenannten Relation, wodurch der Kaufwerth des alten österreichischen Gulden von 100 Kreuzern auf 84 reducirt wird, einverstanden. Infolge des günstigen Standes unseres Staatshaushaltes und durch das endliche Schwinden des chronischen Deficites war das Goldagio bereits auf 10^ herabgesunken und würde sicher in wenigen Jahren ganz verschwunden sein. Die Mehrheit der Bevölkernng und selbst viele Abgeordnete und Mitglieder der Enquete-Commission begreifen deshalb diese Ueberhastung umsoweniger als mit dieser Valuta-Regelung keineswegs die Einlösung der Staatsnoten oder die Aufnahme der Barzahlungen verbunden ist. Am Ihnfassendsten und Verständlichsten hat sich der Abgeordnete Josef Neuwirth in seiner großen Rede am 24. Mai über diese Art der Valuta- Regelung ausgesprochen. Allerdings halfen alle diese Vorstellungen nichts, das Agio, respective der Minderwerth unserer Bank- und Staatsnoten, mußte nun einmal mit 16% festgenagelt werden, trotzdem Silber schon pari steht. Ob bei dem erstbesten politischen Ereigniß sich dieses Agio behaupten und nicht wieder auf das Doppelte hinaufsteigen, ob Gold daun überhaupt und zu welchen Preisen erhältlich sein wird, das weiß heut weder der Fiuanzminister noch überhauptJemand. Diese Festnagelung des Agios ist also kein Hinderniß für die Speculatiou, wie denn auch seit Bekanntwerdung der Relation Gold wieder successive um 8—9% gestiegen ist. Die Hebung unseres Staatscredits steht im engsten Contact mit unserer Valuta, respective unseren Staatsund Banknoten. Wie der erstere steigt, so gewinnen auch die letzteren an Werth. Es scheint deshalb schwer begreiflich, daß das allmälige Schwinden des Agios für Viele ein Schreck- gespeust sein konnte. Der Export, der Landwirth und Hypothekenschuldner würden dadurch dem Ruin preisgegeben, daß unsere Werthzeichen endlich auch im Ausland die volle Giltigkeit erreicht haben? Das verstehe wer will, wir können nur constatireu, daß die Gesetzvorlagen, mit welchen an Stelle der bisherigen öster- reichischen Währung die Goldwährung zu treten l hat aus XXVI Artikeln besteht. An Stelle des seitherigen Gulden tritt die Krone und statt der Kreuzer werden wir Heller haben. Dabei ist nicht viel zu merken oder zu rechnen, denn der Gulden bleibt nach wie vor im Umlauf und hat den Werth von 2 Kronen, auch der Neukreuzer bleibt und gilt jetzt 2 Heller. Dann werden noch Zehnund Zwanzigkronenstücke in Gold, jedoch derart altsgeprägt, daß aus einem Kilo Feingold 16 4 Zwanzigkronenstücke producirt werden. Nachdem aber in Frankreich aus eitlem Kilo Feingold 3444’44 Francs ausgeprägt werden, so ergibt sich eine Proportion von 2 'Francs 10 Centimes für den seitherigen Gulden oder 1 Mark 70 Pfennige. Eine Krone unseres neuen Geldes gilt also nur 1 Franc 6 Centimes statt 1 Francs 10 Centimes oder 86 Pfennige deutscher Reichswährung statt 100 Pfennigen. Das nennt man die Relation von 1 zu l\ die in der Entwerthung des Silbers ihre Berechtigung findet. Auch im ungarischen Abge- orouetenhause fand, am 14. Mai die Vorlage cer Gesetzentwürfe zur Valuta-Regelung durch dni Fmcmzmunster Wekerle statt und dieselbe war von begeisterten Eljen Rufen aller Parteien begleitet. Am 17. Mai schied der bekannte ungarische Jusurrectwns-General Georg Klapka im Alter von 72 Jahren aus dem Leben. Sein Leichenbegängnis; gab den Obstructionisten im Parlament wieder Anlaß zu Ailgriffen auf den Ministerpräsidenten, der aber den Ungrund dieser Anschuldigungen Nachweisen konnte. Der General der Revolution erhielt eine imposante Leichenfeier. Der niederösterreichische Volksbildungsverein hielt am 22. Mai in Wr.-Neustadt seine sechste Hauptversammlung ab. Feierlich von der Gemeindevertretung begrüßt, konnte die Vereinsleitung auf den^Bestand von 8676 Mitgliedern, 80 Büchereien mit 28.000 Bünden und auf die segensreichen Einwirkungen aus die Volksbildung Hinweisen. Am 24. Mai sand zwischen dem Reserve- Lieutenant Dr Korsay und Baron Bela Aczel, der den Vater des Erster« aus der Liste des Banderiums zur Einholung des Kaisers am Tage des Krönungsjubiläums gestrichen hatte, ein Pistolenduell statt. Dr. Korsay wurde lebensgefährlich verwundet. Der deutsche Schulverein hielt am 26. Mai in Wien seine 12. Hauptversammlung unter- zahlreicher Betheiligung der Mitglieder aus allen Kronländern ab. Zum erstenmal war ein Mitglied der Regierung, Graf Kuenburg, bei der ersten Sitzung anwesend und der Obmann des Vereines, Dr. Weitlof, wußte diese Ehre und Bedeutung zu würdigen. Die Einnahmen sind zwar etwas zurückgegangen, es treten jedoch große Vermächtnisse jetzt in Kraft und so wird der Verein auch fernerhin sein segensreiches Wirken weiter üben können. Ani 26. Mai fand abernrals ein Wasser- einbruch in die Dux-Ossegger-Kohlenbergwerke statt, der allerdings keine Menschenopfer forderte, aber von verhängnißvollen Folgen begleitet war. Die Teplitzer Quellen blieben glücklicher Weise intact. Der Blumeneorso wurde aur 28. Mai Nachmittags unter glänzender Betheiligung der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgerthums abgehalten. Die Tausende von Fremden die dazu erschienen waren, brachten viel Geld nach Wien, und es kann dieser Luxus nur gebilligt werden, der den weniger Bemittelten Arbeit und Verdienst zuführt. Die Befürchtungen und Vorsichtsmaß- cegeln der Polizei erwiesen sich als ganz überflüssig. Wie bei alt diesen öffentlichen Festen erwies sich die Wiener Bevölkerung als ordnungsliebend und anständig. Ende Mai langte eine aus mehreren hundert Köpfen bestehende Rumänendeputation aus Ungarn ein, die dem Kaiser eine Denkschrift über erlittene Bedrückllugen übergeben wollte. Sie wurde aber nicht vorgelassen und auf den gesetzlichen Weg verwiesen. . Der ungarische Reichstag beschloß Ende Mai beinahe einstimmig die Gleichberechtigung aller religiösen Glaubensbekenntnisse und hat der ungarische Liberalismus damit wieder ein erhabenes Beispiel seiner Toleranz und seiner Liebe zur Freiheit geliefert. Am 31. Mai erlitt die medicinische Facultät durch den Tod Hofrath Dr. Theodor Meynert's einen unersetzlichen Verlust. Er hatte die Psychiatrie durch seine anatomischen Untersuchungen des

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