10 II Am 8. März begann die von der Regierung einberufene Enquete - Commission ihre Sitzungen. Es waren 35 Mitglieder erschienen, die von den Ministern Steinbach, Kuenburg, Prazak und Schönborn begrüßt wurden. Die Conferenzen schlossen Ende März und die Einführung der Goldwährung ist gesichert bis auf Genehmigung durch den Reichsrath. Am 18. April einigten sich vorläufig die Minister der beiderseitigen Reichshälften über die Valutaregulirung. Die in den Monaten März und April in Wien vorgekommenen Brände, die regelmäßig wiederkehrenden Raubmorde, deren Thäter nnentdeckt «Amos Lomemus. blieben, setzten die Bevölkerung der Großstadt in Aufregung. Die am 17. Mürz erfolgte Hinrichtung des scheußlichen Dienstboteumörders Schneider gewährte keine genügende Sühne für die kurz darauffolgenden drei' Raubmorde im Weichbilde der Stadt. Der neue Primas von Ungarn, Klaus Vaszary, hat sich in seiner Rede, die er am 22. März in einer großen geistlichen Versammlung hielt, als Friedensfürst, durchweht vom Geist evangelischer Milde und warmem Patriotismus, declarirt. Er will den Treuschwur den er in die Hände des apostolischen Königs ebenso wie den, den er dem Papste geleistet, unverbrüchlich halten, aber er will den Frieden zwischen Kirche und Staat herstellen. Er trat demgemäß entschieden der aufhetzenden clericalen Presse entgegen, versprach aber zugleich die Lage des niederen Clerus zn verbessern, da aus der Nothlage desselben die Unzufriedenheit stamme. Auch in der heiklichen Frage der Wegtaufen hoffe er einen moäus vivendi zwischen Kirche und Staat zu finden. Das neue Haupt der katholischen Kirche in Ungarn ist jedenfalls nicht nur ein frommer und gelehrter Priester, sondern auch ein patriotischer Staatsmann. Es wäre 511 wünschen, daß dieses erhabene Beispiel Nachahmer finden möchte. Am 28. März wurde fast in allen Culturländern der dreihundertjährige Geburtstag des Pädagogen Amos Comenius gefeiert. Da dieser evangelische Schulmann 1692 in dem mährischen Städtchen Ungarisch-Brod geboren war, so reclamirten die CZechen ihn sofort als einen der ihrigen. Comenius nannte sich aber stets einen Weltbürger und von diesem Gesichtspunkte aus sind auch seine zahlreichen Schriften, unter denen der Orbw pietu8 noch heute die Grundlage des Anschauungsunterrichtes bildet, zu betrachten. Der große Gelehrte und Menschenfreund starb als Märtyrer seiner Ideen 1671 in Amsterdam. Das Unterrichtsministerium hatte übrigens die Feier in den katholischen Schulen untersagt, da Comenius Methodist war. In Prag kam es infolge der Feier zu Straßenscandalen. Die -deutschen Abgeordneten im böhmischen Landtag sahen sich am 12. April zum Erlaß eines Manifestes an das deutsche Volk in Böhmen bestimmt, in welchem sie ihr seitheriges Vorgehen in der Ausgleichsfrage in ruhiger, leidenschaftsloser Weise darlegteu, auf das ver^ tragswidrige Znrückweichen der Altezechen und des conservativen Grundbesitzes und ihr vergebliches Bemühen hinwiesen, den Streit der Meinungen über die Vertagung des Ausgleiches auszutragen. Sie ermahnten das deutsche Volk, die tiefgehende Entrüstung und Verbitterung über so vertragswidriges Gebaren und die schwankende Erklärung der Regierung noch zu unterdrücken, denn an dieselbe stünde noch manches Wort frei und auszuharren bei den seitherigen politischen und nationalen Grundsätzen und einzustehen für die Fortführung des Ausgleichswerkes und die nationale Abgrenzung. Vertraut uns, wie wir Euch vertrauen, so schloß diese denkwürdige Ansprache. Selbst die nltraczechischen Blätter konnten nicht umhin, der würdevollen Haltung- dieses Manifestes ihre Anerkennung zu zollen. Der niederösterreichische Landtag wurde am 43 April mit den kurzen Abschiedsworten des Dr. Magg, daß jene schönen Zeiten, wo alle Abgeordneten eines Herzens und Sinnes waren, vorüber seien, geschlossen. Dr. Lueger sagte b^u: ein Gott sei Dank und bezeichnete damit die Stellung seiner Partei. Am selben Tag starb der Schöpfer des Walter von der Vogelweide-Denkmals und vieler anderer schöner Sculpturwerke, Bildhauer Heinrich Natter, «kaum 48 Jahre alt. Am 21. April trafen über 200 Sänger der „Berliner Liedertafel" in Wien ein. Mit Enthusiasmus von den hiesigen Sangesgenossen und der Bevölkerung ausgenommen, werden den deutschen Brüdern die Tage ihres Aufenthaltes wohl immer eine freundliche Erinnerung bleiben Am 24. producirten sie sich auch in Schönbrunn vor unserem Kaiser, der ihnen die huldvollste Anerkennung spendete. Ein erhebendes Fest wurde am selben Tage Mittags mit der Einweihung des Zumbusch'schen Denkmals Radetzky begangen. 14.000 Veteranen nus allen Theilen der österreichisch-ungarischen Monarchie hatten sich unter Anderen zur Feier eingesunden und wurden von der Wiener Commune gastlich ausgenommen. Mit der ErrichUildHauer Matter f. tung dieses herrlichen Denkmals wurde nur eine langjährige Ehrenschuld, welche das Land dem volksthümlichsten österreichischen Heerführer aller Seiten schuldete, getilgt. Den „Vater" Radetzky nennen ihn alle Zungen. Er war nicht nur ein Vater seiner Soldaten, er war auch der Vater des Vaterlandes und als dasselbe in Gefahr war, da war in seinem Lager Oesterreich. Einen bedeutsamen Schritt zur Durchfuh rung des Ausgleiches that der Justizminister durch Errichtung eines neuen Bezirksgerichtes in Wekelsdorf. Die Verordnung erschien am 22. April im ReichZgesetzblatt und brachte die Jungczechen außer Rand und Band. Obwohl dieser Vorgang ganz gesetzlich war, wurde von denselben doch zunächst der Minister in An- klagezustand versetzt. Abgeordneter Gregr gab in einer großen Rede die Andeutungen: das czechische Volk habe jetzt auf jede Art und Weise die österreichische Regierung zu schädigen. durch Enthaltung des Tabak- und Cigarreu- rauchens, durch Verzichtleistung auf Luxusgegenstände, durch indirecte Steuerverweigerung und sonstige Repressivinaßregeln. Seltsam klang es in dieser Rede, daß in derselben von der Erhaltung des Reiches durch die Czechen gesprochen wurde, während diese doch stets nach Rußland gravitiren und damit schon an der Grenze des Landes- und Hochverrathes angelangt waren. Uebrigens war dieser ganze Vorgang nur eine leere Demonstration, die auch in der Sitzung vom 20. Mai durch Uebergang zur Tagesordnung vom Abgeordnetenhause abgewiesen wurde. Msias^w^lgE Madetzky-Aenkmal'. Die ans geheimnißvolle Weise entstandenen Brände wtlrden am 28. April durch den des Pa- noramagebäudes in der Praterstraße vermehrt, das herrliche Kunstwerk Piglhein's: „Panorama von Jerusalem" wurde gänzlich vernichtet. Am 30. April starb plötzlich in Meran die berühmte Schauspielerin des Hofburgtheaters, Frau Zerline Gabillon. Es ist dies ein schwerer Verlust für dieses Knnstinstitut. Am selben Tage gelangte die neue Steuerreform int Abgeordnetenhause zur ersten Lesung. Der Finanzminister Dr. Steinbach hat sich.ein großes Verdienst um diese Reform unserer
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