Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

8 9 malige Trauerfall erregte in ganz Oesterreich- Ungarn die innigste schmerzliche Theilnahme. Auch ein dritter Bruder, Erzherzog Ernst, wurde von der Influenza ergriffen, aber glücklicher Weise noch gerettet. In der Nacht vom 20. auf den 21. December erfolgte die Aufhebung der Wiener Linienwälle und die Verzehrungssteuer wird nun im weiteren Umkreis von Großwien ein- gehoben. Statt einer Verwohlfeilerung ist aber leider nur eine Bertheuerung der Lebensmittel eingetreten und da die Nasirung dieser verhaßten Circnmvallation auch noch auf SchwieErzherzog «Heinrich nnd Ao mitte. rigkeiten stößt, so hat diese ganze Maßregel wenig Sympathie in der Wiener Bevölkerung gefunden. Am 21. December fand in Pest wieder einmal eines jener politischen Dnelle, und zwar diesmal sogar zwischen einem Minister, Baron Föjervüry, und dem bekannten Scandalmacher Ugron statt. Der Letztere erhielt einen tüchtigen Säbelhieb und wird sich diesen Denkzettel wohl merken. Im Gegensatz zu diesem Krieg im Frieden veranstaltete Frau Baronin v. Suttner am selben Tag eilten Friedenscongreß in Wien, dem auch viele hervorragende Menschenfreunde beiwohnten, die den Bestrebungen zur Erhaltung des Friedens die größte Sympathie entgegen brachten. Gewissermaßen können die sämmtlichen gekrönten Häupter Europas bis auf Zwei im Osten und Westen als Mitglieder des Friedenskongresses betrachtet werden, denn der Erhaltung des Princips: diese Geißel der Menschheit aus der Welt zu schaffen, bringen schon seit Jahren die Völker die riesigsten Opfer. Darüber sind Alle einig und es handelt sich leider nur darum, wie die drohenden Friedensstörer ohne Krieg znr Raison gebracht werden können! An: inneren Friedett arbeitet das Cabinet Taasfe unausgesetzt und ltachdem mit den Czechen nicht länger auszukommen war, so näherte sich die Regierung wieder der seit 10 Jahrelt unterdrückten und kaltge- stelltelt liberalen Partei. Da Ptener als Führer derselben im Reichsrath nicht zu entbehren war, so konnte er kein Portefeuille anuehmen, auch einen anderen hohen Posten mußte er zurückweisen. Dagegelt wurde der Abgeordnete fürLinz,GrasKuenburg, am 24. December als Minister ohne Portefeuille ins Cabinet ausgenommen Als bewährter Liberaler wird er auch die Interessen seiner Partei stets zu vertreten wissen. Im Zusammenhang mit dieser Ernennung stand die Berufung des Abgeordneten Bilinski zum obersteil Leiter der Staatsbahnen; der seitherige Generaldirector Freiherr v. Czedik, der sich die größten Verdienste um die Organisation der Staatsbahnen erworben hatte, scheidet nach zehnjähriger Thätigkeit aus deill Amte. In Budapest erregte der am Neujahrstag erfolgte Selbstmord des langjährigen Directors der vaterländischen Sparcasse Ludwig Piufsich große Sensation. Der Selbstmörder war einer der nobelsten Lebemänner der ungarischen Hauptstadt gewesen, besaß 'selbst ein ansehnliches Vermögen, das aber zur Befriedigung seiner noblen Passionen nicht ausreichte und defraudirte nach und nach circa anderthalb Millionen Gulden Der Aufsichtsrath, der seiner Führung unbedingtes Vertrauen geschenkt hatte, war deshalb den'heftigsten Angriffen ausgesetzt und deckte den größten Theil des Schadens aus Eigenem. König Karol von Rumänien war am 4. Jänner auf zwei Stunden Gast unseres Kaisers in Budapest. Die Trübung, welche zwischen den beiden Reichen infolge der handelspolitischen Conflicte schon seit Jahren besieht, erhielt dadurch einige Klärung und wenn die Anlehnung Rumäniens an die Tripelallianz auch nicht bezweifelt werden kann, so wäre es doch im Interesse unserer einheimischen Industrie sehr zu wünschen, daß.wir uns mit Rumänien endlich ausgleichen möchten. Am ö. Jänner wurde die ungarische Parlamentssession durch Se. Majestät in feierlicher Weise geschlossen. Die Thronrede gedachte in rühmender Weise der Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichtes, der freundschaftlichen Beziehungen zn allen Mächten, der Handelsverträge, welche ein Bollwerk des Friedens bilden, der Hebung des Verkehres durch die Erweiterung des Eisenbahnstraßennetzes und schließlich der Regelung der Verwaltung in den Comitaten und sprach schließlich den Wunsch ans, daß diese Reformentwürfe mit voller Ruhe und ohne llnterbrechung in Verhandlung genommen werden möchten. Am 8. Jänner wurde die Reichsrathssession wieder eröffnet, in welcher vorzugsweise die neuen Handelsverträge behandelt und zum genehmigten Abschluß gebracht wurden. Am 19. Februar brachte auch Finanz- miiuister Steinbach das Gesetz über die Reform der directen Steuern ein Tags vorher starb im Alter von 73 Jahren der berühmte Physiologe Hofrath Dr. v. Brücke, seit 40 Jahren eine Zierde der Wiener Universität. Auch unser erhabenes Herrscherhaus, welches in kurzer Zeit den Verlust so vieler Familienglieder zu beklagen hatte, wurde am 18. Jänner durch den Tod des Erzherzogs Kart Salvator von Toscana abermals in Trauer versetzt. Der hohe Dahingeschiedene, zweiter Sohn des Groß Herzogs Leopold II., am 30. April 183'.) geboren, erkrankte am 8. Jänner an der Influenza nnd fiel dieser tückischen Krankheit, die wie niemals vorher in ganz Europa gehaust hatte, ebenfalls zum Opfer. Er bekleidete in der Armee den Rang eines Feldmarschall-Lieutenants und war der Vater des Gemahls der Erzherzogin Valerie. Nur wenige Tage nachher, am 26 Jänner, fiel ebenfalls der Influenza die Mutter unserer Kaiserin — die Herzogin Ludovica in Bayern — zum Opfer. Die erhabene Frau, ein Muster von Frömmigkeit nnd Wohlthätigkeit hatte das hohe Alter von 84 Jahren erreicht. Diese so kurz nacheinander folgenden Todesfälle blieben nicht ohne Einfluß auf den Zustand der Erzherzogin Valerie, die hohe Frau gab in- >olge der Aufregung schon am 27. Jänner, um vier Wochen zu früh, einem Töchterchen das Leben. Ministerpräsident Graf Szapari hielt am ^o,nar ui ^enresvar eine höchst wichtige politische Rede, m welcher er für die Erhaltung des 1867iger Ausgleiches als dauernde Schöpfung Deak's und Andrassy's eintrat, die Majorität der Regierung, welche aus der liberalen Partei hervorgegangen, constatirte und nachwies, daß hinter den 60 Obstructionisten unmöglich die ganze Nation stehen könne. In der Haupt- und Residenzstadt des Reiches brachten die Errungenschaften der Stadterwei- terung vor der Hand keinen Segen. Die Erwerbslosigkeit im Mittelstand, das Darniederliegen der meisten Industriezweige hatte die größte Noth unter der arbeitenden Classe zur Folge und beim Eintritt des neuen Jahres bot sich durch die öffentlichen Brodbetheilungen, die Sammlungen für die Nothleidenden ein für Wien sehr deprimirendes Schauspiel dar. Leider wurde sowohl im Gemeinderath wie im Parlament die so dringende Niederlegung der Linienwälle nnd die Bewilligung zum Beginn der Stadtbahnbauten durch störende Einflüsse vertagt und verschleppt. Derartige Vorgänge sind allerdings nicht geeignet, ein Aufblühen von Groß-Wien zu constatiren und das fremde Capital nach Wien zu ziehen. ^rof. Drücke f. Am 20. Februar fand die erste Sitzung des neugewählten Abgeordnetenhauses in Budapest statt. Sie dauerte nur eine halbe Stunde und am 22. eröffnete Sc. Majestät den Reichstag, indem er in der Thronrede die Regelung der Valuta und die Reform der Verwaltung der besonnenen Erwägung und Ruhe der Abgeordneten anheim stellte. Am 4. März wurden 16 Landtage in der cisleithanischen Reichshälfte eröffnet. Im böh- mischen wurde, wie vorauszusehen, der Ausgleich durch die Majorität der Jung- und Altczechen, denen sich die Feudalen anschloffen, vertagt nnd mithin begraben. Wie und wann er seine Auferstehung wieder feiern wird, muß der Jahres- chronist dahin gestellt sein lassen. Vor der Hand kann nur constatirt werden, daß ein solcher Wortbruch in der Geschichte des Parlamentarismus ohne Beispiel dasteht. Die Regierung überließ die Ausgleichsvorlage ebenfalls ihrem Schicksal.

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