Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

4 Am 2. September begab sich der Kaiser zu den großen Manövern nach Schloß Schwarzenau, wo er mit dem deutsche!: Kaiser und dem König von Sachsen zusammentraf. Zunächst war das Erscheinen Kaiser Wilhelm II eine Erwiderung auf den vorjährigen Besuch des Monarchen bei den 'schlesischen Manövern. Aber diese gegenseitigen Jnspicirungen haben auch noch den Zweck, die Rüstungen der Heere, ihre Schlagfertigkeit und die militärischen Fortschritte zu constatiren. Das geschlossene Bündniß erfährt dadurch eine neuerliche Stärkung und der europäische Frieden wird noch mehr gesichert. Der Erfolg der Manöver war übrigens nach dem Urtheil der fremden Officiere bei allen Truppengattungen ein sehr befriedigender Das rauchlose Pulver spielte eine wichtige Rolle bei den gegenseitigen Kämpfen und auch der Eindruck späterer Schlachten wird ein ganz anderer sein, da es dann bei denselben förmlich un- /töniq ^IVwiiw. heimlich still zugehen wird. Am 7. September waren die Manöver zu Ende und die hohen Gäste verabschiedeten sich auf das Herzlichste von unserem Kaiser, der sich zu den Manövern nach Ungarn begab. Wien hat durch das am 13. Septenlber erfolgte Dahinscheiden des vormaligen Vicebürgermeisters Steudel einen seiner besten Bürger verloren. Die Coinmune ehrte ihn durch ein feierliches Leichenbegängniß. Auch der am 23. September erfolgte Selbstmord der einstmals so berühmten Hofopern- sängeriu Marie Wilt, welche in einem Anfall von Geistesstörung vom 4. Stock fÄtes Hauses am Stefansplatz herabsprang,- erregte in den weitesten Kreisen aufrichtige Theilnahme. Am 26. September traf der Kaiser in Prag zum Besuch seines Königreiches Böhmen ein. „Das W.hl dieses schönen, reich gesegneten Landes und seiner Bevölkerung bildeten Gegenstand Meiner stetigen, väterlichen Fürsorge." Diese Worte wurden deutsch gesprochen und böhmisch hinzugesügt: „Das hundertthürmige Prag möge allen seinen Bewohnern stets eine glücklich blühende Heimat sein." Dauiit wurde das Programm für diese Kaiserreise ausgesprochen; unser gütiger Monarch will keinen der in Böhmen befindlichen Volksstänime bevorzugen. Seine Fürsorge, sein Gerechtigkeitssinn ist Jedem derselben in gleicher Liebe gewidmet und deshalb begab sich auch Se. Majestät direct von Prag nach seiner urdeutschen Großindustrie- stadt Reichenberg. Ueberall war der Empfang ein enthusiastischer und beide Nationalitäten überboten sich gleichsam in Darbringungen ihrer Verehrung und Anhänglichkeit an das erhabene Herrscherhaus. Daß aber der Monarch das czechische Volk zum Festhalten an den Ausgleich ermahnen und den inneren Frieden erreichen will, das hat er bei verschiedenen Anlässen ausgesprochen. Marie M i tt 1. An den Czechen wäre es also, diesem kaiserlichen Wunsch endlich Folge zu leisten. Das ohne Schaden verlaufene Dynamitatteutat unter der Brücke bei der Station Rosenthal bildete die einzige Trübung dieser glanzvollen Kaiserreise Merkwürdiger Weise gelang es bis heute nicht eine Spur des Attentäters zu entdecken. Bei der Rückkehr wurde dem Monarchen am 2. October von der gesummten Wiener Bevölkerung ein enthusiastischer Empfang bereitet. Am 6. October-wnrde der allgemeine österreichische Advocatentag in Wien unter dein Vorsitz des Dr. Ritter v. Mündel eröffnet; die Vereinfachung der gerichtlichen Proceduren durch Erweiterung des mündlichen Verfahrens, war der Hauptzweck dieses Congresses. Das in den ersten Octobertagen vom Fi- nauzminister Wekerle vorgelegte Staatsbudget bestätigte zum zweitenmal das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben und wies sogar noch einen kleinen Ueberschuß. gegen die früheren Deficite von 40—50 Millionen aus. Der wiedergeschasfene ungarische Staat hat also auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht seine Lebensfähigkeit nachgewieseu und Fiuanzminister Wekerle saiumelt bereits beträchtliche Goldschätze, um in: Verein mit der anderen Staatshälfte die Regelung der Valuta in Angriff zu nehmen. Die Partei der Obstructionisten verharrt aber trotz aller Erfolge des liberalen Ministeriums in ihrer Opposition und Graf Szapary bereitete deshalb dem Führer derselben, Graf Apponyi, am 4. October im Abgeordnetenhause eine entschiedene Niederlage. Am 8. October sand der Wiederzusamuicn tritt des österreichischen Abgeordnetenhauses statt, welches sich zunächst der Budgetvorlage des Fi- §chko6 Llf) warben an. nanzminisiers zu widmen hatte. Die Einnahmen wurden mit 585,5 38.262 st., die Ausgaben mit 384,620.378 st. angegeben; es ergibt sich also noch ein Ueberschuß von 617.884 fl. Gegen das Jahr 1891 sind also die Staatseinnahmen um 16 Millionen Gulden höher veranschlagt, leider ist aber auch das Erforderniß nm 20 Millionen gestiegen.. Dr. Steinbach ist kein Schönfärber, !vle es sein Vorgänger war, der das Deficit nur durch dav guvaltthätigste Anziehen der Steuerschraube allmälig zu beseitigen wußte. Der gegenwärtige Finanzminister hat diese Erbschaft eines bis aufs Aeußerste ausgesogenen Finanzbodens antreten müssen und bekannte offen, daß da, wo das Steuersystem so wenig elastisch ist, daß jeder Zufall, welcher ein höheres Erforderniß schafft, auch das Deficit wiederbringt, wo die 5 directen Steuern nicht gerecht vertheilt sind, wo kein Organismus besteht, um die Steigerung des Wohlstandes in den Einnahmen zum Ausdruck zu bringen, wo die indireeten Steuern in ihrem Ertrage ungewiß sind und leicht au die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen, wo die Valuta schwankend ist, eine feste Ordnung im Staatshaushalt nicht constatirt werden könne. Dr. Steinbach nimmt die Finanzfrage sehr schwer und das erweckt Vertrauen. Auch die Revision unserer veralteten und jeden Aufschwung der Buchdrucker- und Zeitungsgewerbe hindernden Preßgesetze wurde dies- mal mit außergewöhnlicher Energie auf die Tagesordnung gesetzt. Vierzehn Petitionen der hervorgendsten Corporationen waren an das Abgeordnetenhaus gerichtet worden, das gesammte Buchdruck-, Zeitungs- und Verlagsgewerbe hatte seine Beschwerden gegen die Aufhebung der Zeitungscautiouen, des Zeitungs- und Kalenderstempels, der Freigabe der Colportage, des objectiven Gerichtsverfahrens begründet und an der liberalen Partei ist es nun, die von ihr vor 20 Jahren geschaffenen eines Culturstaates unwürdigen Gesetze wieder aufzuheben. Leider scheint es. daß unsere großen Zeitungsunterneh-- mungen jeden: Aufschwung hindernd in den Weg treten, was der Regierung einen willkommenen Vorwand bietet, es hübsch beim Alten zu lassen. Auch der Unterrichtsminister Freiherr v. Gautsch that endlich einen kräftigen Schritt nach vorwärts auf dem Gebiete der Gymnasial- reform, worüber er dem Abgeordnetenhause am 13. October einen umfassenden Bericht vorlegte.

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