Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

2 Hesterrcich-Zlngarn. Mit einem ebenso hochwichtigen wie freudigen Ercigniß können wir unsere Jahreschronik der vorjährigen politischen Begebnisse beginnen. Der Weltfrieden, der int Dreibund seinen Ausdruck findet, ist wieder auf sechs weitere Jahre gesichert! EndeJuni 1891 wurdezwischen den drei Mächten der Abschluß getroffen, den Rußland und Frankreich durch Intriguen so gerne verhindert hätten. Namentlich in Frankreich gab . man sich den trügerischen Hoffnungen hin, dieses Bollwerk des europäischen Friedens Zusammenstürzen zu sehen und hatte zu diesem Behuf zunächst Italien durch den Zollkrieg mürbe zu machen velsucht. Wenn man unserer Zeit jeden Mangel an Jdea lismus absprechen will, so ist doch nicht zu verkennen, daß trotz des herrschenden crassen Materialismus und Pessimismus ein erhabener Zritla der Kaiserin in Eorfu. idealer Zug in der Erhaltung des Friedens durch die Geschichte unserer Tage geht. Die Erinnerung an den am 2. Juli wiedergekehrten 26. Jahrestag der verloren-m Schlacht von Königgrätz und das verhängnißvolle Jahr 1866 konnte deshalb keine Rachegedanken in der österreichisch-ungarischen Bevölkerung wachrufen. In der Nacht des 4. Juli fand der zweifache Raubmord an dem Emeder'schen Ehepaar statt; ein schreckliches Ereigniß, das die Wiener Bvölkerung Monate lang in Aufregung hielt. Leider konnten bis heute die Mörder nicht dem strafenden Arm der Gerechtigkeit überantwortet werden. Der Fnkatsch'sche Schwestermord in Znaim, der wohl mit dem Todesurtheil des Mörders, das aber bis heute noch nicht vollzogen wurde, abschloß — die grauenhaften Dienstbotenmörder, welche in dem Klein'schen Ehepaar bald zu Stande gebracht wurden, bilden eine trostlose Vermehrung der Verbrecherchronik des Jahres 1891. An: 6. Juli hatte Oesterreich-Ungarn den Verlust eines seiner hervorragendsten Kirchen- sürsten zu beklagen. Cardinal Haynald schied an diesem Tage aus dem Leben; 1816 geboren, studirte er in Gran uub Wien und wurde 1842 Professor der Theologie in Gran. Zehn Jahre später wurde er Bischof in Karlsburg, schloß sich der politischen Partei an und entsagte seinem Bisthum. Mehrere Jahre lebte er dann in Rom bis er 1867 als Erzbischof von Kalocsa nach Ungarn zurückkehrte. Dort machte er große wissenschaftliche Stiftungen und glänzte als einer der ersten Kanzel- und Parlamentsredner, seine Stelle trat Bischof Csoszka. Im österreichischen Abgeordnetenhause hat leider eine Ausdrucksweise seitens der äußersten Linken Platz gegriffen, welche nur geeignet ist, das Ansehen des Parlamentarismus herabzusetzen. Der Fall Wrabetz-Lueger und die Verhandlungen über die staatliche Subvention des Lleyd lieferten die Belege hiefür Diese Sprechweise der Opposition erniedrigt dieselbe durch die Verletzung des parlamentarischen Anstandes unb sie erzielt auch keinen Erfolg, da sich im entscheidenden Augenblick selbst, ihre stillen Anhänger von ihr abwenden; dies hat sich auch wieder bei der Entscheidung über obige Frage gezeigt. Trotz aller Verdächtigungen und Ve- sthttldigungen wurde dem Lloyd die Subvention el höht. Im ungarischen Abgeordaetenhause herrscht übrigens auch ein -nicht minder erregter Ton und' die Radiealen, die den Patrioten Tisza zur endlichen Niederlegung seines gewiß segensreichen Wirkens brachten, treiben es mit dem neuen Ministerium Szapary nicht besser, sie finden aber eisernen Widerstand. Am 20. Juli wurde die Erinnerung an die glorreiche Seeschlacht von Lissa in den Hafenstädten der Adria mehr zum Gedächtniß der | Gefallenen als eine Siegesfeier begangen. Die italienischen Blätter sprachen sich sehr maßvoll darüber aus, indem sie auf die gegenwärtige italienische Flotte als eine der stärksten der Welt hinwiesen und daß diese heute mit der österreichischen zur Erhaltung des Friedens verbündet sei. Die drei Festtage der Feier des 100jährigen Todestages Mozart wurden in Salzburg am I8. Juli in erhebender Weise beschlossen. Das niederösterreichische Landesschießen wurde am 21. Juli durch Se. kaiserliche Hoheit Erzherzog Rainer in St. Pölten eröffnet. Anfangs August kam man in Ungarn zur Erkenntniß der kritischen Lage, in welcher Regierung und Reichstag sich befanden. Die Opposition, die doch stets vorgibt nur die freiheitlichen Bestrebungen und die culturelle Hebung der Nation fördern zu wollen, tritt aus princi- pieller Obstruction allen derartigen von der Regierung ausgehenden Vorlagen entgegen, die Aufhebung der verrotteten Comitatswirthschaft, die als Berwaltungsorganismus sich schon seit Jahrzehnten überlebt hat, wurde vom Ministerium Szapary auf die Tagesordnung gesetzt. Die Opposition war bald einig darüber, die Hunderte von Paragraphen der Vorlage todtreden zu wollen. Sv war der Gedanke einer Auflösung dieses Reichsrathes naheliegend und derselbe wurde nach monatelangen Kämpfen seitens der turbulenten Opposition anfangs December zur That. Am 2. August fand in der schlesischetl Stadt Jauernig die Enthüllung eines Denkmals des dort am 28. Februar 1790 geborenen Dichters Zedlitz statt. Er ist der Dichter der „nächtlichen Heerschau" und der „Todtenkränze", und als solcher lebt er in dell Herzen aller Deutschen auch heute noch fort. Einige Abwechslung in die politische Stagnation brachte der am 10. August erfolgte Besuch des Königs Atexalider von Serbien. Der junge Monarch, der jetzt 16 Jahre ast ist, machte einen durchaus sympathischen Eindruck und wurde von der kaiserlichen Familie in wohin er sich nach kurzem Aufenthalt in Wien begab, mitAuszeichuulig ausgenommen. Eine politische Bedeutung kann diesem Höflichkeitsbesuch wohl nicht unterlegt werden. König Alexander erklärte beim Abschied, daß er die wohlwollende väterliche Güte unseres Kaisers niemals vergessen werde und wir wünschen nur, daß er diesem Gelöbniß im Konak gu Belgrad immer eingedenk sein möge. Die am 14. { August bekannt gewordene Liquidation des altrenommirten Bank- und Großhandlungshauses Morpurgo & Parente in Triest erregte peinliches Aufsehen. Rothschild intervenirte sofort und nahm die Liquidation in die Hand. Am selben Tag starb anchan einem Herzschlag der unter dem Nalnen Reichof bekannte deutsche Schauspieler Graf Leopold Lazanski. Seine letzte That war das Vermächtniß eines großen Hauses Erzvischof Kayuntd t. am Stefansplatz zur Errichtung einer — böh- mischen Schule. Die an: 17. August im Eisackthal in Südtirol so plötzlich eingetretene Hochwasserkatn- strophe, der über 40 Menschenleben zum Opfer- sielen, erregte in der ganzen Monarchie die regste Theilnahme und den Wunsch durch energische Maßregeln derartige Unglücksfälle zu verhüten. Am 31. August fand in Wien unter gewöhnlich starker Betheiligung die Eröffnung des internationalen Getreide- und Saatenmarktes statt.

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