80 hätte den Klaus schon genommen, wenn er mich gewollt hätte, und er mich, wie er mir sagte, auch —" Die Markgräfin hatte mit innerlichem Vergnügen diese Worte vernommen. „So wolltet Ihr nicht gern wieder von einander geschieden sein, sondern wärt wohl zufrieden, verheirathet zu sein ?" frug sie plötzlich und sah bald den Klaus an und dann wieder die Gertraud. Das Paar wurde aber trotzdem so verlegen, daß der Klaus nur stottern konnte: „Ei, ja doch, hohe Frau —" und die Gertraud setzte geschämig hinzu: „Wir haben zwar nichts, aber wir brächten uns schon durch —" Das war's, was die Markgräfin erwartet hatte und in bester Stimmung sagte sie gütig: „Das ist brav von Euch, und Ivie ich merke, hat der Zufall ein ganz prächtig Paar zusammengeführt in Euch! Geht nur getrost nach Hanse — wir werden dafür sorgen, daß Euer Anfang von leiblichen Sorgen frei ist! An Euch würd es sein, den Tag preisen zu können, wo des Priesters Hand Euch zusammengethan hat, für's Leben!" Die Gertraud -und der Klaus waren vor Freude so gerührt über die huldreichen Worte ihrer Landesmutter, daß sie kaum einen Dank zu stammeln vermochten und fast nicht wußten, Ivie sie aus dem Schlosse kamen. „Das Wichtigste wäre also glücklich erledigt", sagte der Markgraf Ottokar lächelnd, als ihm seine Gemahlin den Inhalt ihrer Unterredung mit den einfachen Banersleuten mittheilte. „Ich danke Euch gar sehr für Eure Müh', liebe Elisabeth — der Himmel wird's geben, daß der tolle Waldgraf da kein Unglück angerichtet hat! Nochmals will ich es nun versuchen, zlvischen ihin und der Kirche zu vermitteln — er ist ja doch unser Bruder! Aber es soll das letztemal sein, daß ich feine Händel ans- trage!" Die Markgräfin nickte zustimmend zu den Worten ihres Gemahls, der ihr recht dankbar war, daß sie den schier unlösbaren Knoten durch ihren weiblichen Scharfblick so rasch und tadellos gelöst hatte. — Der Waldgraf kam aber nicht mehr in die Lage, mit dem Pater Ansbert und i der Kirche, und auch nicht mit seinem Bruder, dem Markgrafen Ottokar V!. von Steyr, Frieden zu schließen, denn am Ende desselben Jahres wurde der Waldgraf bei Leoben erschlagen — man weiß nicht, ob von seinen Lehensleuten, oder seinem eigenen Gefolge. Die Ehe, die er in seinem Uebermuth und nur um seine Herrschsucht zu bethätigen, gestiftet hatte, wurde aber eiue recht glückliche, denn auf Betreiben der Markgräfin Elisabeth nahm Ottokar V!. den Klaus und sein Weib Gertraud in das Hofgesinde auf und die letzteren waren wohl die einzigen, die dem „Waldgrafen" noch in ihren späten Jahren ein gutes Andenken bewahrt hatten. Wenn wir die geschichtlichen Bilder des| verstossenen Jahres vor unserem geistigen Auge । die Revue passiven lassen, so drängt sich uns die Wahrnehmung auf, daß die Logik der Thatsachen sich meist stärker erwiesen hat, als Neigung und Wille der leitenden Staatsmänner oder Parteiführer. Die Naturalisten und Materialisten im Staatswesen und der Literatur perhorresciren zwar jede ideale Anschauung, und dennoch ist die Erhaltung des Weltfriedens das erhabenste Ideal unseres realistischen Jahrhunderts, dem die größten materiellen Opfer gebracht werden. Der fortgeschrittenste Staat Europas: die französische Republik, welche an der Spitze der Civilisation zu marschireu vorgibt und die idealste Fortbildung der Massen auf ihre Tri- eolore gehestet hat, verbündet sich dagegen mit dem Erbfeind aller Civilisation und feierte in Kronstadt, Nancy und anderen Orten wahre Orgien der Begeisterung für diesen Gegner jeder idealen, civilisatorischen Maxime. Alle Staaten - Frankreich obenan — huldigen dem idealen Staatssocialismus; für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Classen werden keine Opfer gescheut, aber gerade in seinen Grenzen erheben die Hüter des Anarchismus ihr blutbeflecktes Haupt und predigen offen den Massenmord mit Dolch und Dynamit. Unser Jahrhundert kann deshalb in seinem Kämpfen und Ringen das Jahrhundert der Gegensätze genannt werden und das abgelaufene Jahr hat zu diesem Fortschrittsbau von 92 Jahren viele Steine geliefert, freilich waren auch manche Steine des Anstoßes darunter. Der größte Gegensatz trat wohl in Rußland zu-Tage. Das absolutistische, despotische Regime ver brüderte sich mit dem republikanischen und in Kronstadt, Petersburg und Moskau schrieen sich die rauhen russischen Kehlen heiser an der Marseillaise. Was werden die Nachkommen dieser beiden so wenig miteinander verwandten Volksstämme zu diesem Gegensatz in unserem Jahrhundert sagen? Eine weitere Verschärfung erfuhr diese Anomalie des abgelaufenen Jahres durch die noch nie dagewesene Hungersnoth in Rußland. Die seitherige Kornkammer Europas versiegte; Tausende hungerten und verhungerten und als das Ausfuhrverbot im Juni 1892 aufgehoben wurde, lagerten Millionen Pud Getreide in den Seehäfen, die, zur rechten Zeit an Ort und Stelle zurückgeführt, jede Hungersnoth beseitigt hätten. Abermals ein Gegensatz im Jahre 1891—92, der allerdings nur in einem despotisch regierten Lande wie Rußland sich erIahves-Müelilclöau Vom Juli s8c)s bis Juli ^892. Die Illustrationen sind mit Bewilligung der deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart zum Theil deu großen Bildern der illustrirten Zeitschrift „Ueber Land und Meer" nachgebildet. Kupfer-Niederschlüge von den Jllnstrationen in „Ueber Land und Meer" werden von der deutschen Verlagsanstalt fortwährend zum billigen Preise von 10 Pfg. pro Qnadrateentimeter abgegeben. eignen konnte. Aber nicht bloß in den außer- österreichischen Landen, sondern auch innerhalb unserer Reichsgrenzen traten die eigenthümlichsten Gegensätze auf die Oberfläche. Der Schöpfer der Bersöhnungspolitik, der jahrelang an der Anomalie festgehalten hatte, daß seine rechte Hand im Reichsrathe nicht wissen durfte, was seine linke im Prager Landtag verfügte, verfiel plötzlich in den neuen Gegensatz, seine seitherige Majorität niederzumähen und sich eine andere bei einem neugebildeten Parlament zu suchen, das österreichisch denke, fühle und handle. Das Oesterreicherthum war durch Czechen, Polen, Slovenen, Kroaten und andere Volksstämme schon ganz in Verstoß gerathen, und Derjenige, der es am meisten vergessen, erinnerte sich glücklicherweise im letzten und entscheidenden Augenblick daran. Auch die Lösung dieses Gegensatzes ist ein Werk des abgelaufenen Jahres. Eine andere große Schöpfung desselben war die etwas überhastete Einführung der neuen Handelsverträge, in welchen viele Industrien, besonders aber der Weinbau, sehr bedenkliche Gegensätze - finden wollen. Und the last not the least kommt der Gegensatz der Valutaregulirung, die, als wir diese Jahreschronik schließen, auch noch nicht beschlossen ist. Diese steht wohl im größten Widerspruch im abgelaufenen Jahre, namentlich zu der angestrebten Preßreform. Während für die Aufhebung des Zeitungs- und Kalenderstempels, des Verbots der freien Colportage und des sonstigen Preßzwanges die Männer derRe- giernug taube Ohren hatten und die armselige eine Million, welche der Zeitungsstempel einbringen soll, als unumgänglich erforderlich für das Gleichgewicht des Staatshaushaltes erklärten, strotzen die Staatscassen für die Einfübrung der Goldwährung von hunderten disponibler Millionen. Der ehrwürdige Papiergulden wird in Acht und Bann erklärt, aber nun kommt wieder ein Gegensatz, eingelöst wird er deshalb vorläufig üoch nicht, im Gegentheil, er gilt von nun ab zwei Kronen. Das Gold soll wohl nach Erforderniß angeschafst, aber bei Leibe nicht zur ' Einlösung des cursirenden Papiergeldes verwendet werden, und das ist auch sehr probat; denn es würde, wie seinerzeit das Silber, alsbald in den Strümpfen der Bauernweiber verschwinden. So kommen wir aus den Gegensätzen nicht heraus und gehen deshalb gur thatsächlichen Schilderung der Hauptereignisse des abgelaufenen Jahres über. A
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