Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

70 dann wird wieder weiter getanzt bis am frühen Morgen. Folgt ein Feiertag, mischen sich die Burschen in geschicktester Weise unter die Kirchgänger, als ob sie eben vom Bette aufgestanden wären. Liebschaften werden ungemein geheim und verschwiegen gehalten und gemeinhin z. B. mit der Redewendung bezeichnet: „Der Hans geht mit der Burgl". „Zum Fensterln" gehen die Burschen allerdings fleißig und ausdauernd, aber auch mit großer Schlauheit, denn wehe, wenn einer erwischt wird. Da säen die jungen Burschen, vom Kammerfenster angefangen, wo dasDiendl wohnt, bis zum Hause ihres Verehrers, einen Streifen Sägespäne, so daß am anderen Tag das ganze Dorf weiß, dem sei das Fensterl bei einem gewissen Diendl jede Nacht offen. Hoch gehl es bei Hochzeiten her. Am frühen Morgen wird schon mit Pöllern geschossen, daß die Fenster der ganzen Ortschaft zittern. Im feierlichen Anfzuge geht Alles zur Kirche, wo die Trauung, zumeist nach einem Hochamte, vollzogen wird. Die Trauzeugen, der trauende Priester, sowie der Meßner erhalten als Andenken — ein Taschentuch. Dann geht das Hochzeitsessen au, welches mit Kaffee undChocolade beginnt. Es folgt Nudelsuppe mit Wurst und dieser eine Menge von Gängen, denn unter fünf bis sechs Stunden steht man nicht vomTllche auf. Nach demSchweins- brateu mit Kraut kommt die erste Kellnerin, nimmt der Braut den jungfräulichen Kranz ab und windet selben dem Bräutigam um den Hut mit deu grüu- rothen Schnüren. Der Bräutigam zahlt hiefür einen Thaler. Nun binden die „Kranzljungfern", welche immer in großer Zahl beiHochzeiten erscheinen, ihreKränze ab und befestigen selbe auf den Hüten jener Burschen, denen sie am geneigtesten sind. Diese schenken ihnen für diese Guust- bezeugung ein seidenes Halstuch, nicht ohne zumeist die Frage anzubringeu: „Wär' dem Riegerl zu, wenn man halt zum Fensterln kommen thät?" In der Küche versammeln sich die Thurmkltechte, Gemeindediener und — der Todtengräber, um an den „Abschnitzeln" zu naschen. Sind sie reichlich betheilt, nehnien sie den Weinkrug und gehen in die Stube, um mit dem Brautpaar anzustoßen, was mit den Worten geschieht: „I bring dir's." Ein nicht minder lustiger Schmaus folgt jeder Beerdigung, je nach dem Vermögen des Verstorbenen. Der Leichenschmaus wird „Pitschen" genannt. Wenn derselbe zur Hälfte vorüber, tritt der Todtengräber ein. Alles kniet hinter den Krügen nieder und nach einem „Spruch", den dieser als Nachruf dem Verstorbenen ausbringt, betet man sieben Vaterunser und „beweint" man den Gestorbenen weiter. Dem Leichenzuge voraus wird vom besten Freunde oder Freundin, je nachdem Mann oder Weib begraben wird, eine Laterne getragen. Man nennt dies „den Himmel zua zünd'n". Wird ein Mann begraben, beginnt das Geläute auf dem Thurme mit der größten, beim Weibe mit der kleinsten Glocke. Alle Verwandten im Zuge erhalten eine kleine Kerze. Männer tragen kein äußerliches Zeichen der Trauer, die Frauen schwarze Tücher und Schürzen und zwar die nächsten Angehörigen ein volles Jahr. Eine geradezu abenteuerliche Erscheinung ist der „Saltner", wie mau hier den Flurwächter nennt. Er trägt einen Hut niit Fuchsschwänze« und Hunderten von Federn geziert; zu seiner gewöhnlichen nationaleu Tracht ein ledernes Wams, fast wie die Landsknechte, welches vorne mit einer Kette von Eberzähnen geschmückt ist. Eine Hellebarde und eine „Rungel" (breites Messers sind seine Waffen. Alle Feldwege stehen das ganze Jahr offen und können begangen werden. Wenn aber die Trauben reifen, werden sie durch eine roh gearbeitete, hölzerne Hand, „Saltner Tatz", als „Pfandwege" bezeichnet. Auf diesen Wegen erhebt der Saltner eine Gebühr von zehn Kreuzern von Jedermann und wehe, wenn Jemand eine Traube oder eine Frucht bricht. Der Saltner macht in der Ausübung der Justiz wenig Umstände. Um die Saltnerstelle bewerben sich die besten Burschen im Dorfe, denn sie ist eine Ehrenstelle, die nur vollständig Unbescholtenen ertheilt wird. Verschwindend klein ist die Zahl der Bettler im Burggrafenamte. Zumeist sind es aus Seitenthälern Eingewanderte, die eine Gabe heischen und den Fremden auf der Straße belästigen. Die Ortschaften sind alle mit gut ausgestatteten Versorgungshäusern versehen und alte Dienstboten werden bis zu ihrem Lebensende behalten. Dienstplätze werden überhaupt nicht stark gewechselt und ist es eine Schande, kürzer als ein Jahr auf einen: Hof zu verbleiben. Den Tag, an welchem die „Ehalten" (Dienstboten) „schleug- len" (Dienst wechseln), stellen sich jene Knechte, welche frei sind und noch keine Stelle haben, auf den Kirchplatz auf und da konnneu die Bauern und suchen sich einen Knecht aus, den sie auch gleich mit sich nehmen. Jeder Dienstbote muß einen „Schrein" (Schrank) haben, denn es wäre eine große Schande, einen solchen nicht mit Kleider und anderen Habseligkeiten füllen zu können. Sehr behaglich ist die Meraner Bauernstube. Die Häuser selbst sind äußerlich nicht besonders gut uud reiu gehalten. Die Stuben sind ganz, meist mit Zirbenholz ausgetäfelt und die Wände mit vielen Heiligenbildern ge- schmückt. In der Ecke ober dem runden Eßtisch hängt ein großes Kreuz und au den Händen des Christusbildes, gewissermaßen als Opfer, hängen schöne Maiskolben und an den Füßen Aepfel an Zweigen. Hinter dem Christusbilde ist ein Palmzwelg gesteckt, dessen Zweige von der Bäuerin bei herannahendem Wetter ver71 brannt werden, um den Wetterhexen die Zauberkraft zu nehmen. Vom Thurme läutet man dann mit der großen Glocke, den sogenannten „Wetterstroach", denn selbe wird extra „gegen's Wetter g'weicht". Ober dem Tisch hängt der heilige Geist in Gestalt einer Taube; auf den Stellagen sind Gebet- und Erbauungsbücher, die Zither, das Tabakmesser zum Feinschneiden des Tabaks, der in stinkenden, feuchten Rollen, „Rolltabag", gekauft wird, und vielleicht auch einige Hausmitteln. Eine Bank läuft rings um die ganze Stube und ist der Platz am Ofen die bevorzugte Stelle, wo der Bauer, sich einen Schemel als Kissen unterdeuKopfschiebend, seiueSiestahält. Durch ein Schublvch ist die directe Verbindung mit der Küche hergestellt. Die Küchen haben offenen Herd mit einem mächtigen Rauchmantel voll von

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