Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

58 69 ganz lose geschlungen. Der Hut ist spitz mit geschweiften Krampen. Der ledige Bursche schlingt um denselben dünne, circa fünf Meter lange, rothe Schnüre. Wenn er ein Weib nimmt, entfernt ihm die Brautjungfer die Hälfte der rothen Schnüre und ersetzt sie durch grüne. So wie aber der erste Sprößling seinen Einzug hält auf den Host werden die rothen Schnüre ganz entfernt. Die Tracht der Frauen ist ebenfalls eine sehr nette. Der schwarze Rock ist in viele Falten gelegt und vorne von einer breiten, zumeist blauen oder violetten Schürze bedeckt. Ein schwarzes Mieder- leibchen, am Halse weit ausgeschnitten, umspannt den Oberleib. Die bauschigen, weiten Hemdärmeln reichen bis zum Ellbogen und sind dort mit einer schönen, breiten Spitze besetzt. Den Hals deckt ein schweres, buntes Seidentuch mit langen Fransen. Der Kops ist Sommer und Winter frei. Die Haare, glatt zurückgekammt, sind in zwei Zöpfe geflochten, welche in Form eines Achiers um eine lauge, breite, silberne Nadel gewunden sind. Der Burggräfler Bauer ist zumeist ein ernster, schweigsamer Mann. Er ist unbedingt der Herr in seinem Hause und werden alle Anordnungen in der Wirthschaft und in der Familie nur einzig und allein von ihm bestimmt und anqe- ordnet. Die Leute, der Bauer wie sein Gesinde, leben vortrefflich. Das Frühstück besteht aus Suppe und Mus (Milchbrei), zum Halbmittag folgt uni 8 Uhr ein halber Liter Wein und Brot. Das Mittagessen besteht immer, die Fasttage ausgenommen, aus Suppe oder Knödel, Fleisch und Gemüse und wieder ein halber Liter Wein. Die Jause, hier „Märend" genannt, aus einem halben Liter Wein, Brot und Landkäse und zum Abendessen folgt um 7 Uhr Gersteusuppe mit geselchtem Fleisch und einem halben Liter Wein. Die Mahlzeiten werden durch ein lautes Tischgebet eingeleitet und beendet. Jeden Abend aber wird der Rosenkranz gebetet, die Litanei und eine Menge von Vaterunsern für die Verstorbenen in der Familie. Die Männer knieen dabei auf deu Bänken, die Ellbogen auf die Fenster- brüstung aufgelehnt, die Frauen und Mädchen benützen als Betschemel einen Stuhl. Die Eiuwohuerschaft des Burggrafenamtes ist von einer tiefen Frömmigkeit. Eine Menge kirchlicher Feste werden strenge eingehakten und ebenso die sogenannten Bauernfeiertage. Mau kann annehmen, daß die Sonn- und Feiertage, an denen nicht gearbeitet wird, den dritten Theil des Jahres ausmachen. GroßePro- cessivnen werden abgehalten, Bittgänge nm gutes Wetter, um Regen, um Segen für die Fcldfrüchte, um Schutz gegen Feuer- und Wassergefahr zu erflehen, eine ganze Menge im Jahr. An Souu- unv Feiertagen geht der Bauer immer im vollsten Glanze seiner Nationaltracht. An den Bauerufeiertagen hingegen, reinlicher und sauberer als an Werktagen, die Männer aber stets mit einer weißen Schürze mit Briistfleck. Die ledigen Burschen tragen, so lauge es frische Blumen gibt, an Feiertagen einen Blumenstrauß auf dem Hut, oder weuig- stens eine Nelke Hinterm Ohr. Selbstverständlich stammt dieser Schmuck vom „Dieudl". Federn werden nur beim Ausrücken als Scheibenschütze oder von den Sennern beiin Aufzug auf die Alpe getragen. Scheibenschießen ist ein von den Bauern sehr betriebener Sport und jedes noch so kleine Dörfchen hat seinen Schießstand, auf dem jeden Sonntag lustig die Stutzen knallen. Vom Lande wird das Schießwesen sehr unterstützt und jedes Jahr demselben größere Subventionen gewährt. Von Seite der Landesvertheidigung werden alle jungen Leute schon mit achtzehn. Jahren einberufen und in der Führung der Waffen unterwiesen. Nicht selten findet der belehrende Osficier da schon tüchtige Schützen. Gewehre liebt der Burggräfler sehr und wird kaum ein Haus zu finden sein, in welchem nicht irgendwo in einer Ecke ein „Schießeisen" hängt. Trotz Jagdgesetz und Jagdaufseher schleichen die Burschen in der ganzen Umgebung umher und knallen manches Füchslein und manchen Hasen nieder, oder steigen den Hühnern und Enten nach. Ja, anch in den Schroffen sind sie zu finden auf der aufregenden Jagd nach dem listigen Murmelthier und der stinken Gemse. Die Burggräflcr sind große Musikliebhaber. Singen und jodeln, diese Specialität der Tiroler, kennen sie nicht. Aber jedes Dorf hat seine eigene Blech- musik und sind die jungen Musiker, trotz der anstrengenden Tagesarbeit, immer fleißig bei deu Proben zu finden. Der Capellmeister ist zumeist der Schullehrer des Ortes, sehr oft aber auch nur ein einfacher Bauer oder Knecht. Die Geige und die Zither ist fast in allen Häusern zu finden und die Mädchen setzen sich an Sonntagen gerne hinaus auf eine sonnige Anhöhe und spielen — Mundharmonika. Getanzt wird viel, zu allen Zeiten und an allen möglichen Orten. In der kleinen, ranchgefüllten Stube, auf deu Tennen im Stadel oder in der Sennhütte, ebenso wie im Ballsaal in der Stadt, wenn offenes Entrve ist. Da erscheint der Bursche mit seinem Diendl und tanzt jede Tour vom Anfang bis zum Ende ohne Pause. Wird ihm zu warm, zieht er die Joppe aus, den Hut legt er aber nie ab. Zur Ruhestunde bestellt er „zweimal Bratl", zerschneidet das Fleisch mit seinem eigenen großen Messer in Würfel und verspeist es mit seinem Schatz mit großem Behagen. Dem Braten folgt „a Literle Glüdwein" (Glühwein) und „a fezzcle Siiaßes" (ein wenig Coufect),

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