Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1893

66 und alle Augen richteten sich auf das alte Mütterchen, dessen Antlitz ganz erstarrt war. Endlich rief das arme Weib mit zitternder Stimme: „Gebt mir meinen Enkel wieder!" Und weiter nach unheimlich langem Schweigen sprach das greise Weib die prophetischen Worte: „Glück auf! — und — niemehr Glück auf!" Bald zechten aber die sittenlosen Säufer weiter und vergaßen bald beim Trinkgelage der furchtbaren That. Am nächsten Morgen fuhren die Knappen wie immer mit dem Rufe: „Glück auf!" in die Schächte. Dem Hutmann war es heute gar seltsam zu Muthe und er wollte noch am Rande der Grube umkehren, doch der Pfleger zwang ihn, in den Schacht einzufahren. So waren bald viele hundert Knappen mit ihrem Hutmann in die Tiefe der Gruben eingefahren. Bald hörte hierauf ein Tauber ein seltsames Rauschen von Wässern und rettete sich, nachdem seineMahnungzurFlucht von den übrigenKnappen verlacht wurde, allein aus dem Berge Nun brachen von allen Seiten die Wässer in die Gruben und sämmtliche Knappen fanden darin ihren Tod. Daß thatsächlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts der Silberbergbau in Obcr-Zehring in höchster Blüthe stand, findet indirect seine Bestätigung durch die zwei romanischen, zweifellos im 12. Jahrhundert entstandenen Kirchenbauten daselbst, wovon die eine ausdrücklich als Knappenkirche bezeichnet wird. Noch einmal beschäftigt sich die Sage mit dem ersäuften Silberbergbaue, indem siemeldet, daß man einst einem zum Tode ver- urtheilten Verbrecher die Freiheit versprach, wenn er den Muth fände, in die Tiefe der Schächte zu tauchen. Der Mann willigte ein und verschwand in den Wässern. Als er wieder schreckensbleich an das Tageslicht kam, erzählte er, da, er einen Altar mit 12 silbernen Apostel gestalten gesehen hätte. Nichts vermochte ihn jedoch zu bewegen, nochmals in die Tiefe zu tauchen, da nach seiner Erzählung schreckliche Thiergestalten in dem unterirdischen See Hausen. So umwebt die Ueberlieferung im Munde des Voltes den Untergang der Bergwerke immer mit einem Sagenkreis von der Zuchtlosigkeit der Knappen und dem dadurch herbeigeführten göttlichen Strafgerichte, welches sich seit dem Sodoma und Gomorrha der christlichen Bibel durch die Mythen aller Völker zieht. DerBurggräfler^ein deutscher Bauer in Südtirol. Von Carl ZSokf, Meran. iner der schönsten Punkte Tirols ist entschieden das Burggrafenamt, wie die Umgebung Merans nach der früheren Eintheilung der Bezirke Tirols genannt wird. An keinem Orte der gesammten Alpenwelt sind die schroffsten Gegensätze einander so nahe gerückt, wie in der Umgebung von Meran. Gewaltige Felsgipfel, die Repräsentanten des wirklichen Hochgebirges, umschließen einen weiten Thalkessel, in welchen sich weich- und mildgeformte Thalabhüuge an die wild zerklüfteten, schroffen Bergwände der Hochgipfel anlehnen. Ueber der üppigen, südlich anmuthen- den Vegetation des Thalkessels glänzen die Firnfelder der Schneeregionen und nach welcher Seite wir uns auch wenden, trifft unser Ange stets auch verschiedenartige und immer charakteristische, malerisch schöne Bergformen. Auf den Höhen umsäumen dunkle Nadelholzwaldungen die grünen Alpenmatten und auf allen Blößen haben sich die Menschen angesiedelt. Die Hänschen und Hütten kleben wie Schwalbennester an den abschüssigen Wiesen. Im Mittelgebirge stehen die Kastanienwaldungen, deren süße Früchte in alle Welt versendet werden; dann kommen die Rebeuhügel mit den Mandelbäumen, den Pfirsich und der breitblätterigen Feige. Weit breiten sich in der Ebene die Obstanger aus mit den großen Dörfern, den schönen Gehöften und von allen Vorsprüngen und Hügeln grüßen Burgen und Schlösser hernieder, Zeugen der Durchzüge der römischen Heere und später der unruhigen ritterlichen Zeit. Allen Burgen obenan aber steht das Stammschloß Tirol, von welchem das ganze Land seinen Namen hat und unsere Bevölkerung sagt: „Nur der ist Herr des Landes, welcher Herr des Hauptschlosses ist!" Au den Kuchelberg angeschmiegt liegt die frühereHanptstadt des Landes, Meran, mit der schönen alten, landcssürstlichen Burg, den großen Hotels, Pensionen und Fremdenhäusern, dem Curhause und den herrlichen Promenaden. Am linken Ufer der Passer bis hinauf zu den Abhängen ziehen sich die Villenstraßen von Ober- und Untermais und diese Gemeiudeu bilden den Curort Meran. Das ist der Erdenstrich, welchen der „Burggrüfler", wie der Meraner Bauer genannt wird, bewohnt und von welchem ich hier erzählen will. Der Meraner Bauer ist auch der Beobachtung werth. Der Curort Meran wird schon viele Jahre von taufenden und aber tausenden fremden Gästen ans aller Welt besucht. Viele derselben haben sich in dem schönen Erdenwinkel dauernd niedergelassen und stehen im engsten Verkehr mit der bäuerlichen Bevölkerung. Viele fremden Sitten und Gebräuche haben diese Gäste ins Laud gebracht und dennoch ist der Meraner Bauer fast der einzige im Tiroler Lande, welcher seiner schönen und malerischen Nationaltracht treu geblieben ist und seiner Väter Sitten und Gebräuche beibehalten hat. Die Tracht der Meraner Bauern ist eine malerische und, man möchte fast sagen, elegante. Ueber der rothen Weste liegen breite, grünseidene Hosenträger und die Hüften umspannt ein schöner, schwerer lederner Gurt, mit Pfauenfederstreifen kunstvoll gestickt. Die ledernen, roth ausgeschlagenen Hosen lassen die Knie frei. Die Strümpfe sind in sehr netten Mustern in feiner, weißer Wolle gestrickt und an Feiertagen tragen die Männer weit ausgeschnittene Schuhe mit kleiner silberner Schnalle. An gewöhnlichen Tagen selbstverständlich den genagelten Bergschuh. Die kurze Joppe ist aus braunem Loden und vorne mit breiten rothen Aufschlägen versehen. Um den Hals trägt der Bauer eine leichie schwarze Binde

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